Pasing:Fotografisches Gedächtnis

Das Langzeitprojekt "Achse im Wandel" dokumentiert die horizontale und vertikale Verdichtung der Stadt. Ein Update der Schau ist gerade in der Pasinger VHS zu sehen

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Das Erschreckende ist, dass man sich an das Vorher kaum erinnert. Wer hat schon ein fotografisches Gedächtnis und kann abrufen, wie der historische Bürkleinbahnhof in Pasing genau ausgesehen hat, bevor sie ihn zum Restaurant Alex herausgeputzt haben. Nicht viel anders ergeht es einem mit dem alten Lokschuppen in Laim oder der Zugwaschstraße am Birketweg. Ein Sturm des Wandels ist in den vergangenen knapp 15 Jahren über eine Strecke von acht Kilometern längs der Bahnachse Hauptbahnhof-Laim-Pasing hinweggefegt. Ein Gebiet von 173 Hektar Größe ist nicht wieder zu erkennen, Wohn- und Gewerbegebiete, Grün- und Erholungsflächen sind entstanden, wo früher einmal . . . Ja, was war da eigentlich früher einmal?

Ein Langzeitprojekt der Münchner Volkshochschule (VHS) kann da auf die Sprünge helfen. Seit dem Jahr 2002 dokumentieren Fotografen die "Achse des Wandels" in einer Serie von Ausstellungen. In der Pasinger Volkshochschule an der Bäckerstraße 14 ist derzeit die mittlerweile vierte Schau zu sehen. Im VHS-Bau begibt man sich quasi in die Vertikale, denn die Dokumentation der Horizontalen ist im Treppenhaus gehängt. Je höher der Betrachter die knarzenden Holzstufen hinaufsteigt, desto weiter nach Westen wandert er die Entwicklungsachse entlang, und er unternimmt dabei Zeitsprünge von der Vergangenheit in die Gegenwart und wieder zurück.

173 Hektar...

umfassen die Flächen entlang der Achse Hauptbahnhof-Laim-Pasing. Auf ehemaligem Bahngrund entstand in den vergangenen Jahren ein Mix aus Eigentumswohnungen, geförderten Wohnungen, Gewerbe und Grünflächen. 17 500 Einwohner ziehen neu ein, mehr als 19 000 Arbeitsplätze sollen entstehen. Die letzte Lücke wird an der Paul-Gerhardt-Allee geschlossen, geplant sind 2400 Wohnungen. Heuer rollen dort die Bagger an.

Die Fotografen unter Leitung von Dozent Werner Resch liefern mehr als klassische Dokumentation oder Architekturfotografie. Die Sichtweisen auf diesen bedeutenden städtebaulichen Prozess und die foto-technischen Umsetzungen von Anne Menke-Schwinghammer, Martin Reindl, Wolfgang Schmitz, Detlev Schünke und Josef Stöger sind individuell. Es gibt Detailaufnahmen in Schwarz-Weiß von ausgeschlachteten Auto-Kadavern einer Verwertungsfirma am Birketweg. Oder weitschweifende Panoramablicke (2004) über die Brachlandschaft des noch zu bebauenden Arnulfparks gen Westen. Sieben Jahre später vom Dach des Skygardens ist die Leere längst gefüllt. Oder die alte "Nachtgalerie" an der Hackerbrücke, die dem Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) weichen musste: Werner Resch hat sie 2004 als einen verlassenen Ort fotografiert. Ein paar Blumentöpfe, eine rote Markise und ein Kühlschrank, so wartet der Club stoisch auf die Abrissbirne. Besonders fasziniert sind die Fotografen von dem, was sich zwischen den Gleisanlagen abspielt beziehungsweise vor sich hin rottet: Eine Zugwaschanlage, ein Güterbahnhof, Waagen, und Birken, immer wieder Birken, die sich einen Lebensraum zwischen den verrosteten Schienen ertrotzt haben.

Noch ist der Achsenumbruch nicht zu einem Halt gekommen, gibt es Motive festzuhalten. In Pasing entstehen weitere große Wohnviertel an der Paul-Gerhardt-Allee und auf dem ehemaligen Stückgutgelände, dessen schöne alte Halle noch in der Ausstellung zu sehen ist. Auch die beiden 53 Meter hohen Zwillingstürme des Wohnprojekts "Friends" im Hirschgarten-Quartier werden in ihrem steten Werden so manchen Speicher-Chip der Fotokameras füllen. Schon heute setzen sie neue Akzente in der Münchner Skyline. Und dann ist da noch das Areal mit der weit gespannten, markanten Paketposthalle, dem zeitweise mal eine sinfonische Zukunft beschieden zu sein schien. Für seine Schwarz-Weiß-Aufnahme dieses herrlichen Bauwerks hat Fotograf Werner Resch sehr zurecht einen Kniefall getan.

Fotoausstellung "Achse im Wandel", bis 20. Januar, in der VHS, Bäckerstraße 14. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 9 bis 21 Uhr, Samstag und Sonntag von 10 bis 17 Uhr. In den Weihnachtsferien ist die Schau geschlossen. Der Eintritt ist frei.

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