Pasing:In Schönheit sterben

Ehe Ende April die Abrissbagger kommen, soll die Pappschachtel am Pasinger Marienplatz zum Kreativquartier werden. Für die mietfreie Zwischennutzung der Ladenzeilen gibt es viele Bewerber

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Barbara Holzherr unterbricht sich selbst und stürmt aus der "Pelzbar". Durch das Schaufenster des ehemaligen Pelzmodengeschäftes Schweisz sieht man, wie sie jemandem hinterher ruft. Kopfschüttelnd kehrt sie zurück: "Dieser Briefträger, überall wirft er noch die Post ein!" Weder Couturier Schweisz noch die Betreiber des Trachtenladens werden ihre Briefkästen noch leeren in der sogenannten Pappschachtel am Pasinger Marienplatz. Sie sind ausgezogen, ebenso wie das Second-Hand-Geschäft "Flostern", der Backshop, das Nagelstudio und der Friseur.

Vermutlich im Mai wird der zweistöckige Behelfsbau aus den frühen 1920er Jahren abgerissen, um einem Geschäftszentrum samt Hotel Platz zu machen. Bis es soweit ist, sollen Kreative die verwaisten Ladenzeilen mietfrei nutzen können. An diesem Donnerstag, 14. Januar, läuft die Bewerbungsfrist dafür aus. In der Pelzbar, die so etwas wie die Vorhut der Zwischennutzer am Platz ist, haben sich Anfang der Woche einige Interessenten getroffen.

Es ist warm im ehemaligen Pelzgeschäft, wo Jörg Kochmann und Barbara Holzherr die potenziellen Zwischennutzer empfangen. Der Mitarbeiter der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung mbH (MGS) und die Geschäftsführerin der Camatti-Bar in Pasing sind vom städtischen Planungsreferat damit betraut, das Projekt zu organisieren. Kochmann, weil er im vergangenen Sommer das gelungene Kulturfestival "Pasing by" als Teil des Förderprogramms "Aktive Zentren" auf die Beine gestellt hat. Holzherr, weil sie und ihr Team während der Festivaltage mit der Pelzbar gezeigt haben, dass die Pasinger offen, geradezu dankbar sind für kreative Zwischennutzungen. Der historischen Bar-Tresen, den die Camatti-Leute im Sommer installiert haben, blieb stehen. Auch sonst hat Holzherr einiges in die Renovierung der Räume investiert.

Pasing: 1921/22 als Behelfsbau am Pasinger Marienplatz errichtet, hat die "Pappschachtel" lange durchgehalten.

1921/22 als Behelfsbau am Pasinger Marienplatz errichtet, hat die "Pappschachtel" lange durchgehalten.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ende Dezember konnte die MGS ihren Aufruf zur Bewerbung für die Zwischennutzung der Pappschachtel in die Münchner Kreativ-Szene funken. Interessenten hatten nur bis zu diesem Donnerstag Zeit, ihre Pläne darzustellen. Eine extrem kurze Phase für die Bewerbung einerseits und den Betrieb der Läden andererseits, mit dem es Ende April schon wieder vorbei sein soll. Jörg Kochmann hätte am liebsten gleich nach dem Pasing-by-Festival im Juli mit der Ausschreibung begonnen. Doch die Situation war ziemlich kompliziert. Das städtische Grundstück am Marienplatz, zu dem auch dem Pappschachtel und das angrenzende Café Confetti gehören, war damals noch irgendwie freischwebend, was die Besitzverhältnisse angeht. Zwar bestand mit der Bucher Properties GmbH ein Optionsvertrag über das Areal, doch war noch viel zu klären zwischen den Vertragsparteien. Erst Anfang Dezember dann war der Deal in trockenen Tüchern, und die Abstimmungen für das Zwischennutzungsprojekt konnten beginnen. Neubesitzer Martin Bucher hatte stets signalisiert, dass er Kreativ-Projekten offen gegenüberstünde. Er wird deshalb keine Miete erheben und mit den Nutzern einen Kurzzeitmietvertrag abschließen. Diese werden allerdings für die Betriebskosten aufkommen und sich selbst bei einem Versorger um Strom, Gas und Wasser kümmern müssen.

Jörg Kochmann hat aufmerksame Zuhörer, als er beim Besichtigungstermin die Konditionen erläutert. Stefanie Schaidhamer etwa, ein junge Goldschmiedin, sucht eine Ladenzeile, in der sie ihre Arbeiten präsentieren kann. "Ich hätte auch kein Problem, mir den Raum mit jemanden zu teilen, erzählt sie. Die knapp 28 Quadratmeter des ehemaligen Nagelstudios würden ihr reichen.

Während des Rundgangs durch die Ladenzeilen kommt sie mit anderen Interessentinnen ins Gespräch, eine näht Stofftiere und will Kinderprojekte anbieten, einer anderen schweben Yoga-Workshops für Flüchtlinge vor. Andreas Hantschke, Jahrgang 1989, ist Fotograf. Er plant hier eine Art Pasing-Kochbuch. Er will Menschen aus unterschiedlichen Bereichen zum Kochen einladen, sie dabei fotografieren und sich ihre Geschichte erzählen lassen.

Pasing: Stefanie Schaidhammer gehört zu den Kreativen, die sich für die leer stehenden Ladenzeilen interessieren.

Stefanie Schaidhammer gehört zu den Kreativen, die sich für die leer stehenden Ladenzeilen interessieren.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Ob nun mit einem kulturellen oder sozialen Projekt, die Menschen im Viertel sollen etwas von den Zwischennutzung haben, erklärt Kochmann den Bewerbern. Die Pappschachtel soll noch einmal pulsieren vor Leben, bis die Abrissbagger anrücken. Nicht alle Ladenzeilen, von denen die größte 90 Quadratmeter hat, sind in einem bezugsfertigen Zustand. Die temporären Mieter werden ein wenig renovieren müssen, dafür sowie für die Nebenkosten können sie aus dem Programm Aktive Zentren Fördergeld bekommen, erklärt Kochmann, der sich darum kümmern wird.

Mit der Pappschachtel wird auch die ehemalige Wirtschaftsschule an der Institutstraße verschwinden, die ebenfalls zum Umgriff des Areals gehört. Seit Dezember sind dort bislang sechs unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Der Kreisjugendring München (KJR) kümmert sich um das Freizeitprogramm für die Jugendlichen und hat sich ebenfalls um einen Raum in der Pappschachtel beworben. Als Partner will sich der KJR das Team des Velo-Cafés holen, das im Pförtnerhäuschen der ehemaligen Kuvertfabrik für ein paar Monate neben einer Radlwerkstatt ein sehr kreatives Kulturprogramm angeboten hatte.

Pasing: Weder Couturier Schweisz noch die Betreiber des Trachtenladens werden ihre Briefkästen noch leeren in der Pappschachtel am Pasinger Marienplatz.

Weder Couturier Schweisz noch die Betreiber des Trachtenladens werden ihre Briefkästen noch leeren in der Pappschachtel am Pasinger Marienplatz.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Jörg Kochmann wird nun sehr rasch alle Bewerbungen sondieren und mit den Förderstellen abstimmen. Er will keine Zeit verlieren und den Bewerbern möglichst bald Bescheid geben. Barbara Holzherr bringt es auf den Punkt: "Wenn sich das noch länger hinzieht, wird's irgendwann ein Schmarrn."

Infos zum Projekt gibt es bei Jörg Kochmann unter 23 33 39 15, j.kochmann@mgs-muenchen.de. Termine in der Pelzbar: 22. Januar, 18. und 19. Februar, Beginn jeweils um 19 Uhr.

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