Pädophilen-Prozess:Mutter schickte Bub zum Kinderschänder

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Verhandlungsauftakt gegen den mutmaßlichen "Kinderschänder vom Hasenbergl" - und ein neues, unappetitliches Detail: Die Mutter eines Opfers soll von Ludwig E. Geld verlangt haben, wenn der 13-jährige Bub bei dem 65 Jahre alten Rentner übernachten durfte.

Von Stephan Handel

Dem Angeklagten wird sexueller Missbrauch an drei Kindern vorgeworfen. Ein erster Prozess gegen ihn und einige merkwürdige Begleitumstände hatten im vergangenen Jahr bundesweit für Entrüstung gesorgt.

"Geh' zum Schwulen und lass dir 20 Mark geben" - mit diesen Worten soll die Mutter den Buben zu Ludwig E. in dessen Haidhausener Wohnung geschickt haben. Dort soll, so die Anklage, dieser den Buben - wie auch die beiden anderen Opfer, einen zehnjähriger Junge und ein achtjähriges Mädchen - sexuell berührt und pornographische Fotos von ihnen angefertigt haben.

Im Juni 2003 wurde er deswegen vom Amtsgericht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt. Dieses Urteil wurde jedoch im Oktober aufgehoben: Die Revisionsinstanz hielt eine - zeitlich unbefristete - Unterbringung in der Psychiatrie für nicht ausgeschlossen, in einem solchen Fall muss der Prozess aber vor dem Landgericht stattfinden. Deshalb also nun seit gestern die neue Verhandlung vor der Jugendschutzkammer.

Noch vor Verlesung der Anklageschrift wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen - zum einen, um die Interessen der Opfer zu schützen, zum anderen, weil das Gesetz diese Möglichkeit vorsieht, wenn es um die Unterbringung des Angeklagten in der Psychiatrie geht. Zunächst wurde Ludwig E. zu seiner Person und zu den Taten befragt. Er wiederholte sein Geständnis, das er schon in der ersten Verhandlung abgelegt hatte.

Gutachter uneinig über Schuldfähigkeit

Interessant - und entscheidend für den Angeklagten - wird die Fortsetzung des Prozesses am Montag werden. Denn dann sind die Gutachter dran. Der Nervenarzt Karl-Heinz Crumbach konnte sich in der Erstauflage nicht zu einer klaren Aussage darüber durchringen, ob er den Angeklagten für "schwer seelisch abartig" im Sinne des Strafgesetzbuches und damit für schuldunfähig halte. Das wäre die Voraussetzung für eine Unterbringung in der Psychiatrie. Das Gericht hat nun ein zweites Gutachten beim Psychiater Norbert Nedopil in Auftrag gegeben; er wird neben Crumbach am Montag das Ergebnis seiner Untersuchung präsentieren.

Ob die Gutachter Ludwig E. als manifest pädophil einstufen oder ob sie seine Taten nur als Verirrung einer ansonsten "normalen" Sexualität sehen - davon wird abhängen, ob E. in die Psychiatrie muss, eine Maßnahme, die erst dann zu Ende ginge, wenn seine Therapeuten ihn für ungefährlich hielten, oder ob er zu einer gewöhnlichen Haftstrafe verurteilt wird. In diesem Fall könnte das Verhalten der Mutter durchaus Einfluss auf die Strafzumessung haben. Dem Vernehmen nach geht die Tendenz der Gutachten "eher nicht" in Richtung Pädophilie und Schuldunfähigkeit.

Ludwig E. hat früher im Versicherungsgewerbe gearbeitet und hatte 1962 einen schweren Autounfall, dessen Folgen ihn 1979 zum Frührentner machten. In seiner Wohnung in Haidhausen sollen schon früher Kinder und Jugendliche ein- und ausgegangen sein. Erst im vergangenen Jahr jedoch kam es zu einer Anzeige. Wenig später meldete sich ein heute 24-jähriger Mann, der aussagte, auch er sei von Ludwig E. missbraucht worden, vor 16 Jahren. In diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft die Anklage fertig, sie ist aber noch nicht zugelassen, weshalb sie im derzeitigen Prozess keine Rolle spielt: Das Gericht will den Zeugen zunächst auf seine Glaubwürdigkeit untersuchen lassen.

Umstrittene Urteilsbegründung

Der Fall Ludwig E. rückte im vergangenen Herbst in das öffentliche Interesse, als bekannt wurde, mit welcher Begründung ihn ein Senat des Oberlandesgerichts aus der Untersuchungshaft entlassen habe: Die Richter erklärten, er habe "nicht gegen den Willen der Kinder gehandelt". Die aus sozial schwachen Verhältnissen stammenden Opfer hätten "über ihre ohnehin vorhandene Milieuschädigung hinaus keine erkennbare weitere psychische Schädigung erlitten". Diese Formulierung hatte zu Protesten von Eltern, Missbrauchsschutz-Vereinen und Psychologen geführt.

Ob das Verhalten der Mutter zu strafrechtlichen Konsequenzen führt, blieb gestern unklar - von der Staatsanwaltschaft war bis Reaktionsschluss keine Stellungnahme zu erhalten. Doch dass Geld geflossen ist, hat der Vorsitzende Richter Werner Ulrich bestätigt. Wenn die Mutter wusste, was mit ihrem Kind bei Ludwig E. geschah, dann wäre dies wohl Grund genug für den Staatsanwalt, mit Ermittlungen zu beginnen.

© SZ vom 17.09.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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