Pasing:Unter einem Hut

Pasing: Stolze Doktores: Gabriele und Manfred Pfeifer freuen sich über ihre späte, aber überaus erfolgreiche akademische Karriere.

Stolze Doktores: Gabriele und Manfred Pfeifer freuen sich über ihre späte, aber überaus erfolgreiche akademische Karriere.

(Foto: Robert Haas)

Gabriele und Manfred Pfeifer, beide in den Siebzigern, freuen sich über ihre jüngst erworbenen Doktor-Titel

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Sie halten sich schwer in der Hand, die 428 Seiten DIN-A4-Papier. So dick ist die Dissertation von Gabriele Pfeifer. Seit diesem Sommer darf die 70-Jährige das "Dr. phil" vor ihrem Namen tragen, was sie ohne falsche Bescheidenheit auch tut. Ihr Mann Manfred, 72, war mit seiner Promotion zwei Jahre früher fertig. Wie viel er denn geschrieben hat? Keine Ahnung, da müsse er erst mal nachsehen. Pfeifer geht hinüber ins Arbeitszimmer der Pasinger Wohnung und kommt mit 360 Seiten Doktorwürde zurück. "Sollen wir die jetzt auf die Küchenwaage legen?", lacht Gabriele Pfeifer und betrachtet die beiden Dissertationen auf dem Wohnzimmertisch. Sie selbst hat über Findelkinder promoviert, ihr Mann über Rassismus in Reiseberichten.

Man wäre nun auf der komplett falschen Spur, wollte man da irgendeinen Wettbewerb zwischen den Eheleuten konstruieren. Die Pfeifers haben stets alles als Team hinbekommen: Firmen aufgebaut und wieder verkauft, mit 50 das Abitur auf dem Abendgymnasium nachgeholt, mit Anfang 60 ein Studium mit Magister abgeschlossen, und dann mit mehr als siebzig Jahren den Doktorgrad erlangt. "Die wichtigsten Entscheidungen in unserem Leben", sagt Gabriele Pfeifer, "haben wir immer von einem Tag, manchmal von einer Stunde auf die andere getroffen". So war es auch mit der Promotion. Und immer stand fest: "Gemeinsam schaffen wir das!"

Warum entwickelt jemand in einem Alter, da andere in VHS-Kursen die italienische Sprache traktieren oder aus Zeitvertreib Vorlesungen konsumieren wie den Nachmittagskaffee, einen brennenden akademischen Ehrgeiz? Die Pfeifers, nunmehr promovierte Ethnologen und Historiker, kommen bei der Suche nach einer Erklärung in ihrer Kindheit an. Beide sind in Handwerkerfamilien aufgewachsen, sie in Neuhausen, er in Untergiesing. Einfache Leute seien die Eltern gewesen, nicht auf der Habenseite des Lebens. "Dabei waren unsere Väter hochintelligente Männer, aber eben so arm, dass man auch sie nur Handwerksberufe lernen ließ", erzählt Gabriele Pfeifer.

Wie ihr Mann zählt sie zu den Klassenbesten in der Volksschule. Doch mit 14 Jahren ist damit Schluss, sie müssen Geld verdienen. Die beiden Lehrlinge lernen sich 1958 im Bruckmann-Verlag kennen, da ist sie 14, er 15 Jahre alt. 1961 - Gabriele Pfeifer legt Wert auf dieses Detail - macht sie ihm einen Heiratsantrag, 1965 dann die Hochzeit. 1966 wird Tochter Marion geboren, die heute als Filmemacherin arbeitet. Die Pfeifers wachsen von der Pike hinein ins Verlagsgeschäft. Zwei Mal werden sie sich in dieser Branche sehr erfolgreich selbstständig machen, und zwei Mal ihre Firmen rechtzeitig verkaufen. "Ums Geld verdienen ging es mir nie, nur um die Frage, kann ich das", sagt Manfred Pfeifer.

Als es beruflich nichts mehr zu beweisen gibt, schaffen sie sich neue Herausforderungen, ziehen ein Pflegekind groß, geben Unterricht für Asylbewerber und erfüllen sich schließlich den Traum, die so jäh abgebrochene Bildungskarriere fortzusetzen. Ob auf dem Abendgymnasium oder im Studium, immer gehören sie zu den Ältesten. Was aber im Lernalltag schnell keine Rolle mehr spielt. Die Eheleute sind als reguläre Studenten akzeptiert, büffeln und feiern mit den Jungen, schieben sich Briefchen in den Vorlesungen zu. Text: "Gehen wir nachher zum Weißwurst-Essen?" Nur mit der Mensa können sich die Pfeifers nicht recht anfreunden.

"Über Menschen am Rande der Gesellschaft haben sich meine Eltern immer Gedanken gemacht und Kontakt zu diesen gesucht", sagt Tochter Marion, die sich in ihren Filmen intensiv mit Frauenhandel, Zwangsprostitution und Armut beschäftigt. Für sie kam es deshalb kaum überraschend, dass die Eltern ein Studium wählten, in dem sie sich "Geschichte von unten" widmen konnten: Kulturanthropologie und bayerische Kirchengeschichte. Auch die Themen, die sie in ihren Doktorarbeiten aufgriffen, passen zu Menschen, die laut Marion Pfeifer "Mainstream-Ansichten nie kritiklos hingenommen haben".

Gabriele Pfeifer hat die Situation der Münchner Findelkinder erforscht und dazu Taufmatrikel von 1600 bis 1820 ausgewertet. Eine Wühlarbeit, bei der sie viel Zeit im Archiv des Erzbischöflichen Ordinariats verbrachte. So empirisch, so streng wissenschaftlich sie in ihrer Doktorarbeit vorgegangen ist, so leidenschaftlich kann sie darüber sprechen. Über die bittere Not dieser Kinder, die auf der untersten Stufe der Gesellschaft vegetieren mussten, viele ohne Namen. "Und wer keine Namen hat, existiert nicht", sagt sie. Die Findelkinder nennt sie "meine Kinder". Tränen der Wut treibt es ihr in die Augen, wenn sie über die Rolle der katholischen Kirche bei der Stigmatisierung dieser Ärmsten der Armen spricht. Gabriele Pfeifer fasst das in zwei Worten zusammen: "Hauptsache getauft."

Manfred Pfeifer musste keine lateinisch verfassten Quellen studieren, er recherchierte für seine Dissertation die Berichte von Afrika-Reisenden im Internet. Auch er hat bei seinen Studien Ernüchterndes über die Gattung Mensch erfahren müssen. "Die meisten kommen so dumm zurück, wie sie losgefahren sind", bringt er die Ergebnisse seiner Arbeit ernüchtert auf den Punkt. Wobei "dumm" in diesem Fall fast schon zu harmlos klingt. Pfeifer hat in den Reiseberichten maßlosen Rassismus lesen müssen - Stereotypen, wie sie zu den Hochzeiten des Kolonialismus oder im Nationalsozialismus verbreitet waren.

Die Pasinger Eheleute haben also ihre Doktor-Titel, ein "wunderschönes Abfallprodukt" ihres Forschungsdrangs, wie Gabriele Pfeifer sagt. Sie selbst will weitermachen, noch mehr über die Findelkinder herausbekommen. Ihr Mann ist noch etwas unentschlossen, ihn würde es aber reizen, seine Rassismus-Forschung noch einmal von vorne zu beginnen. Er hat den berechtigten Verdacht, dass durch Phänomene wie Pegida die gefährliche Dummheit bei seinen Mitmenschen noch zunehmen wird.

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