Pasing:Erwärmt für die Kunst

Pasing: In einem ehemaligen Pelzgeschäft am Pasinger Marienplatz schmieden Kreative Pläne gegen den Leerstand.

In einem ehemaligen Pelzgeschäft am Pasinger Marienplatz schmieden Kreative Pläne gegen den Leerstand.

(Foto: Rumpf)

Bis zum Abriss der Pappschachtel will die kreative Szene die Läden am Pasinger Marienplatz als Spielwiese für die Kultur nutzen. Der Investor, der dort einen Wohn-und Geschäftskomplex plant, zeigt sich für diesen Vorschlag aufgeschlossen

Von Andrea Schlaier und Jutta Czeguhn, Pasing

Die Stimmung ist ein bisschen wie beim ersten Klassentreffen ein paar Jahre nach dem Abi. Klar ist man dafür in den Laden gegangen, den es tatsächlich noch gibt und in dem alle irgendwie gut drauf waren. Die orangefarbenen Keramiklampen baumeln noch von der abgehängten Decke des weiß gekalkten Kastens. Babsi steht hinter der Bar und parliert zum Sound des Vinyls, das sich auf den beiden Turntables in der Nische vor dem Schaufenster 45 Mal die Minute um sich selbst dreht. Die Glastür geht auf, und man weiß: Die kenn ich. "Hey, schön, du warst doch die mit . . ." Die Protagonisten in diesem Fall kennen sich von einem Mikro-Festival, das auf manche aus der Gegend einen Makro-Effekt hatte. Nämlich die überraschende Erkenntnis, dass in Pasing ja doch was geht, künstlerisch, tiefenentspannt. Der Sommer 2015 hat dem Viertel das zehn Tage dauernde Festival "Pasing by" beschert, bei dem sich 17 Künstler mit dem neu gestalteten Zentrum auseinandersetzten und ihre Kunst im öffentlichen Raum bis zur Piazzahaftigkeit ausspielten.

Dreh- und Angelpunkt dafür war die "Pelz Bar" am Marienplatz im leer stehenden Pelzgeschäft Schweisz. Hier haben sich jetzt einige der Akteure zur Finissage getroffen und sich gewünscht, das kulturelle Leben in dieser Pop-up-Kneipe möge weitergehen - und hinüberschwappen in die anderen Läden unter dem Dach der sogenannten Pappschachtel, wie der zweigeschossige Bau im Volksmund heißt. So lange, bis der Komplex einem Wohn- und Geschäftshaus Platz machen muss - jenem "Magneten", der Kunden weg von den Pasing Arcaden hin zum bislang eher trostlosen Marienplatz locken soll.

Als Provisorium hat die Pappschachtel eine beinahe hundertjährige Geschichte: Ihren Namen hat sie vom betrüblich schlechten Baumaterial, das damals kurz nach dem Ersten Weltkrieg zur Verfügung stand. Die Ortshistorie überliefert die Anekdote vom Installateur Stießberger, der in den Sechzigerjahren einmal monumentale Probleme hatte, eine halbwegs tragende Wand für ein neues Waschbecken im Friseur-Salon Hahn zu finden. Und Kürschner Wolfgang Schweisz, dessen Geschäft über 40 Jahre in der Pappschachtel beheimatet war, musste nach einem geschlossene Wochenende die Heizung stets einen ganzen Tag durchlaufen lassen, um zwischen all seinen Pelzen nicht zu frösteln.

Schweisz ist mit seinem Geschäft um die Ecke gezogen, denn die Pappschachtel und alle angrenzenden Gebäude gehören der Stadt. Die hat das gesamte Areal zum Verkauf angeboten und in Martin Bucher von Bucher Properties GmbH einen Investor gefunden, der als aufgeschlossen gilt für Zwischennutzungsprojekte.

Beim Finissage-Abend in der Pelz-Bar sind die Person Bucher und die mit ihm verknüpften Hoffnungen also großes Thema. Auch bei Jörg Kochmann von der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS), der das "Pasing by"-Festival koordiniert hat. "Wir haben uns am Ende des Festivals nicht zur Ruhe gesetzt, sondern uns noch mal ordentlich Arbeit gemacht, mit einem Katalog", sagt Kochmann in die Runde und hält ein dickes Heft in die Höhe.

