Pasing/Obermenzing:Von Orgelöl und 1700 Perlen

Lesezeit: 3 min

Bei den Kulturtagen Pasing-Obermenzing trifft man alte Bekannte und sieht neue Kunst. Und man lernt den Wert der Entschleunigung am Biertisch

Von Jutta Czeguhn, Pasing/Obermenzing

Der Mensch hat heute keine Zeit, er hat Zeitfenster. Vier Stunden kann man an diesem Wochenendsamstag erübrigen für die Kulturtage im Stadtbezirk Pasing-Obermenzing, was sträflich knauserig ist, um auch nur eine Ahnung von den mehr als hundert Veranstaltungen zu bekommen, die von Freitag bis Sonntag an vielen Orten in den beiden Vierteln stattgefunden haben. Um gut voranzukommen und jede Minute zu nutzen, brauch's schon das Radl.

Auf dem Arcaden-Platz

Hier startet die Kulturtage-Tour gegen 12 Uhr und wird auch gleich heftig ausgebremst. Eine Masse Leute drängt sich vor dem Café Alex. Ein amerikanischer Dunkelbrause-Konzern verteilt kostenlos Flaschen mit ungewohnt grünem Etikett. Mit den Kulturtagen hat das eher nichts zu tun, aber irgendwie gehören diese Werbe-Events vor den Arcaden mittlerweile wohl auch zur Pasinger (Einkaufs-)Kultur. Auf dem Platz zwischen den beiden Blöcken der Shopping-Mall ist Flohmarkt. Von der Nordseite her schallt Jahrmarkts-Musik, sie kommt aus dem mechanischen Bauch von "Baders rollendem Tanzorchestrion". Davor hat sehr passend der Orgelbauverein von Maria Schutz seinen Stand aufgebaut, der unermüdlich Spenden sammelt für den Ankauf eines neuen Kircheninstruments. "Wir stehen aktuell bei 750 000 Euro", sagt Andrea Völkl vom Vorstand. 1,2 Millionen wird die Orgel für Pasings Stadtkirche kosten. Also weiter betteln, um Paten für die vielen Orgelpfeifen, um Käufer für den "Orgelhonig", den es am Stand gibt. Im Angesicht von so viel staunenswertem Engagement greifen auch bekennende Nichtkirchgänger ins Portemonnaie: "Einmal Orgelolivenöl, bitte!"

1 / 3
(Foto: Robert Haas)

Auf dem Jahrmarkt am Pasinger Stadtpark findet eine Skulptur von Javier Alvarez Bewunderer.

2 / 3
(Foto: Robert Haas)

In Obermenzing dreht man sich beim Volkstanz.

3 / 3
(Foto: Robert Haas)

In der Pasinger Fabrik geht Rap in den spontanen Dialog mit Kunstobjekten.

Die Flohmarkt-Tandler haben einen harten Vormittag hinter sich. "Das war ein schlimmer Platzregen", klagt ein älterer Pasinger, der seinen Stand direkt auf den Arcaden-Brunnen aufgebaut hat. Weil dieses im Boden eingelassene Wasserkunstwerk von Jeppe Hein aber noch nicht aktiviert ist, bleiben Werner Eugen Bela Maximilian Leopold Vornehm und seine Trödlerware trocken. "Ich heiße wirklich so, meine Großmutter hat gesagt, Namen kosten nichts, da nehmen wir reichlich", sagt Herr Vornehm. Und schafft es mit seinem unwiderstehlichen Verkaufstalent, einem ein Armband anzudrehen. "Mit 1700 Perlen, ich habe das genau gezählt und ausgerechnet."

Festplatz am Stadtpark

Durch das Pasinger Zentrum geht es Richtung Stadtpark, wo vor dem Karlsgymnasium ein Festplatz mit Buden und kleinem Karussell aufgebaut ist. Es ist gegen 13 Uhr und noch wenig los. Gleich am Platz-Entree ein Stand mit jungen Leuten. Es sind die Betreiber des "Velo-Cafés", jener Radl- und Kultur-Werkstatt im Pförtnerhäuschen der Kuvertfabrik an der Landsberger Straße, die es nur ganze vier Monate gegeben hat. Phillip Kosterhon und Simone Hijmans wollen den Pasingern in Erinnerung rufen, was da an sehr lebendiger Kultur verloren gegangen ist. Doch sie blicken auch nach vorne. Es gibt Pläne, eine neue Location zwischen Pasing und Laim. Ebenso leer wie das "Velo-Café" steht nun auch die Kuvertfabrik selbst. Über Jahre haben dort die Künstler Martin Siegler und Veronica Hoffmann ein Atelier- und Veranstaltungshaus betrieben. Auch sie mussten raus aus dem denkmalgeschützten Bau, der jetzt einem Investor gehört. Siegler und Hoffmann erzählen, dass ihre letzten Tage im Künstlerhaus sehr dramatisch gewesen seien und sie die entwürdigende Erfahrung einer Zwangsräumung machen mussten. Bei den Kulturtagen präsentieren sie am Rande des Festplatzes in einem blauen Galeriewagen ihre Kunst. Auch um zu zeigen: "Wir sind noch da."

Fundgrube: Auf den Flohmarkt bei den Pasing Arcaden wird Modeschmuck einmal anders präsentiert. (Foto: Robert Haas)

Auf dem Rundgang über den Platz trifft man Bekannte. Thomas Hasselwander von der Pasinger Fabrik schaut sich um am Stand von den Straßenbahnfreunden München. Einer, der Pasing quasi in aller Welt bekannt gemacht hat, war Helmut Winter. An den legendären Pasinger Knödelschützen, der US-Starfighter per Katapult mit Kloßteigkugeln vom Himmel holen wollte, erinnert ein Stand der Kinder- und Jugendwerkstatt. Dort kann man es ihm gleichtun und mit Filzbällen auf ein Pasing-Panorama ballern. Dem guten Herrn Winter, der auch im sehr hohem Alter noch voller Schalk war, hätte das enorm gefallen.

Am Zehentstadl

Zeit wird es, aufzubrechen und mit dem Rad Richtung Norden nach Obermenzing zu düsen, immer an der Würm entlang, vorbei an der Blutenburg. Am Zehentstadl angekommen, packt den Zeitfenster-Hektiker der pure Neid: Obermenzinger in Tracht drehen sich auf einem kleinem Podium gemächlich im Kreis zur Musik der Haxenschmeißer Geigenmusik. Mitten unter ihnen ist Willi Stappert an der Ziach. An Biertischen sitzen die Leute ganz entspannt, immer neue Gäste treffen ein. Manche haben ein Brotzeitkörberl dabei. Ein verstohlener Blick auf die Uhr. Was wäre, wenn man sich jetzt dazusetzen würde, und wie alle anderen hier einfach ein wenig die Zeit vergäße?

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: