Parteien-Werbung:Offenes Wahl-Geheimnis

Parteien kaufen Adressen für Werbebriefe bei der Meldebehörde. Das Kreisverwaltungsreferat gibt Auskunft über Alter, Titel und Wohnort - aber man kann sich wehren.

Jan Bielicki

Die Briefe sind ordentlich frankiert, mit Namen und Adresse versehen. Die Anrede ist im besten Fall persönlich gehalten, und das Schreiben, meist begleitet von einem bunten Prospekt, bittet auch höflichst um etwas ganz Persönliches: um die Stimme des Angeschriebenen, abzugeben bei der nächsten Wahl.

Parteien-Werbung: Parteien können sich Adressen für ihre Werbebriefe beim Kreisverwaltungsreferat kaufen.

Parteien können sich Adressen für ihre Werbebriefe beim Kreisverwaltungsreferat kaufen.

(Foto: Foto: ddp)

Ebenso regelmäßig wie Wahlen stattfinden, fallen solche Wahlbettelbriefe der Parteien und Kandidaten in die Briefkästen der Wähler. Und ebenso regelmäßig häufen sich die Beschwerden der Angeschriebenen. Ihr Verdacht in Zeiten von Datendiebstahl und Adressenhandel: Auch Politiker verschaffen sich persönliche Daten aus dubiosen Kanälen. Das geschieht zwar manchmal, doch meist kommen die Daten aus seriöser Quelle: dem Einwohnermeldeamt.

Wenn nun Wähler vor der Europawahl im Mai persönlich adressierte Briefe eines Kandidaten bekommen, so hat der die Anschrift meist ganz legal vom Kreisverwaltungsreferat erhalten. Ein halbes Jahr vor einer Wahl geben die Meldebehörden bestimmte Daten an Parteien, Wählergruppen und "andere Träger von Wahlvorschlägen" heraus.

7,5 Cent pro Name und Adresse

Das befiehlt ihnen Artikel 32 des Meldegesetzes. Danach darf die Behörde den Parteien aus dem Melderegister Auskunft über Vor- und Familiennamen, Doktortitel und Anschriften der Wahlberechtigten geben. Auch nach dem Alter potentieller Wählergruppen können Parteien in der Meldebehörde fragen: "Sie können etwa die Adressen aller 18-Jährigen oder aller über 65-Jährigen bestellen", erklärt Anton Hanfstengl vom Bürgerbüro des Kreisverwaltungsreferats. Die Abfrage kostet die Parteien pro Name und Adresse 7,5 Cent.

Allerdings kann jeder Bürger der Weitergabe seiner Daten an die Parteien widersprechen - wenn er denn von seinem Recht weiß. So hat das Kreisverwaltungsreferat in einer Annonce in der Süddeutschen Zeitung bekannt gemacht, dass auch vor den Europawahlen jeder Wahlberechtigte der Meldebehörde solche Auskünfte über sich an Parteien und Wählergruppen untersagen kann.

Auf der zweiten Seite: Widerspruch ist einfach

Offenes Wahl-Geheimnis

Die Anzeige machte darauf aufmerksam, dass die Parteien bereits seit dem 7. Dezember solche Daten erhalten können, sie erschien jedoch erst vier Tage später am 11. Dezember. Folgen hat das keine: Noch hat das Kreisverwaltungsreferat nach eigenen Angaben keine Daten herausgerückt - und eigentlich ist auch nicht die Stadt, sondern das Innenministerium dafür zuständig, die Bürger über ihr Recht aufzuklären: "Dass wir das machen, ist nur ein zusätzlicher Service", sagt Hanfstengl.

Ein Brief genügt

Für die meisten, die eine Weitergabe ihrer Daten nicht erlauben wollen, ist ein Widerspruch ganz einfach. Auf den Anmeldeformularen des Einwohnermeldeamtes findet sich ein solcher Passus, den jeder, der umzieht, einfach ankreuzen kann. Wer das bisher noch nicht getan hat, kann auch später der Meldebehörde Auskünfte an Parteien und Wählergruppen untersagen. Dazu muss er entweder einen Brief an das Kreisverwaltungsreferat schicken oder selbst in einem der Bürgerbüros der Stadt vorbeikommen.

Auch dann noch kann es vorkommen, dass Post vom Kandidaten im Briefkasten liegt. Parteien können sich nämlich Adressen auch von Adressenhändlern kaufen, was aber teurer ist. Sie können ihre Briefe und Prospekte auch einfach in die Briefkästen werfen, ohne sich um die Namen der Umworbenen zu kümmern - und schon gar nicht um das Schild "Bitte keine Werbung".

Manche greifen jedoch tatsächlich auf illegal beschaffte Daten zurück. Der CSU-Stadtrat Michael Kuffer etwa schickte im Kommunalwahlkampf Wahlbettelbriefe an Mitglieder des Roten Kreuzes. Offensichtlich hatte ihm jemand deren Adressen geliefert - was gesetzlich verboten ist. Die FDP-Stadträtin Christa Stock schrieb Wahlbriefe an Mitglieder des Musikforums Blutenburg - zu dessen Adressenkartei sie als Forumsvorsitzende Zugang hatte. Auch das gilt als verbotener Datenmissbrauch.

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