Peter Pan auf dem Tollwood:Der Geisteskranke

Ein junger Udo Lindenberg im Sonderzug nach Nimmerland: Zum Auftakt des Winter-Tollwoods gab es die Premiere von "Peter Pan" - mit Buhrufen der Zuschauer nach der Vorstellung.

Jürgen Schmieder

Wer es noch nicht wusste, der weiß es jetzt: Peter Pan ist ein geisteskranker und selbstgefälliger Punkrocker, ein junger Udo Lindenberg im Sonderzug nach Nimmerland - so abenteuerlustig und rücksichtslos, dass er am Ende der Geschichte in ein Irrenhaus eingeliefert werden muss. Das zumindest ist die Version von Sven Grunert, der die Story des Kindes, das nie erwachsen wird, auf dem Tollwood-Festival inszenierte und die am Mittwoch auf der Theresienwiese in München Premiere feierte.

Peter Pan auf dem Tollwood: Im Ensemble befinden sich überaus begabte Künstler wie die Schwertschluckerin "The Beautiful Jewels", der Jongleur Ben Smalls und die Trapezkünstler "Romeo & Juliette".

Im Ensemble befinden sich überaus begabte Künstler wie die Schwertschluckerin "The Beautiful Jewels", der Jongleur Ben Smalls und die Trapezkünstler "Romeo & Juliette".

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Zum Theater gab es ein Vier-Gänge-Menü von Starkoch Stefan Marquard. Weil derzeit in Deutschland so ziemlich alles beshowkocht wird, war der selbsternannte "Freibeuter der Küche" die ideale kulinarische Untermalung zu einem Stoff wie "Peter Pan".

"Ideale Gelegenheit, das Feiern zu verstehen und die Phantasie zu pflegen"

Es gab Latex-Lachs, Ochsensuppe und Rinderschulter - solide und gut schmeckende Kost für einen abenteuerlichen Abend, den die Premierengäste erwarteten. "Münchens Bevölkerung leidet ja sehr darunter, dass zwischen dem Wiesn-Ende und dem Anfang der nächsten 50 Wochen überbrückt werden müssen", sagte Oberbürgermeister Christian Ude. "Aber das Tollwood-Festival ist eine ideale Gelegenheit, das Feiern zu verstehen und die Phantasie zu pflegen."

Nach dem Menu begann Grunerts Version des "Peter Pan" - und den gesättigten Gästen wurde gleich einmal vorgehalten, was wahre Künstler von dieser Mischung aus Essen und Theater halten. "Das ist Provinz-Sorbet à la Bavaria", ruft eine Schauspielerin. "Wir sind doch nur die Beilage, der Star ist Marquard."

Dann tritt ein gebrochener alter Schauspieler auf die Bühne. Er ist verzweifelt, weil er sein Leben lang den Peter Pan geben musste und nun nicht mehr kann. Traurig fährt er im Rollstuhl durch die Manege, in der er nicht mehr auftreten mag. Er erinnert sich an seine Zeit mit dieser doch so ambivalenten Figur, die nicht gut oder böse ist, sondern einfach nur kindisch.

Danach erscheint der junge Peter Pan - und er hat so wenig gemein mit diesem Jungen, den man aus den Kindergeschichten von James Matthew Barrie kennt. Pan ist ein nihilistischer Punk aus den achtziger Jahren mit Berliner Dialekt, beschwipster Stimme und äußert arrogantem Gehabe. Er will jung sein, er will Spaß haben, er hat keinen Bock auf die Zukunft. Er wird begleitet von der Fee Glöckchen, in diesem Fall ein männlicher Teufelsgeiger im Röckchen. Er begegnet Wendy und will sie mit sich nehmen nach Nimmerland.

Man kennt diese Geschichte, die im Jahr 1911 von Barrie als Theaterstück adaptiert wurde, die von Jerome Kern und Leonard Bernstein als Musical inszeniert wurde und von der es eine überaus liebevolle Fortsetzungs-Verfilmung ("Hook") im Jahr 1991 gab.

Der Geisteskranke

Grunerts Inszenierung allerdings verliert sich in der eigentlich einfachen Storyline. Immer wieder gibt es expressionistische Tanz- und Spielszenen auf der wirr angeordneten Bühne mit kleinen pyrotechnischen Elementen, die ablenken von dem, was Peter Pan ist: ein tragisches und rastloses Kind, das nicht nur nicht erwachsen werden will, sondern nicht erwachsen werden darf.

Es wäre durchaus möglich gewesen, das Sujet in expressionistischem Stil zu inszenieren und dennoch dem Original-Pan gerecht zu werden. Im Ensemble befinden sich überaus begabte Künstler wie die Schwertschluckerin "The Beautiful Jewels", der Jongleur Ben Smalls und die Trapezkünstler "Romeo & Juliette". Denen ist jedoch nicht genug Aufmerksamkeit vergönnt, weil während der Einlagen ständig jemand brüllt, herumhüpft oder poltert. Ihr formidables Talent wird verschenkt in einem Wust aus Tanz und Gebrüll - und nach wenigen schönen Momenten werden sie von der Bühne verbannt.

"Das Leben ist keine Manege"

Wahrscheinlich muss man diese Inszenierung aufdröseln in seine Einzelteile. Es gibt sehr gelungene Elemente wie den Einzug des Bösewichts Hook oder die Szene, in der Peter Pan seinem Schatten hinterherjagt. Die artistischen Momente lockern die Inszenierung auf, die Darsteller dürfen glänzen. Igor Stravinsky als Elfe Glöckchen ist ein Meister an der Geige mit unverkennbarem komischen Talent, seine Band Konnexion Balkon untermalt die einzelnen Szenen gekonnt. Matthias Eberth als Hook und Maja Elsenhans als Wendy interpretieren ihre Rollen so, wie die Zuschauer diese Figuren im Sinn haben.

Es gelang Grunert allerdings nicht, die Elemente zu einem funktionieren Ganzen zu formen. Die Inszenierung wirkt chaotisch und lieblos - es gipfelt darin, dass der Zuschauer die Figur des Peter Pan am Ende nicht tragisch, sondern einfach nur unsympatisch findet und ihm das Irrenhaus gönnt, in das er gebracht wird - und Grunert deshalb nach der Vorstellung ausbuht.

Es ist kein Märchen und keine Kindergeschichte, die den Zuschauern geboten wurde, es ist aber auch keine schockierende und innovative Inszenierung für Erwachsene. "Das Leben ist keine Manege", ruft am Anfang des Stücks eine Schauspielerin. "Du musst endlich erwachsen werden!" Von Grunert hätte man sich gewünscht, dass er mehr Kind geblieben wäre.

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