Oper:Drachentöter in Schlabberhose

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Hier wird geschmiedet und gealbert: Vincent Wolfsteiner als "Siegfried"am Nürnberger Staatstheater. (Foto: Ludwig Olah)

Georg Schmiedleitner macht aus Richard Wagners "Siegfried" in Nürnberg ein komödiantisches Paradestück

Von Klaus Kalchschmid, Nürnberg

So fühlt man sich, wenn man nach langem, bewusstlosem Schlaf durch zweifachen Kuss geweckt wird: Minutenlang rappelt man sich mühsam auf, rekelt sich, legt sich, immer noch erschöpft, wieder hin; dazwischen streckt man erst ein Bein aus dem Bett heraus, dann das andere, reibt sich immer wieder die Augen, wälzt sich herum, bis man endlich, endlich, endlich, einigermaßen wach genug ist, um auch wirklich aufzustehen.

Bevor Brünnhilde in Georg Schmiedleitners Inszenierung von Wagners "Siegfried" in Nürnberg widerstrebend und offensichtlich hell und unangenehm geblendet ihr "Heil Dir Sonne, heil Dir Licht!" trompetet, ereignet sich eine Slapstick-Nummer, wie man sie in keinem Film schöner sehen könnte. Rachael Tovey hat sichtlich Spaß an diesem komödiantischen Paradestück. Und vergessen ist, dass der Regisseur im ersten Akt mit Siegfried und Mime (virtuos zwischen Singen und Sprechgesang changierend: Peter Galliard) zwischen Jungs-Stockbett voller Stofftieren, Waschmaschine, Ikea-Regalen und allerlei Küchenutensilien ein Gag-Feuerwerk der albernsten Art abgebrannt hat.

Das kulminiert in den letzten Sekunden ("So schneidet Siegfrieds Schwert!"), wenn eigentlich ein Amboss gespalten werden soll, mit einem multiplen Kurzschluss, den Vincent Wolfsteiner - in abgefuckter roter Trainingshose und orangefarbenem Schmuddel-Shirt ein Naturbursche mit ebensolcher Stimme und einer faszinierenden Bühnenpräsenz - verursacht, indem er das frisch geschmiedete Metallteil in den golden ausgekleideten Kühlschrank rammt. Das Ende des dritten Aufzugs gestaltet sich ähnlich quer zum Pathos Richard Wagners, wenn etwa das hehre Liebespaar als Couch-Potatoes mit Schampus und Chips vor dem Fernseher lümmelt.

Dabei war der zweite Aufzug ein aufregender Opern-Krimi der erlesensten Sorte: In einer hässlichen Niemandslandschaft zwischen verrosteten Rutschen vom Spielplatz dominiert ein mehrteilig ab- und aufgebrochenes Fahrbahn-Segment wie nach einem Erdbeben die Bühne (Stefan Brandtmayer), das sich zur Erweckung des Riesen Fafner (Nicolai Karnolsky) wie ein Lebewesen bewegen kann. Jetzt hat Alberich (Martin Winkler mit schneidend charakterisierendem Bariton) seinen großen Auftritt im Schlagabtausch mit Weißalbe Wotan alias "Der Wanderer" in Gestalt von Antonio Yang, der einen mühelos Bariton-gewaltigen Gott gibt.

Endlich ist der Kampf von Siegfried und dem Drachen Fafner (der hier von Anfang an ein Mensch ist) ein spannender, verkörpert Leah Gordon einen Waldvogel, der an Krücken aussieht wie ein Zwitter aus Gruftie mit Glatze und Tänzerin in Strapsen. Marcus Bosch tut am Pult der Nürnberger Staatsphilharmonie gerade in diesem zweiten Aufzug alles, um das Geschehen musikalisch plastisch und aufregend zu gestalten. Nur höchst selten ist die musikalische Faktur dieses Aufzugs so dicht und differenziert zu erleben. Schon die Schmiedelieder oder die Szene mit Wotan und Erda (Leila Pfister barfuß und mit Hängebusen als schaurige Untote) wie auch das Finale besaßen instrumentale Urgewalt, die eine aufregende Premiere der "Götterdämmerung" in der nächsten Spielzeit erhoffen lassen.

© SZ vom 21.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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