Pasing:Fluchtpunkt, Sehnsuchtsort

"I live in the East but my Heart is in the West": In der Pasinger Fabrik schlagen Künstler aus Israel Brücken nach Deutschland und erzählen dabei viel über ihre Heimat

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Der Ober-Antisemit Julius Streicher habe unweit ihres Elternhauses in Nürnberg gewohnt, hat Ruth Schloss einmal im Interview erzählt. Die israelische Künstlerin, 1937 mit ihrer Familie nach Palästina entkommen, hielt es nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst für undenkbar, in Deutschland auszustellen. Sie hat es dann aber doch getan, mehrmals. Ihre Annäherung an das Land ihrer Vorfahren und der Mörder ihrer Verwandten umspannt in etwa die 50 Jahre, die seit der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik Deutschland vergangen sind und denen in der Pasinger Fabrik ein Festival gewidmet ist. Ruth Schloss stellt nun also wieder aus in Deutschland. Sie gehört zu den zwanzig israelischen Künstlern, die bei einer Schau mit dem Titel "I live in the East but my Heart is in the West" präsentiert werden. In ihrem Fall posthum, sie ist 2013 im Alter von 91 Jahren gestorben.

"Die Vergangenheit spielt eine große Rolle im Verhältnis der beiden Länder", sagt Fabrik-Kurator Thomas Linsmayer, der von Münchner Seite gemeinsam mit Anna Zanco-Prestel am Zustandekommen der Ausstellung beteiligt war. "Der Holocaust sollte aber nicht unser Hauptthema sein", betont Linsmayer. Bei der Schau wie bei dem gesamten Festival gehe es darum, israelische Künstler zu zeigen, die alle etwas mit Deutschland zu tun, auf die ein oder andere Weise Brücken dorthin geschlagen haben. Ruth Schloss, die sozialkritische Malerin und Illustratorin, vertritt die sogenannte erste Generation. Dann ist da die Fotografin Pesi Girsch, heute 61, die ihre Tochter sein könnte. Sie wurde als Kind litauischer Holocaust-Überlebender in München geboren und ist 1967 nach Israel ausgewandert. Dan Hirsch, ebenfalls Fotograf, wäre in dieser Alterspyramide der Enkel. Der 32-Jährige stammt aus Tel Aviv, lebt aber seit fast zehn Jahren in Berlin. Womit das Ausstellungskonzept von Doron Polak umrissen ist. Der Kurator aus Israel, der auch für die Documenta in Kassel oder die Biennale in Venedig arbeitet, lässt in den Galerieräumen der Pasinger Fabrik israelische Kunst aus drei Generationen miteinander und mit dem Betrachter kommunizieren. Zu sehen sind klassische Ausdrucksformen wie Tusche- oder Aquarellmalerei, viel Fotografie, aber auch Videokunst.

Noa Nahari - Tel Aviv am Strand, Ausstellung in der Pasinger Fabrik

Eine Brücke nach Deutschland vom Strand in Tel Aviv: "Layers" - Schichten - nennt die israelische Multimedia-Künstlerin Noa Nahari ihre Fotoarbeit.

(Foto: oh)

Ruth Schloss hat Menschen porträtiert, vor allem solche, die am Rande der Gesellschaft stehen, Juden wie Araber. Das macht ihre Arbeiten zu Zeitdokumenten. Stilistisch konsequent dem Realismus verpflichtet, galt sie lange als überkommen, wurde jedoch in den 90er Jahren wiederentdeckt als eine frühe Vertreterin politisch engagierter, womöglich sogar feministischer Kunst. In der Fabrik ist ihr Tuscheporträt "Nabia" zu sehen, das Gesicht einer alten Frau, die Ruth Schloss eines Tages sprichwörtlich aufgelesen hat. Die Araberin war von ihrer Familie in Jaffa zurückgelassen worden und lebte zusammen mit vielen Katzen unter einem Treppenaufgang. Die Künstlerin freundete sich mit Nabia an und verschaffte ihr einen Platz in einem Altenheim in Bethlehem.

"Es ist ein sehr meschuggenes, stressiges Leben hier", sagt Pesi Girsch, die man am Telefon in Tel Aviv erreicht. In Israel ist sie eine anerkannte, vielfach ausgezeichnete Fotografin. Anders als bei Ruth Schloss sind ihre Motive nahezu immer komponiert, voller Zitate europäischer Kunstepochen, barocke Vanitas-Stillleben kommen in den Sinn, die Arrangements haben etwas Manieriertes, Verstörendes. Die Fabrik zeigt ihren Zyklus mit dem doppeldeutigen Titel "Kinderstube", der 2008 schon einmal in der Münchner Galerie Michael Hasenclever zu sehen war. Das Auge der Kamera ist auf die Wand eines lange verlassenen Zimmers gerichtet. Fixpunkt ist ein Regal mit Stofftieren, im Vordergrund ein Boden mit Fliesenmuster, auf einigen Fotos sieht man spielende Kinder.

Siegfried und Wilfried, Dan Hirsch ´Die Deutschen`" Ausstellung in der Pasinger Fabrik

"Siegfried und Wilfried", so der schlichte Titel von Dan Hirschs Porträtaufnahme zweier älterer Männer für seine Serie "Die Deutschen".

