Pasing:Ein großes Leben für die Kleinen

Pasing: Er nimmt Abschied: Christian Marek, Rektor der Pasinger Oselschule.

Er nimmt Abschied: Christian Marek, Rektor der Pasinger Oselschule.

(Foto: Rumpf)

Seit 1999 leitet Christian Marek die Pasinger Oselschule, nun läuft für den beliebten Pädagogen die letzte Woche. Mit einer Überraschung wollen sich Schüler und Kollegen von dem scheidenden Rektor verabschieden

Von Jutta Czeguhn, Pasing

"Dürfen wir eine Wasserbombe auffüllen?" Die Frage wird mit einem dramatischen Unterton in der Stimme gestellt, als hänge davon, wenn nicht das Leben selbst, so doch zumindest ein gelungener Sommertag ab. Der Junge mit dem Luftballon in der Hand blickt Christian Marek mit flehenden Augen an. Tagesgeschäft eines Grundschulrektors. Marek reagiert mit einer Gegenfrage: "Und was macht ihr dann damit?" Sein Schüler scheint auf die Inquisition vorbereitet zu sein und weiß genau, dass er Christian Marek mit Flunkerei nicht zu kommen braucht: "Wir schütten sie uns über den Kopf." Der Rektor muss grinsen. Der Bub und sein Freund machen sich triumphierend, aber vorsichtshalber in Windeseile durch den Schulgarten davon.

Für Christian Marek ist seine letzte Woche an der Pasinger Oselschule angebrochen, die er seit 1999 leitet. In Büro des Rektors, seinem Lieblingsplatz, stehen schon etliche gepackte Kartons. Die großen Farbfeld-Gemälde seines Vaters, des Kunstmalers Hans Marek, wird er wohl erst ganz zum Schluss von den Wänden nehmen. Eine Verabschiedung folgt nun der nächsten. Beim Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverband, dem er von 1985 bis 2000 vorstand, und beim Personalrat der Münchner Volkschullehrer, dessen Vorsitzender er seit 25 Jahren ist, und natürlich an seiner Oselschule. Da haben Lehrer und Kinder einiges für ihn vorbereitet. Hinter seinem Rücken ist deshalb viel getuschelt worden, denn es soll eine Überraschung für den scheidenden Rektor werden. Am Freitag dann kommt der wirklich letzte Schultag für Christian Marek. Wie mag sich das anfühlen für jemanden, der den größten Teil seiner 63 Lebensjahre in Schulgebäuden zugebracht hat?

Beim Gang über das idyllisch am Würmkanal gelegene Schulgelände kommt Christian Marek ins Erzählen: Er ist unweit der Oselschule an der Pasinger Rembrandtstraße aufgewachsen, lebt heute immer noch dort. Und wäre er nicht Katholik, hätte er seine Schulkarriere auch an der Oselschule begonnen. Da dort, Ende der Fünfzigerjahre, aber nur Protestanten aufgenommen wurden, musste er nach Obermenzing an die Grandlschule. "Im Winter sind mein Freund Sepperl und ich übers gefrorene Feld gerutscht, im Sommer durchs Getreide gelaufen und ohne Schulweghelfer über die gefährliche Pippinger Straße gekommen." Ja, andere Zeiten waren das.

In seiner Gymnasialzeit hat Marek einige Male die Schule gewechselt, vom Pasinger Karlsgymnasium ans Wittelsbacher, dann an ein musisches Gymnasium in Freising - unterwegs ist er auch einmal sitzen geblieben, wie so viele zukünftige Lehrer. An der Schule in Freising konnte Christian Marek, der aus einem Künstlerhaushalt kommt, seine Liebe zur Musik entdecken und lernte Bratsche. Und er hat dort seine spätere Frau Johanna getroffen, die heute die Grundschule an der Schrobenhausener Straße leitet. Beide haben nach dem Abitur an der pädagogischen Hochschule studiert, gegenüber dem Karlsgymnasium. Für Christian Marek ein Heimkommen nach Pasing, wenn auch zunächst nur vorübergehend. Nach dem Studium arbeitete er 18 Jahre an verschiedenen Hauptschulen in München: "Acht oder neun werden es wohl gewesen sein." Erst als sein heute 25-jähriger Sohn im Grundschulalter war, habe er sich vorstellen können, mit den Kleinen zu arbeiten.

Marek hat auf einer Bank unter einem der hohen Bäume im Schulgarten Platz genommen. Er erzählt von seinem Elternhaus, der Mutter, die immer allen Menschen einen ungeheuren Vertrauensvorschuss gab. Vom Vater, der als Künstler die sechsköpfige Familie mit dem Zeichnen vom Schaltplänen bei Siemens durchbrachte. Schon als Kind habe er Lehrer werden wollen, erinnert sich Marek - inzwischen vor Publikum. Wie selbstverständlich haben sich einige Erstklässlerinnen zum Rektor gesetzt. Die Mädchen hören konzentriert zu, lassen hin und wieder einen Kommentar einfließen, auch wenn sie nicht alles verstehen. Etwa wenn die Erwachsenen über das Beamtentum sprechen, und Marek sagt: "Wer nur aus einem Sicherheitsbedürfnis heraus Lehrer wird, geht vor die Hunde." Oder wenn es um Karrieren geht, im Schulamt, in der Regierung oder im Kultusministerium: "Ich habe meinen Platz dort gesehen, wo die Kinder sind."

Wer 25 Jahre als Personalratsvorsitzender des Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverbands aushält, könnte über die irrtumsanfällige bayerische Schulpolitik einiges berichten. Vom erfolglosen Widerstand Ende der Neunzigerjahre beispielsweise gegen Monika Hohlmeiers sechsstufige Realschule. Marek aber sieht sich im Rückblick nicht als Wadlbeißer. Zwar spricht er vom "Kampf gegen Windmühlen", aber er bleibt Diplomat im Ton: "Es gab Politiker, die haben sich wirklich angehört, wie es uns geht, und solche, die den Eindruck vermittelt haben, als wüssten sie es." Und noch so ein Satz: "Das Beste für die Schule wollen, heißt nicht unbedingt, das Beste für die Schule tun."

Dann geht es um Kindheit heute, offensichtlich ein langweiliges Thema, denn die Erstklässlerinnen ziehen weiter. Dabei spricht Marek nun gerade über sie: "Die individuellen Bedürfnisse stehen heute viel mehr im Vordergrund als früher, damals musste ein Lehrer für die Klasse da sein, heute für den Einzelnen." Von den Lehrern werde heute Multitasking verlangt, viele kämen an ihre Grenzen und machten mit schlechtem Gewissen Abstriche: "Ein Merkmal, das Lehrer heute mit sich herum tragen, ist, dass sie von ihren Klassen träumen."

Christian Marek scheidet nun etwas vorzeitig aus seinem Beruf aus, weil er keine Abstriche machen möchte. Er erklärt das ehrlich und aufgeräumt: Es koste ihn heute mehr Kraft, das Niveau zu halten, das er selbst von sich erwarte. Nicht alles hat er geschafft. Dass die Oselschule endlich einen Anbau bekommt, wie er es unmissverständlich bei der jüngsten Bürgerversammlung gefordert hat, wird Marek als Rektor nun nicht mehr erleben. Ein Abschiedsgeschenk hat ihm die Stadt aber - wahrscheinlich zufällig - gemacht. An der Oselstraße 39 sind endlich die Bauarbeiter da, ein Kinderhaus entsteht.

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