Palliativ-Verein "Da-Sein":Zu Hause bis zum Ende

Palliativ-Verein "Da-Sein": Noch einmal am See: Es gab schöne Tage für Lydia Elstner, etwa als sie mit ihrer Familie einen Ausflug nach Starnberg machen konnte. Der Verein Da-Sein hilft, dass sie in der eigenen Wohnung bleiben kann. Foto: privat.

Noch einmal am See: Es gab schöne Tage für Lydia Elstner, etwa als sie mit ihrer Familie einen Ausflug nach Starnberg machen konnte. Der Verein Da-Sein hilft, dass sie in der eigenen Wohnung bleiben kann. Foto: privat.

Wenn Ärzte nicht mehr helfen können, begleitet der Palliativ-Verein "Da-Sein" todkranke Menschen in ihrem Alltag. Nun bietet ein spezialisiertes Team auch eine ambulante Betreuung an - so können Patienten bis zuletzt zu Hause bleiben.

Von Sven Loerzer

Der Anruf, der so vieles veränderte, kam Ende vergangenen Jahres. Am Telefon war die schwer krebskranke Schwiegermutter, die beim Arzt war, um wie geplant die nächste Chemotherapie zu beginnen. "Der Onkologe hat sie für austherapiert erklärt. Es war ein großer Schock für uns", berichtet Marie Elstner. Der Arzt empfahl Lydia Elstner (Namen geändert) ins Hospiz zu gehen. "Wir hatten nicht viel Zeit zu überlegen", sagt Marie Elstner.

Im Internet stieß sie auf den Münchner Hospizdienst "Da-Sein", der seinen Sitz in der Karlstraße hat. Noch lebte die Schwiegermutter selbständig, aber allein in den eigenen vier Wänden. Die Entscheidung fiel schnell. Schon zum Jahreswechsel holte die Familie die Schwiegermutter aus Norddeutschland ab. "Sie wusste schon länger, dass sie schwer krank ist, aber hat bis dahin alles alleine bewältigt. Sie ist ein sehr tapferer Mensch." Lydia Elstner schöpft ihre Kraft aus dem Glauben: "Es gibt eine Hoffnung, wenn man gestorben ist: die Auferstehung."

Nach dem Umzug in die Nachbarschaft ihrer Familie begannen die Tage zwischen Bangen und Hoffen. Es gab schöne Tage, wie etwa den letzten gemeinsamen Ausflug an den Starnberger See. Eine Onkologin verordnete eine Chemotherapie in Tablettenform. "Wir haben einiges versucht." Doch zu Pfingsten ging es der Schwiegermutter so schlecht, dass sie in ein Krankenhaus gebracht werden musste.

Als die Ärzte am Tag vor der Entlassung der Familie empfahlen, sich Hilfe für die Pflege der Schwerkranken zu holen, rief Marie Elstner schließlich beim Hospizdienst Da-Sein an. Eine Stunde später kam bereits Margit Kreibe, seit vier Jahren Palliative Care-Fachkraft bei Da-Sein, in die Klinik zu einem ersten Beratungsgespräch. Seitdem ist sie in ständigem Kontakt mit der Familie und kommt immer wieder auch zum Hausbesuch.

Palliative Care bedeutet entgegen landläufiger Meinung nicht nur Schmerzlinderung. Denn bei der Palliative Care geht es um Linderung von belastenden Symptomen verschiedenster Art, wenn keine Heilung mehr möglich ist. Das umfasst Beziehungsarbeit wie auch emotionale Begleitung und spirituelle Beratung, ja eigentlich alle Fragen des Lebens und Sterbens. Kreibes Arbeit musste bislang vor allem aus Spenden finanziert werden, die Krankenkassen bezahlen dafür nicht. Um so dankbarer ist Da-Sein der Stadt, die in diesem Jahr ihre Förderung kräftig aufgestockt hat: "Das hat unsere Sorgen etwas gemildert."

Oft helfen schon Gespräche

Wegen der Schmerzen, die ihr Krebsleiden verursacht, bekommt Lydia Elstner Schmerzpflaster. Margit Kreibe kümmert sich darum, dass die Dosierung erhöht wird, damit die Kranke in der Nacht Schlaf findet. Immer mehr wird sie auch von Übelkeit geplagt, schon nach ein paar Bissen kämpft sie mit dem Würgereiz. Auch da empfiehlt Margit Kreibe in Absprache mit dem Hausarzt ein Medikament, das die Beschwerden lindert.

