Pasing:Über die Brücke

Für den Länderschwerpunkt Türkei haben sich die Programm-Macher der Pasinger Fabrik nach Istanbul begeben und sind dort eingetaucht in eine Kulturszene, in der die staatliche Repression deutlich zu spüren ist

Von Jutta Czeguhn

Türkei. Bislang gibt es nur diesen schlichten Arbeitstitel für das Festival im kommenden Herbst. Die Optik zum Programm aber steht schon: ein Glas Tee, dem man fast auf den Grund blicken kann, zwei Zuckerwürfel, ein Löffel auf einer weißen Untertasse mit roten Ornamenten. Das Team der Pasinger Fabrik war wieder unterwegs. Diesmal ging's nach Istanbul. Die Kulturmanager ließen sich mitreißen von der Stadt am Goldenen Horn und sie konnten ziemlich tief eintauchen in die Künstlerszene, die unter Druck geraten ist. "Viele, die wir getroffen haben, sagen, die Türkei entwickle sich zu einem zweiten Iran", berichtet Sinem Gökser, die in der Pasinger Fabrik für das Theaterprogramm zuständig ist. Ihre Eltern kamen einst aus der Türkei nach Deutschland.

Länderschwerpunkte haben in der Pasinger Fabrik Tradition, 2014 begaben sich die Kuratoren dafür zum ersten Mal auf Reisen, nach Teheran. Das Team um Geschäftsführer Frank Przybilla kam mit "Good News from Iran" zurück. So der Festival-Titel damals, der nicht ironisch gemeint war, aus heutiger Sicht vielleicht etwas zu optimistisch. Damals waren sie in Teheran von einem Künstlerzirkel zum nächsten gereicht worden, hatten Dissidenten getroffen und solche, die kreative Strategien im Umgang mit der staatlichen Zensur entwickelt haben. Sie hatten Galerien, Hinterhoftheater und Clubkonzerte besucht und in Wohnungen von Filmregisseuren die Nächste durchdiskutiert - und auch durchgetrunken. Das Pasinger Publikum konnte sich dann ein paar Monate später mit Ausstellungen, Theater-, Tanz- und Musikabenden ein Bild machen von einem Land, das enorm jung ist und einen Zickzackkurs fährt zwischen Repression und Reformen. Wichtig war den Programm-Machern, Künstler aus dem Iran in der Fabrik zu haben, keine Exilanten.

Pasing: Im Jahr 2010 war Istanbul Kulturhauptstadt Europas. Gefühlt scheint das sehr lange her zu sein.

Im Jahr 2010 war Istanbul Kulturhauptstadt Europas. Gefühlt scheint das sehr lange her zu sein.

(Foto: AP)

So wollen sie es auch diesmal halten. "Wir werden Leute hierher holen, die in Istanbul leben, sich dort behaupten, was zunehmend schwieriger wird", sagt Frank Przybilla. Als für sie die Türkei als Länderschwerpunkt feststand, seien die Entwicklungen in ihrer heutigen Zuspitzung noch nicht absehbar gewesen; weder die Rolle der Türkei im EU-Flüchtlings-Poker, schon gar nicht die Erdoğan-Böhmermann-Affäre. Umso relevanter, spannender, arbeitsintensiver werde das Projekt für alle Beteiligten in den kommenden Monaten bis zum Festivalstart im Oktober, ist sich der Fabrik-Geschäftsführer sicher.

Das Grundgerüst für ein dezidiert politisches, aber auch sinnlich emotionales Festival steht. "Istanbul. Passione, gioia, furore" war der Titel einer Ausstellung zeitgenössischer türkischer Kunst, die bis 8. Mai in Rom zu sehen war. Ceren Erdem aus dem dortigen Kurator-Team wird für eine Schau mit ähnlichem Ansatz in der Fabrik verantwortlich sein. Etliche Künstler der Rom-Ausstellung sind für Pasing angefragt. "Es wird um Gentrifizierung gehen, urbane Veränderungen, um politische Konflikte, die sich daraus ergeben, um die kulturelle Identität", sagt Thomas Linsmayer, Kurator von Fabrik-Seite.

istanbul Tram

Zwischen Tradition und Moderne: unterwegs in der historischen Straßenbahn, die vom Taksim-Platz zur Tünel-Station fährt.

(Foto: Sinem Gökser)

Sinem Gökser hat ein Theater- und Tanzprogramm konzipiert, junge Ensembles eingeladen, die ein Bild der modernen Türkei vermitteln. Dabei sein wird etwa Ciplak Ayaklar Kumpanyasi, ein Projekt, das Performance, Drama und Video in den Modern Dance integriert. Der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Haydar Zorlu, der in Istanbul ein deutsch-türkisches Theater gegründet hat, bringt ein Solo von Goethes "Faust" auf die Fabrikbühne. Es wird Lesungen geben, etwa aus dem Roman "Deliduman" von Emrah Serbes, der beinahe zu zwölf Jahren Haft verurteilt wurde, weil er den Staatspräsidenten in einem TV-Auftritt "Recep Wasserdruck Gasdogan" genannt hatte. Auch Filme über die Gezi-Proteste sind geplant. Carsten Mayer, Musik-Chef der Fabrik, hat sich in der Istanbuler Szene umgetan und "Baba Zula" verpflichten können. Die Psychedelic-Rock-Band war in Fatih Akins Film "Crossing the Bridge" zu hören. Fabrik-Chef Frank Przybilla sagt, er fühle sich wie ein "Kind unterm Weihnachtsbaum", das immer neue Päckchen auspacken dürfe. So viele Impulse gebe es für das Festival, das nun noch auf seinen Namen wartet.

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