(Foto: oh)

"In meinen Bildern erkennt man die Dinge nicht immer auf den ersten Blick", sagt Pesi Girsch, "aber wer genau hinschaut, bekommt ein Geschenk". Das ist in diesem Fall die Entdeckung, dass die Fußbodenkacheln eigentlich aus Hebräisch-Lexika gelegt sind. "Die hatte jemand einfach auf die Straße geworfen", erzählt die Fotografin. Die Steifftiere wiederum stammten noch von "Zuhause" - aus Deutschland. Es handelt sich um eine versehrte Gruppe, dem Mecki fehlt das Gesicht, dem Stoffhasen die Ohren. Sie sitzen in trauriger Gesellschaft mit echten toten Tieren. In Kontrast dazu wirken die Kinder. "Das sind meine Enkel", verrät Pesi Girsch. Kinderstube, Kindheit. Ihre eigene sei nicht sehr schön gewesen, sagt sie zögerlich. Aufgewachsen in der Holbeinstraße in Bogenhausen, habe sie viel Antisemitismus erfahren. "Ich durfte nicht mit anderen Kindern spielen, und die durften nicht mit mir, der Jüdin, spielen." Und die Eltern, die seien mit "vielen Kratzern" an der Seele aus dem Lager gekommen. Nähe zu den Kindern aufzubauen, sei für sie schwierig gewesen. Pesi Girsch vermutet, die Eltern wollten ihre Kinder damit irgendwie beschützen. Sollte man auseinandergerissen werden - so ihre Trauma-Erfahrung in den Lagern - würden die Kinder so leichter mit dem Verlust fertig.

Girsch empfindet, dass es zwischen Israel und Deutschland im Laufe der Jahrzehnte zu einer "echten Annäherung" gekommen ist. Der Antisemitismus, ja, den gebe es, der habe etwas mit dem Mangel an Bildung zu tun. Sie hat einen Bruder in München, zuletzt hat sie ihn 2008 besucht, als ihre Bilder bei Hasenclever ausgestellt waren. 2016 plant sie ihre nächste Schau in München, dann will sie auch wieder an der Isar radeln, wie in den Jahren, als sie in München an der Akademie studiert hat. "Daran habe ich schöne Erinnerungen, nicht an die Menschen". Sie kann aber gut nachvollziehen, dass heute viele junge Israelis nach Deutschland kommen, vor allem nach Berlin. "Gerade für Künstler, für kreative Köpfe ist es sehr schwer, in Israel zu leben, ein Auskommen zu haben", sagt sie. "Bei uns fließt sehr viel Geld ins Militär, weniger in die Kunst."

Kinderstube, Pesi Girsch, Ausstellung Pasinger Fabrik

Pesi Girsch rekonstruiert eine "Kinderstube", die in ihren Details verstörend wirkt.

(Foto: oh)

Dan Hirsch lebt seit 2006 in Berlin. Mittlerweile, sagt er, sei das zu einer Art Trend bei jungen Israelis geworden, und nicht nur bei den jungen, beobachtet der Fotokünstler. Attraktiv an Berlin seien vor allem das günstigere, ruhigere Leben in einer kulturreichen Hauptstadt und die damit verbundenen Möglichkeiten, sich beruflich oder künstlerisch weiterzuentwickeln, ohne den erschöpfenden Kampf um die Lebenshaltungskosten. Hirsch zeigt in der Fabrik einige Bilder seiner Porträt-Serie "Die Deutschen", für die er das Land bereist und Menschen aus allen Gesellschaftssichten fotografiert hat. Es sind sehr präzise, ruhige, respektvolle Darstellungen. Den Titel habe er spontan und instinktiv gewählt: "Ich kann nicht sagen, dass er von mir ironisch gemeint war, aber er ist auch nicht zu ernst zu nehmen." Es gehe ihm mit den Bildern nicht um das Porträt einen ganzen Volkes. "Aber ich bin überzeugt, je länger ich daran arbeite und je mehr Porträts entstehen, dass die Arbeit einiges über Menschen in Deutschland unserer Zeit erzählen kann." Es selbst spüre bei sich eine große Faszination und eine "intensiv ambivalente" Beziehung zu Deutschland. "Meine Familie kam ursprünglich aus Deutschland, meine Großeltern sind in Berlin geboren und gaben mir bereits als Kind einen Bezug zur deutschen Kultur. Sie wurden vor dem Zweiten Weltkrieg im jungen Alter nach Palästina geschickt. Andere Familienmitglieder hatten einen schlimmeres Schicksal."

"Ich lebe im Osten, aber mein Herz ist im Westen" - die Ausstellungsmacher spielen hier im Zitat mit einem berühmten Gedicht des großen Rabbiners Yehuda ha-Levi, der fern von Israel im muslimischen Spanien des Mittelalters lebte und dessen Herz in die umgekehrte Richtung schlug. Deutschland, so behauptet die Pasinger Schau, ist auf eine sehr zwiespältige Weise Sehnsuchtsort für die 20 israelischen Künstler. Es ist jedoch sehr spannend zu entdecken, wie viel sie auch über ihr eigenes Land, über Israel erzählen.

Ausstellung "I live in the East, but my Heart is in the West", bis 12. Mai in der Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1. Näheres zum Israel-Festival "Mazal Tov!" unter www.pasinger-fabrik.org.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: