Opernfestspiele:Dieser Mann macht die Opernbühne blutig

Opernfestspiele: Keine echten Rehe auf der Bühne. Chefrequisiteur Herbert Häming mit Kadavern aus Sililkon.

Keine echten Rehe auf der Bühne. Chefrequisiteur Herbert Häming mit Kadavern aus Sililkon.

(Foto: Stephan Rumpf)

Herbert Häming ist Requisiten-Chef an der Bayerischen Staatsoper. Zusammen mit seinem Team setzt er um, was die Regisseure auf der Bühne wollen. Von Sprengladungen über Rehkadaver bis zu abgetrennten Köpfen.

Von Jutta Czeguhn

Ein Bieranstich in den "Meistersingern". Mit dieser süffigen Idee trug sich Regisseur David Bösch. Zunächst hörte sich das nach keiner allzu großen Herausforderung für Chefrequisiteur Herbert Häming an. In der Stadt des Oktoberfestes sollten Fässer für theatralische Einsätze umstandslos zu besorgen sein. Die Sache wurde dann doch komplizierter. Auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper gilt nämlich striktes Alkoholverbot, und ein Fass Alkoholfreies, nach Böschs Willen unbedingt auf der Vorderseite anzustechen, ist rar auf dem Markt. "Wir haben schließlich eines in Nürnberg aufgetrieben", sagt Häming. Münchner Operngeher werden nun aufschrecken: "Ozapft is bei den "Meistersingern"? Muss ich verpasst haben. War wohl wieder weggenickt beim Wagner."

Zur Beruhigung aller, die Böschs zuweilen "Meistersinger"-Bilder nun im Geiste durchspulen: Das Fass kam gar nicht vor. "Es ist dann während der Proben rausgefallen", erzählt Herbert Häming ohne jeden Anflug von Säuerlichkeit in der Stimme. So etwas passiere eben hin und wieder. Seit neun Jahren leitet Häming die Abteilung Requisite und Dekor an der Staatsoper, in der Zeitrechnung des Opernhauses sind das etwa 70 Produktionen. Der hagere Mann mit dem präzisen Brillenblick wirkt angenehm unprätentiös, wenn er seinen Job beschreibt. So detailfroh oder exzentrisch die Visionen von Regisseuren und Bühnenbildnern auch sein mögen, für Häming zählt primär nur eine Frage: "Wo krieg ich's her?"

Die Requisiten stehen in einer Opernproduktion gewöhnlich nicht so im Lichtkegel der Scheinwerfer wie etwa ein gut disponierter Tenor oder eine spektakuläre Bühnentechnik. Doch sind sie der Klebstoff, der alles zusammenhält, in ihrer Bodenständigkeit so etwas wie der Steckkontakt zwischen Theater-Illusion und Wirklichkeit. Manchmal aber schafft es eine Requisite sogar zum Star einer Produktion. Einen erheblichen Schauwert hat zum Beispiel das schlichte Aquarium, das an diesem Abend im gerade gestarteten Opernfestspielsommer hinter der Bühne auf seinen Einsatz wartet.

Bis zum Beginn der Vorstellung der Dvořák-Oper "Rusalka" sind es noch eineinhalb Stunden. Bühnenarbeiter putzen die Glasscheiben des Aquariums. "Wir werden etwa 40 Grad heißes Wasser einlassen", erklärt Häming. Bis Star-Sopranistin Kristine Opolais im Brautkleid in das kleine Becken steigen wird, kann die Wassertemperatur dann noch etwas herunterkühlen. "Echte Goldfische halten nicht mehr als 20 Grad aus", sagt der Requisiteur. Die lettische Sängerin wird sich das kleine Becken also mit Attrappen teilen, die handelsübliche Sprudelsteine sehr lebendig tanzen lassen.

Aber nicht die Goldfische waren es, welche den Requisiten in Martin Kušejs Rusalka fette Schlagzeilen brachten, die Tierschützer Sturm laufen ließen und auch das Kreisverwaltungsreferat beschäftigten. "Das sind die Eingeweide, die kommen später in die Rehe hinein, zusammen mit den Blutschwämmchen." Werner Häming zeigt auf einen weißen Eimer mit etwas, das wie panierte Schnitzel aussieht. Dann öffnet er einen Holzschrank mit abgezogenen Rehkadavern. Aus Silikon, hergestellt von den Theaterplastikern in den Werkstätten der Staatsoper in Poing. Später an diesem Abend werden die Rehteile von einem Ballett-Corps geschultert.