In dem Bildband mit seinen knapp 150 Seiten lässt sich ganz gut nachspüren, wie die "City of Pasing" zuweilen geglüht hat - Neon-Orange war passenderweise Signalton des Happenings. Praktisch alle, sagt Jörg Kochmann, habe die Frage umgetrieben, ob's nun wirklich vorbei ist oder "man's nicht noch mal machen kann". Man werde prüfen, wie das zu bewerkstelligen sei. Applaus von den Umstehenden, so gut es eben geht, wenn man ein Getränk in der Hand hält.

Jörg Kochmann setzt zunächst einmal auf Barbara Holzherr und Steve Hertle von der Pasinger Camatti-Bar, die die Pelz Bar während der zehn Festival-Tage "so großartig betrieben haben". Barbara Holzherr schiebt die Getränke über den Tresen und legt gleich los: "Klar würden wir bei dem super Projekt weiter mitmachen, wenn's in Relation zum Aufwand steht". Holzherr, die studierte Bildhauerin, kennt sich aus mit Gastro-Kultur: Jahrelang leitete sie unter anderem das Café im Lenbachhaus, dann das in der Glyptothek, veranstaltete Kunstinstallationen, führt jetzt mit Hertle den Lebensmittelladen samt Tagescafé Camatti in der Pasinger Kolonie I. Dem Investor Bucher hat Holzherr bereits ein Konzept als Spielplan für die Pappschachtel vorgelegt. "Hier bräuchte es kein Einzelkünstler-Gewurschtel, sondern etwas mit Außenwirkung", sagt sie . Workshops, Galerien, Bildende Künstler, Schriftsteller und Musiker seien schon angefragt. "Ein Jahr müssten wir dafür schon haben", hofft sie.

Auch die Stadt ist offenbar mit im Boot. Zum Umtrunk in der Pelz Bar ist auch Markus Groß vom Planungsreferat gekommen. "Wir versuchen von unserer Seite, die Aktivierung des Standorts für eine Zwischennutzung zu unterstützen", sagt er. Im Gespräch sei "eine Saison oder länger". Baurechtlich dürfe so ein Verfahren nicht zu langwierig geraten. Unterstützung ist den Kreativen auch vom Bezirksausschuss Pasing-Obermenzing sicher, der sich per Antrag für eine kulturelle und soziale Zwischennutzung der Pappschachtel bis zu ihrem Abriss stark macht.

Von Martin Bucher scheint nun alles abzuhängen. Zur Finissage hat er es nicht geschafft. Am Telefon gibt er sich zurückhaltend, verweist auf den Architektenwettbewerb für das Areal, der im Oktober endet. Erinnert daran, dass er offiziell noch gar nicht der Eigentümer des Grundstücks ist. Erst wenn diese nächsten Schritte getan seien, werde man sich konkrete Gedanken machen können um eine sinnvolle Nutzung für die Dauer, bis endgültig Baurecht geschaffen sei. Und dann: Vom Projekt "Pasing by" sei er von Anfang an sehr angetan gewesen. Was eine Zwischennutzung der Pappschachtel angeht, könne er sich etwas vorstellen, "das in die Richtung geht".

Und die Pasinger, werden sie sich ähnlich aufgeschlossen zeigen? Am Finissagen-Abend wird auch darüber diskutiert. Zu den Optimisten gehören Jutta Görlich und Edward Beierle. Sie stehen neben ihrer riesigen Fotografie, die Schwestern der Congregatio Jesu vor der glatt polierten Haut der Arcaden zeigt. Die beiden Künstler haben in Pasing tief verwurzelte Menschen in dieser Konsumarchitektur abgelichtet und die Fotos dann, quasi als Kontrapunkt, auf der uralten Klosterinsel ausgestellt. Am Ende hätten sogar die Porträtierten, die anfangs gefremdelt hatten, ihre Skepsis abgelegt. Die Kunst sei in Pasing angekommen.

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