Pasing:Schwestern im Geiste

Kulturschwestern Pasinger Fabrik

Die Kunstschwestern vor alten Meistern im Amsterdamer Stedelijk Museum: Johanna Schöll (links) und Marlies Reccius.

(Foto: privat)

Seit 2003 arbeitet eine Gruppe Ehrenamtlicher in der Pasinger Fabrik - und öffnet neue Sichtweisen auf den Kulturbetrieb

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Kultur ist ohne jeden Zweifel eine lebenserhaltende Maßnahme. Ersthelfer in dieser Mission sind in der Pasinger Fabrik die "Kulturschwestern", wie sie sich nicht ohne sanfte Selbstronie nennen und in ihrem Logo präsentieren. Seit 2003 assistiert die Gruppe Ehrenamtlicher dem Team der Fabrik. Ein in München bislang einmaliges Projekt, was Stefan-Maria Mittendorf immer aufs Neue verwundert. Er ist im Pasinger Bürgerzentrum Kurator für zeitgenössische Kunst und dort auch für das Freiwilligenmanagement zuständig. Die Kulturschwestern, die anfangs noch nicht so hießen, waren seine Idee. Gerade war er mit zwanzig Schwestern und einem "Quotenbruder" zum Erfahrungsaustausch bei den Kollegen im Amsterdamer Stedelijk Museum. In Holland, haben sie festgestellt, ist man schon sehr viel weiter. Ähnlich wie in den USA, ist es dort für Kultureinrichtungen selbstverständlich, auf Volunteers, also Freiwillige, zu bauen.

Die Fabrik als städtisches Mehrspartenhaus bietet Ehreamtlichen Mitarbeit in den Bereichen Kunstausstellung, Theater, Kabarett, Konzert oder Oper an. Sie unterstützen die Hauptamtlichen unentgeltlich. Allerdings werden ihnen Fahrtkosten erstattet, zudem gibt es für sie Versicherungsschutz und freien Zutritt zu allen Kulturveranstaltungen im Haus. Als "Urgestein" der Gruppe beschreibt sich Rosemarie Solleder-Marzoch. Die ehemalige Krankenschwester ist nicht ganz unschuldig am Namen des Volunteer-Projekts. "Ich habe lange in der Pflege gearbeitet, deshalb wollte ich ehrenamtlich etwas anderes, etwas Kulturelles machen", erzählt die heute 71-Jährige.

Mit diesem Wunsch ist sie kein Einzelfall. "Laut Freiwilligen-Survey des Bundestages liegt der Bereich Kultur auf Platz vier der Beliebtheitsskala, 98 Prozent der Angebote aber gibt es im sozialen oder im Umweltbereich", bedauert Stefan-Maria Mittendorf. Die Studie der Bundesregierung zum Ehrenamt stammt aus dem Jahr 2009. Seither habe sich im Kulturbereich vieles gewandelt, beobachtet der Kurator. Der nächste Bericht zum bürgerschaftlichen Engagement wird für dieses Jahr erwartet. Er ist gespannt.

Rosemarie Solleder-Marzoch erinnert daran, wie sich die Schwestern anfangs erst einmal Strukturen geben und Anerkennung verschaffen mussten. Sie betreut vor allem die Ausstellungen, ist während der Öffnungszeiten in den Galerieräumen präsent, in die Vorbereitungen und den Ablauf von Vernissagen eingebunden. Solleder-Marzoch hat da das "Anti-Häppchen-Prinzip" eingeführt. Eine Art Erziehungsmaßnahme für jene Vernissage-Gäste, die noch vor der offiziellen Eröffnung das Buffet leer fressen und die Weinflaschen entkorken. Die Kulturschwester hat das unterbunden. "Ich bin da knallhart", sagt sie. Inzwischen wird das Buffet in der Fabrik-Galerie erst nach den Reden freigegeben.

Auch Johanna Schöll gehört zum Freiwilligenteam, das die Ausstellungen bestreut. Die 66-Jährige ehemalige Ergotherapeutin mag es, mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen: "Als wir die große Iran-Schau hatten, waren viele Iraner da, bei den Steve-McQueen-Fotos lauter Steve McQueen-Verschnitte, bei Barlach dann Spezialisten." Sie könne so ihr Wissen über Kunst erweitern und dies an andere weitergeben. Natürlich, räumt sie ein, gefalle ihr nicht alles, was da an den Wänden hängt.

Seit zehn Jahren ist Waltraud Tzschentke dabei, sie kümmert sich um die Besucher der Oper in der Pasinger Fabrik, ihre Passion. "Mein Vater Adolf Keil, ein Bass, war Kammersänger an der Bayerischen Staatsoper", erzählt die 76-Jährige stolz. Als sie 2000 in Rente ging, wollte sie ihre Abende nicht vor dem Fernseher verbringen und suchte lange nach der passenden Betätigung. Ältere Leute zur Oper begleiten, sei eine Idee gewesen. Doch dann hörte sie vom Projekt in der Fabrik.

Von der Amsterdam-Tour sind die Pasinger Kulturschwestern schwer beeindruckt zurückgekommen. Wie Stefan-Maria Mittendorf fragen auch sie sich, warum es in München nicht mehr Freiwilligen-Angebote auf dem Kultursektor gibt. Jenny Becker, Sprecherin des Kulturreferats, sieht indes viele Möglichkeiten, wie sich bürgerschaftliches Engagement hier entfalten kann. Das Referat sei auch stets auf der "Freiwilligen-Messe" im Gasteig präsent. Und die Stadt wertschätze das Ehrenamt auch, die Kulturschwestern etwa seien schließlich zu ihrem Zehnjährigen 2013 mit der Urkunde "München dankt" ausgezeichnet worden. Grundsätzlich seien die Schwestern ebenso einzigartig wie andere Projekte. Und sie zählt auf: Da ist etwa der Verein "Lesefüchse" in den Stadtbibliotheken. Ehrenamtliche veranstalten Vorlesestunden für Kinder, zudem Bücherflohmärkte. Oder die Moosacher "Linie 1", ein Kulturverein, der nur mit Ehrenamtlichen arbeitet und unter anderem das Pelkovenschlössl bespielt. In Freimann gibt es eine enge Kooperation von Freiwilligen mit der Mohr-Villa.

Entscheidend ist laut Jenny Becker jedoch: "Keinesfalls wird das unbezahlte Ehrenamt als Alternative zu bezahlter Beschäftigung oder gar zur Kompensation von Personaleinsparungen gesehen." Es sei vielmehr eine Ergänzung. So seien auch arbeitsrechtliche Grenzen zu beachten: Museumsaufsicht etwa, wie sie die Kulturschwestern ausüben, sei in "sicherheitsrelevanten Bereichen" städtischer Sammlungen nicht möglich. Auch was Führungen angehe, gebe es eine verbindlich definierte Qualität, die man vorhalten müsse. Hier ziehe das Kulturreferat also klare Grenzen zu vergüteter Arbeit.

Stefan-Maria Mittendorf schätzt die Unterstützung seitens der Stadt. Allerdings ist seine Vision die von mehr Partizipation, von neuen Zugängen für die Volunteers im Kulturbetrieb. "Ich denke, man muss da vom hohen Sockel herunterkommen, weg von Label des Expertentums, denn es gibt viele Experten, weil es so viele Sichtweisen auf die Kunst gibt."

Stefan-Maria Mittendorf ist Ansprechpartner für Fragen rund ums Ehrenamt in der Pasinger Fabrik. Telefon 82 929 013 oder unter s.mittendorf@pasing-fabrik.com.

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