München:Kreativer Eintopf

Bis zum Abriss wird die "Pappschachtel" am Pasinger Marienplatz zur Heimat von Künstlern und Musikern

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Ehe der Kommerz und Übernachtungsgäste die Szene dominieren, werden Künstler für kurze Zeit in der sogenannten Pappschachtel am Pasinger Marienplatz Quartier beziehen. Der zweistöckige Behelfsbau aus den Zwanzigerjahren soll bald einem Geschäftskomplex mit Hotel weichen, voraussichtlich bis Ende April aber wird in den sieben Ladenzeilen gekocht, genäht, gemalt, gesungen, getrunken, fotografiert und musiziert. 15 Bewerber gab es insgesamt für dieses Turbo-Zwischennutzungsprojekt. Jetzt stehen die neuen Pächter fest. Ein kreativer Eintopf wurde da von der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung mbH (MGS) zusammengerührt: Wer hätte sich beispielsweise jemals vorstellen können, dass der Klangkörper der Bayerischen Philharmonie einmal in einem ehemaligen Friseursalon proben wird?

Ein "Philharmonisches Schaufenster" will Intendant und Chefdirigent Mark Mast im kleinen Laden eröffnen. Sein Verein, der 2500 Mitglieder und Mitwirkende hat, residiert mit seinen zahlreichen Orchestern und Chören etwas abseits an der Pasinger Bäckerstraße. Wenn auch nur vorübergehend, wird die Filiale direkt am Pasinger Marienplatz der Bayerischen Philharmonie nun Gelegenheit bieten, sich etwas mehr in den Mitte der öffentlichen Bühne zu rücken. Wo bis vor kurzem noch Haare zu Discountpreisen ("Damen ab zwölf Euro") geschnitten wurden, wird es nun Infos zu den Konzerten, Workshops und Projekten der Philharmonie geben - außerdem Tickets und CDs "zu Sonderkonditionen", wie Mark Mast verspricht. Wer dann durch die Scheiben des Philharmonischen Schaufensters blickt, kann zudem etwas von der wöchentlichen Probenarbeit mitbekommen. Der Laden sei "offen für Musiker ", sagt der Intendant.

Direkte Nachbarin der Musiker wird Ursula Ambach. Sie will das Nagelstudio, das einmal den bescheidenen Namen "Chicaria" trug, in eine öffentliche Nähwerkstatt und Galerie verwandeln. Ambach hat eine Kollektion von Stofftieren entworfen, die sie weiterentwickeln will. "Ich werde Aufträge von Besuchern annehmen und umsetzen", erklärt sie ihr Konzept. Sie arbeitet auch nach Zeichnungen von Kindern.

Als Mitte Januar bei gar nicht molligen Temperaturen der Besichtigungstermin in der Pappschachtel anstand, hatte sich Andreas Hantschke auffällig für die "Ladeneinheit 3", den ehemaligen Backshop, interessiert. Mit seinem gekachelten hinteren Raum und den Anschlüssen bietet dieser Laden nämlich beste Voraussetzungen für das Projekt, das der 26-jährige Fotograf und Künstler im Kopf hat. Hantschke möchte ein "Pasinger Kochbuch" produzieren - er will Ortsansässige aus unterschiedlichen Bereichen zu sich in das Studio einladen, sie beim Kochen fotografieren und porträtieren. Das Endprodukt soll dann die kulinarische und kulturelle Vielfalt des Viertels vor Augen führen. Dazu muss der junge Fotograf nun eine Küche einbauen, eine gewerbliche Konzession braucht er allerdings nicht, da er den Laden nicht gastronomisch nutzen wird. Pasinger, die Interessen am Kochen für Andreas Hantschkes Buch haben, können sich schon jetzt bei ihm per E-Mail unter kochenmit@andreas-hantschke.de melden.

In der Pappschachtel war auch ein Trachten-Outlet untergebracht. Dieser Laden wird nun zur temporären Ausstellungsfläche und bekommt gleich zwei Projekte, die sich ablösen werden. Den Anfang macht die Galerie "Zeitlang-Kunst", deren Schau den dem Ort angemessenen Titel "Abbruch/Aufbruch" trägt. Vier Künstler werden genreübergreifend Arbeiten zum Thema Wandel und Erneuerung zeigen. Vernissage von Timur Dizdar, Johanna Marxer, Irina Schicketanz und Hetti Schubert-Schwall ist am Freitag, 19. Februar, um 19 Uhr. Die Öffnungszeiten sind jeweils Donnerstag bis Samstag von 11 bis 19 Uhr.

Die Schau wird bis zum 12. März dauern, dann übernimmt der Kultur- und Heimatpflegeverein "D'Pasinger" den ehemaligen Trachtenladen. Er wird dort die Fotoausstellung "Pasing - alte Bilder und neue Ansichten" zeigen, die schon im vergangenen Mai während der Pasinger Kulturtage im Rathaus zu sehen war. Die Schau stellt historischen Postkarten-Motive die heutige Situation gegenüber. "So kann sich der Betrachter ein Bild über die Veränderungen in Pasing während der vergangenen 100 Jahre machen", sagt Stefan Aschenbrenner. Der Verein will regelmäßige Öffnungszeiten abends und am Wochenende anbieten.

"Flostern" hieß der Secondhand-Markt in der Pappschachtel-Ladenzeile. Diesen Raum werden sich ebenfalls zwei Projekte teilen, allerdings zur selben Zeit. Die einen, eine Gruppe junger audio-visueller Künstler, hat sich Lichtinstallationen vorgenommen. "Gerne dürfen Passanten, dabei zusehen, Fragen stellen und auch mitmachen", erklärt Organisator Matthias Stadler. Auch Workshops könnten mit den Pasingern zusammen stattfinden. Das Team, das zum Netzwerk der Veranstaltungsgruppe "Tam Tam" gehört, betreibt etliche Zwischennutzungsprojekte in München.

Die anderen Bewohner dieser Künstler-WG auf Zeit im Flohstern sind Edward Beierle und Hermann Miller. Sie wollen dort im Laden mit den Passanten an einer Montage beziehungsweise Collage arbeiten. "Was für ein Material könnte für die Pappschachtel besser geeignet sein als Pappe", beschreibt es Fotograf Beierle. Und Licht werde bei diesem Projekt die Hauptrolle spielen. Die Pasinger sollen in "Lichtkleider" schlüpfen und sich fotografieren lassen. Ein "Denkmal der Vergänglichkeit" werde entstehen.

Ende April wird der schöne Kulturspuk vorbei sein. Dann werden die Kurzzeitmietverträge auslaufen, welche die Zwischennutzer mit dem Investor von Bucher Properties zu besonderen Konditionen geschlossen haben: Miete müssen sie nicht überweisen, allerdings für die Betriebskosten und den möglichen Umbau der Räume aufkommen. Ein kleiner staatlicher Zuschuss, den die MGS ihnen vermittelt hat, deckt einen Teil der Kosten. Wenn die Künstler die Ladenzeilen wieder verlassen haben werden, bricht der letzte Abschnitt im beinahe hundertjährigen Dasein der Pappschachtel an: der Abriss dieses erstaunlich langlebigen Provisoriums, das seinen Namen von schlechten Baustoffen hat, die nach dem Ersten Weltkrieg zur Verfügung standen. Vielleicht werden sich ja die Wissenschaftler vom Centrum Baustoffe und Materialprüfung der TU München, die an der Pasinger Baumbachstraße sitzen, ein paar Proben sichern.

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