Bis es zum öffentlichen Aufschrei kam, war ein echter Kadaver auf der Bühne vorgesehen. "Wir hatten einen Schlachter, übrigens selbst Tierschützer, der hat die Rehe aber nicht extra für uns geschossen." Herbert Häming macht zwar ein neutrales Gesicht, aber lässt durchblicken, dass er Echtfleisch auf der Bühne nicht für zwingend hält.

"Der Beruf ist so umfangreich, dass man das alles nur im Team lösen kann"

Zum Team Requisite/Dekor gehören an der Bayerischen Staatsoper 22 Mitarbeiter. Es sind gelernte Dekorateure, Plastiker oder Kaufleute, jeder ein Experte für einen speziellen Bereich, ein spezielles Material. "Der Beruf ist so umfangreich, dass man das alles nur im Team lösen kann", sagt Häming. Die Requisite arbeitet aber auch sehr eng mit den Kollegen der anderen Gewerke im Haus zusammen, denn da sind die Grenzen fließend. Die Bögen und Pfeile für den Tannhäuser, an denen über Wochen geprobt wurde, besorgen die Rüstmeister, die zur Kostümabteilung gehören. Lebendige Tiere wie das Pony im Ballett "La Fille mal gardée" engagiert die Statisterie. Und für den guillotinierten Schädel in "Andrea Chenier" waren es die Maskenbildner, die Maß nahmen bei Jonas Kaufmann. "Unser Job ist dann nur, dass der Kopf für die Schlussszene auch wirklich bereitliegt", sagt Häming.

Er selbst ist geprüfter Requisiteur, hat aber auch Ausbildungen zum Raumausstatter, Kaufmann und Pyrotechniker. Sein Wissen um das Explosive kann er hin und wieder anwenden, etwa beim lodernden Kreuz im "Trovatore", dem brennenden Käfig in "La Juive" oder beim Apfelschuss im "Wilhelm Tell". Da hat er eine kleine Sprengladung auf dem Kopf der Solistin ferngezündet. "Das war nicht so einfach, wollte außer mir niemand machen."

Bevor Herbert Häming an die Staatsoper kam, war er vier Jahre an den Kammerspielen, wo das Publikum näher an der Rampe sitzt, bei den Requisiten also kaum getrickst werden kann. "Hier an der Oper haben wir den Vorteil, dass die Leute mindestens 15 Meter weit weg sind", sagt er. Selbst mit den schärfsten Operngläsern lässt sich von jenseits des Orchestergrabens nicht ausmachen, was sich Hans Sachs und Walther von Stolzing in den "Meistersingern" in Becher und Kehlen kippen. Oder ob der giftgrüne Wackelpudding in den Absinth-Kelchen, die der Chor in der "La Traviata" so akrobatisch schwenkt, wirklich verschüttet werden kann. (Nein, die Kelche sind aus grünem Glas).

Die Staatsoper hat sogar eine eigene Küche

Auch bei Filmmitschnitten gehen die Close-ups eher auf die Solisten als auf das Essen. Was allerdings oft kein Problem wäre, denn die Requisiteure in der Staatsoper haben eine eigene, voll eingerichtete Küche. Für die Rusalka etwa werden dort die Leberkäs-Semmeln zubereitet, die der Chor später orgiastisch verschlingen darf. Und in der All-you-can-eat-Oper "Hänsel und Gretel" bringt die Requisite nur echte Lebensmittel auf die Bühne. "So viel Kuchen können wir allerdings nicht backen, den lassen wir liefern", verrät Häming.

Die Requisite versucht möglich zu machen, was möglich ist. "Wenn das nicht gelingt, hab' ich immer etwas in der Hinterhand", sagt Häming. Von vorneweg Nein zu sagen zum Wunsch eines Regisseurs, ist nicht sein Ding. Das Ausstatter-Team lässt Möbel in den eigenen Werkstätten anfertigen, kauft auch bei Ikea, stöbert auf Flohmärkten und natürlich im Internet. Da wird schon mal ein historischer Bleisatz herbeigeschafft, eine Originalausgabe der Prawda aus dem Jahr 1935 aufgetrieben oder der Fliegersitz einer russischen MiG 21, den sich Regisseur Roland Schwab für seinen "Mephistophele" wünschte.

Bei jeder Vorstellung sind Requisiteure hinter der Bühne und kümmern sich darum, dass alles bereit steht. So auch an diesem Rusalka-Abend: Der Chor, man kann es riechen, verputzt seine Leberkäs-Semmeln, die Tänzer schwenken die geruchlosen, rotsehnigen Silikon-Rehe, und Kristine Oplolais kann wieder als unglückliche Nixe ins Aquarium eintauchen. Das ist mittlerweile wohltemperiert.

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