Oft sagen Ärzte, wenn ein Patient als "austherapiert" gilt: "Wir können jetzt nichts mehr für sie tun." Das aber stimme nicht, sagt Margit Kreibe. "Man kann auf palliativer Seite viel tun." Es gebe ganz viele Wege, um Leiden zu lindern, doch gerade schulmedizinisch orientierte Hausärzten haben diese Möglichkeiten oft nicht im Blick. Atem- und Aromatherapie oder Massagen können helfen. Und gerade einsamen Menschen helfen oft auch Gespräche: "Wenn sie sprechen können, spart das viel an Medikamenten ein."

Wenn selber versorgen unmöglich wird

Lydia Elstner wird allmählich immer schwächer. "Sie kann zwar noch aufstehen, aber das Haus nicht mehr verlassen. Wenn sie es geschafft hat, sich morgens anzuziehen, dann muss sie sich erst wieder hinlegen", erklärt ihre Schwiegertochter. Der 79-Jährigen macht das schwer zu schaffen. Denn sie war immer gewohnt, viel zu tun: Sie hat vier Kinder groß gezogen.

Nun aber braucht sie selbst Hilfe, etwa beim Waschen. Das erste Mal "ist uns beiden das sehr schwer gefallen", berichtet die Schwiegertochter. "Aber mittlerweile geht es." Manchmal gab es auch Missverständnisse. "Wir dachten, wir dürfen sie nicht allein lassen, wir müssten uns 24 Stunden am Tag um die Schwiegermutter kümmern", sagt Marie Elstner. "Aber das war ihr zu viel, zu lieb."

Die Schwiegermutter erwog, in ein Hospiz zu ziehen. Denn sie hatte das Gefühl, dass sich ihre Familie verpflichtet fühlte, permanent bei ihr zu bleiben und dabei die eigenen Bedürfnisse vernachlässigte. Kreibe konnte helfen, das Missverständnis um die gegenseitige Rücksichtnahme aufzuklären. "Wir lassen sie jetzt stundenweise und über Nacht allein. Das läuft gut", freut sich Marie Elstner.

Die unheilbar Kranke wird auch zu Hause bleiben können, wenn sich ihr Zustand weiter verschlechtert. Denn vom 1. November an wird der Münchner Verein Da-Sein nicht nur wie bisher stadtweit Palliativberatung und Hospizbegleitung anbieten, sondern auch über ein Team zur Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) verfügen.

Das Krankenhaus bleibt erspart

Diese von der Krankenkasse finanzierte Leistung soll Patienten mit nicht heilbaren, fortschreitenden Krankheiten die Einweisung in ein Krankenhaus ersparen, wenn extrem belastende Symptome auftreten. Das kann zum Beispiel eine Wasseransammlung im Bauchraum sein. Im Krankenhaus würde dann eine Punktion durchgeführt, um die Atemnot zu lindern.

Das spezialisierte Palliativteam, das eine 24-Stunden-Rufbereitschaft hat, aber könnte dies ambulant vornehmen. Die SAPV gewährleistet, dass Sterbende zumeist daheim bleiben können. Das Team, bestehend aus zwei Palliativmedizinern und drei Palliative Care Fachkräften, erbringt nicht nur alle Leistungen der ambulanten Krankenbehandlung, sondern koordiniert auch die diagnostischen, therapeutischen und pflegerischen Teilleistungen. Außerdem berät und begleitet das Team alle an der Versorgung Beteiligten und bietet ihnen auch Anleitung.

Die Frage, "wie lange noch", hört Margit Kreibe fast immer. "Es gibt keine Antwort darauf, ich stelle keine Prognose." Lydia Elstner hatte der Arzt schon vor zehn Monaten geraten, ins Hospiz zu gehen. Ihre Schwiegertochter hofft, dass es dank des neuen, zusätzlichen Versorgungsangebots überhaupt nicht nötig sein wird: "Ich würde ihr wünschen, dass es erträglich zu Ende geht."

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