Pasing:Mondsüchtig

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(Foto: Lukas Barth)

In der Pasinger Fabrik hat an diesem Freitag Antonín Dvořáks Oper "Rusalka" Premiere. Eine Sommerspielzeit lang versucht die traurige Wassernixe, ein glücklicher Mensch zu werden

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Wenn die Wassernixe ihr "Lied an den Mond" singt, erwacht die silberne Scheibe zum Leben. Die Kraterlandschaft beginnt, in vielen gegenläufigen Bahnen um die eigenen Achse zu kreisen. Später wird der Mond in allen Oktaven der Farbe Rot pulsieren. Dann wieder imitiert er, blau angelaufen, den Erdball oder bekommt Risse wie ein verdursteter Wüstenboden. Um den Mond dreht sich alles in Julia Dippels Inszenierung von Antonín Dvořáks Oper "Rusalka", die an diesem Freitag, 19.30 Uhr, in der Pasinger Fabrik Premiere hat. Er ist der "Fixstern" in dieser traurigschönen Unter- und Über-Wasserwelt. Auch das Publikum wird Gelegenheit bekommen, mondsüchtig zu werden.

Der Mann auf der dunklen Seite des Mondes heißt Marc Molinos. An diesem Probentag sitzt er in der kompakten Finsternis der Fabrik-Wagenhalle. Vor sich auf dem Bistrotisch sein Computer, von dem aus er die Videoeffekte auf der Bühne überwacht. Auf einem Zettel macht sich Molinos eifrig Notizen, in akkurater Zwergenschrift. Grafologen wären schnell mit einer Deutung bei der Hand: ein Perfektionist! Es ist das erste Mal, dass die Oper in der Pasinger Fabrik Video in ihre Produktion aufnimmt. Mit Molinos hat man einen ziemlich erfahrenen Visual Artist am Rechner. Der Mann aus Barcelona arbeitet viel für die katalanischen Bilderstürmer "La Fura dels Baus". So hat er bei Jörg Widmanns wildwuchernder "Babylon"-Oper die 3D-Effekte entwickelt oder beim Wagner-Verdi-Spektakel vor der Staatsoper die Videos und die Live-Kamera produziert. Im Nationaltheater sind selbst die Probenräume großzügiger als die enge Bühne der Wagenhalle. Aber gerade diese Intimität sei das Reizvolle, sagt Molinos und wendet sich wieder seiner langen Liste der Korrekturen zu.

Auch Regisseurin Julia Dippel sieht noch einige Arbeit vor sich bis zur Premiere. Die Klavierprobe an diesem Tag ist der erste volle Durchlauf in Kostümen samt Video und - auch das ist neu - Tanzeinlagen. "Ihr müsst nicht aussingen, aber ich will, dass ihr mit Spannung spielt. Habt Spaß!", hat sie zum Probenstart die Parole für die Truppe ausgegeben. Dippel, Anfang 30, ist so etwas wie ein "Eigengewächs" an Münchens kleinstem Opernhaus. Nach diversen Assistenzen hatte sie 2011 den "Don Giovanni" und 2013 "Die lustigen Weiber von Windsor" eigenverantwortet, beides Schmuckstücke in der inzwischen langen Liste der Pasinger Opern-Fabrik. Mit "Rusalka" wagt sich das Team nun erstmals an das slawische Repertoire.

"Měsíčku na nebo hlubokém . . . ", so beginnt im Original das "Lied an den Mond". Eine Wunschkonzertnummer, auch bei jenen, die Dvořáks Opernmärchen von der Wassernixe Rusalka, die aus Liebe zu einem Prinzen die Menschwerdung riskiert, nicht kennen. "Das fühlt sich so ganz anders an", sagt Karolína Plicková, eine der beiden Pasinger Rusalkas, in der Probenpause. Sie hat die blonde Lockenperücke vom Kopf gezogen, es ist schwül in der Wagenhalle, der Video-Vollmond heizt ordentlich ein. Plicková ist Pragerin, die Melancholie der Mond-Arie ist für sie ein vertrauter Seelenzustand. Sie hat sie schon viele Male konzertant gesungen, damit sogar einen Preis bei Nikolaus Harnoncourts Styriarte 2007 gewonnen. Noch nie aber hat sie die Partie auf der Bühne gespielt - ihre erste Rusalka also, und dann in Deutsch. Sie habe die Rolle zunächst in ihrer Muttersprache einstudiert und dann den deutschen Text gelernt, erzählt die 32-Jährige. Im Tschechischen sitzen die Vokale weiter hinten in der Kehle, im Deutschen hat die Stimme einen anderen Fokus. Karolína Plicková fremdelt etwas mit der Version, die Julia Dippel aus vielen Übersetzungen montiert und auch neu formuliert hat. Tolle Arbeit habe Julia da geleistet, ja. "Aber es ist auf Deutsch eine andere Oper."

An sich ein leichter lyrischer Sopran, kann Karolína Plicková im dramatischen Ernstfall aufdrehen und wunderbar stabil bleiben. Was sie selbst übrigens am meisten erstaunt. "Ich hatte mich eigentlich für den Küchenjungen beworben", sagt sie. Diese lyrischere Partie singt Christina Bernhardt, eine gebürtige Russin, die zur Probe ihre Mutter und ihren Sohn Jason mitgebracht hat. Der ist gerade mal zweieinhalb und wird von der Oma mit Eis belöffelt. Manchmal nickt der Kleine ein, dann wieder starrt er mit klopfendem Herzen hypnotisiert auf die Bühne.

Ein Wassermann, der aus dem Brunnen steigt, ein Reliefgesicht, dem die Tränen kullern, ein Irrlichter-Gewitter: Regisseurin Dippel findet viele magische Bilder. Sie inszeniert die Rusalka auf der Pasinger Bühne - auch ohne Fischschwanz - werktreu als "lyrisches Märchen". Kühlt das Ganze weder herunter, noch wirkt das Stück hier ultrahocherhitzt, wie bei Martin Kušej an der Staatsoper, der die Welt der Wassergeister zum niederösterreichischen Inzest-Verlies stilisierte. Dippel hat Dvořáks Oper um eine Dreiviertelstunde gekürzt, um sie für die Pasinger Möglichkeiten - kleines Budget, kleines Ensemble, kleines Orchester - spielbar zu machen. Schwerstarbeit. Das gilt auch für Andreas Pascal Heinzmann am Pult. Gemeinsam mit dem Kontrabassisten Maximilian Fraas hat er Dvořáks an Motiven so verschwenderisch reiche Partitur für das zehnköpfige Orchester arrangiert. Eine Musik, die mit ihrer tiefen Melancholie aufwühlt, rührt. Die Probe ist vorbei, die Spannung löst sich. Dirigent Heinzmann kommt am Tisch von Klein-Jason vorbei und fleht erschöpft: "So ein Eis will ich auch!". Das Kind schaut noch ein wenig benommen zur Bühne, wo der Mond per Mausklick untergegangen ist.

Rusalka, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, 19. Juni bis 16. August, Anmeldung und genaue Termine unter www.pasinger-fabrik.com.

© SZ vom 19.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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