Pflegekammer:Verkrustung ohne Patienten-Nutzen

"Pflegekammer light" vom 12. Oktober und "Keine Lobby für die Pflege" vom 19. Oktober:

Wir sind ein hochkorporativ gestaltetes, verwaltetes und vielfach verkrustetes Gemeinwesen - unter anderem auch, weil die vielen Kammern (insbesondere die für die sogenannten Freiberufler) nach meiner Einschätzung viel zu großen Einfluss und zu viele Sonderrechte haben. Wenn Sie alle Wirtschaftszweige mit Kammern genau anschauen, sind Interessenverquickungen, unzureichende Marktfreiheit, hoher Finanzierungsaufwand, viele Qualitätsprobleme und Ressourcenverschwendung zum Schaden aller offensichtlich. Und wir sind ein überreguliertes Land, die Kammerberufe aller Wirtschaftszweige haben ein Dorado ihrer Berufsstände, Berufsgruppen erreicht, im Gesundheitsmarkt, der Steuer- und Wirtschaftsberatung, der Rechtspflege und bis zu technischen Dienst- und Beratungsleistungen. Das hat dazu geführt, dass wir in nahezu allen Lebensbereichen Weltspitze beim Aufwand und den Kosten sind, seltsamerweise aber nicht bei den Ergebnissen, Leistungen, Produkten.

Ärzte und ihre Kammern sind ein besonders wirkmächtiges Beispiel. Sie sind erfolgreich als Gewerkschaft organisiert, üben mit ihren Kammern großen Einfluss aus, sind darüber hinaus in den beratenden Ausschüssen bei Bund und Ländern tätig und so für alle Regularien/Zulassungsverfahren im Gesundheitsbereich, Medizinstudium, für Therapien, für die Gebührenordnungen und auch bei der Frage der Zulassung wie der Kostenübernahme von Medikamenten mit- oder auch allein entscheidend. Das hat mit der Verkrustung des Gesundheitsmarkts und der einseitigen Interessensdurchsetzung auch durch die (Ärzte-) Kammern zu tun. Gewerbebetriebe gehen immer wieder in Konkurs, und es gibt so eine stetige Qualitätsauslese, der aber Ärzte weder in Klein- noch in Großpraxen trotz vergleichbarer Umsätze unterliegen. Sie schaffen einfach keinen fachlichen und/oder wirtschaftlichen Konkurs, zynisch formuliert, weil sie - siehe oben - berufsständisch gesehen im Dorado leben. Das liegt daran, dass das Gesundheitssystem für die Mediziner die soziale Komponente der Marktwirtschaft voll umgesetzt hat, weil sie in allen Entscheidungsgremien und -ebenen wirken. Alle Kammern haben naturgemäß das Wohl ihres Berufsstandes im Blick. Nicht das Wohl von Kunden, Patienten, und damit das der alles finanzierenden Allgemeinheit.

Eine Pflegekammer würde also diesen Kammerbeispielen folgend die Pflegekräfte so organisieren und vertreten, dass diese Berufsgruppe am Ende so feine Schutzzonen hätte wie andere Kammerberufe. Es scheint mir naiv zu glauben, Pflegekammern würden die Problemzonen in diesem Wirtschaftsbereich ausleuchten oder gar Missstände ( etwa auch bei Diensten oder Heimen) beheben. Pflegekräfte sollten nach meinem Dafürhalten eine starke Gewerkschaft bilden und dabei einen hohen Organisationsgrad erreichen. Wenn wir einen weiteren Kammerberuf mit allen Sonderrechten etablieren, verkrusten wir unser Land erneut. Diese Gefahr halte ich für erheblich realistischer, größer, als die überzeichneten Flüchtlings- und Migrationsprobleme. Robert Vorwallner, München

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