Olympische Spiele 1972:Lautsprecher und Stille

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Ausgebremst nach dem ersten Schritt: Stadionsprecher Detlev Mahnert erinnert sich daran, wie fröhlich und weltoffen die Olympischen Spiele 1972 begannen. Dann kam das Attentat - und der Tag, an dem er 80.000 Menschen nach Hause schicken musste.

Anja Perkuhn

Tief eingeatmet hat er und sich umgesehen, als er auf dem Marienplatz stand. 40 Jahre nach den Olympischen Spielen 1972 war Detlev Mahnert hier am Anfang dieses Jahres zum ersten Mal wieder mit Ruhe, da wollte er sich noch einmal in den Platz hineinfühlen, den Ort, die Stadt.

Als einer von acht Stadionsprechern, geschult von Joachim "Blacky" Fuchsberger, hat er an den Olympischen Spielen 1972 teilgenommen: Detlev Mahnert (Foto: oh)

Meistens ist er in der Vergangenheit nur durch München gehuscht, meistens nur mit dem Auto hindurchgerauscht, zum Beispiel wenn er nach Österreich wollte. Einmal ist er im Olympiastadion gewesen für ein Spiel des FC Bayern - in dem Stadion, in dem er bei den Spielen selbst Stadionsprecher gewesen ist. "Aber da hat der Geist auch nicht mehr geweht", sagt Mahnert, "da war ich plötzlich nur einer von vielen". Die Atmosphäre von damals ist in dieser Stadt nirgendwo mehr aufnehmbar für ihn. Aber das hat er auch nicht erwartet.

"Das war etwas Historisches damals", sagt Mahnert. Inzwischen ist er 71 Jahre alt, hat viel über die Olympischen Spiele gesprochen, viel erzählt, viel auf seiner eigenen Website geschrieben und reflektiert. "Für den politischen Aspekt der Spiele habe ich mich damals nicht so sehr interessiert", sagt er. "Mich haben vor allem Menschen interessiert."

Dass er hier Teil von etwas Historischem wird, habe er aber schon damals, mit 30 Jahren, gespürt. Acht Stadionsprecher sind sie gewesen, zusammengekommen aus ganz Deutschland für dieses eine Sportereignis, das für Deutschland so viel mehr als nur ein Sportereignis sein sollte: ein Sich-Zeigen. Sich-Erklären. Unter anderem wurden die Stadionsprecher gecoacht von Joachim "Blacky" Fuchsberger, der die Eröffnungs- und Abschlussfeier der Spiele moderierte.

"Jeder sollte sich bei uns willkommen fühlen"

Mahnert, geboren in Innsbruck, war Lehrer für Deutsch und Französisch und schaute an einem Abend, Anfang der Siebziger, das Aktuelle Sportstudio, als Harry Valérien fast nebenbei erwähnte, dass noch Sprecher für Olympia in der bayerischen Hauptstadt gesucht würden. Er bewarb sich, bekam als Antwort einen Prüfungstermin in München zugewiesen und erschien mit seiner ersten Stadionsprecherprobe auf Band von einem Basketballspiel in Essen, wo er immer noch lebt.

Es schien alles herrlich einfach damals, als er beim Wissensteil "Schwimmen" der Prüfung einen Begriff nicht erklären konnte, aber dafür beim "Fußball" die Abseitsregel auswendig herunterbeten - da wurde er eben ins Fußballteam gesteckt. Einfach wirkte es, in dieses Team zu kommen, und während der Spiele waren alle stets sehr bemüht, alles leicht und einfach wirken zu lassen. "Deutschland sollte sich auf keinen Fall in irgendeiner Weise als Polizeistaat zeigen", sagt Mahnert. "Jeder sollte sich bei uns willkommen fühlen."

Das internationale Flair überflutete alles, plötzlich saß Mahnert auf einer Tribüne neben einem Argentinier - "ein Argentinier! Das müssen Sie sich mal vorstellen, das war damals noch ein Exot!" Er fuhr mit der sowjetischen Olympiamannschaft im Bus ins olympische Dorf, ließ sich treiben von der Begeisterung, die das deutsche Publikum den Sportlern entgegenbrachte. "Wir hatten alle das Gefühl, dass unsere Stimmung euphorisch war. Das war nicht nur einfache Freude, das war mehr. Wir wussten, wir würden das Gesicht unseres Landes nach außen hin verändern, die Menschen werden uns nicht mehr als Nachfolger des Nazistaates wahrnehmen."

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Dann kam das Attentat auf die israelischen Sportler, dieser schreckliche Einschnitt in die heiteren Spiele von München. Detlev Mahnert hat seine Olympia-Erinnerungssätze schon viele Male ausformuliert, sie stehen meist elegant und schön da, wie aus einem Buch vorgelesen, einem Buch mit vielen bunten, fröhlichen Bildern darin. Aber die Sätze zum Attentat, die stehen ungelenk da. "Das Attentat hat alles kaputt gemacht", sagt Mahnert nur kurz. Er schickte die Zuschauer damals aus dem Olympiastadion nach Hause, verkündete ihnen, dass die Spiele unterbrochen seien. Und danach?

Er blieb, das weiß er noch, weil er seinen Vertrag erfüllen wollte - während andere, wie seine Schwester, die als Hostess in München arbeitete, es nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, dass die Spiele weitergehen sollten. Ansonsten: "Nichts. Ich kann mich nicht einmal mehr an die Abschlussfeier erinnern und ob ich da gewesen bin oder wie ich nach Olympia wieder nach Hause kam."

So oft, sagt er, werde er gefragt, was er empfunden habe in diesen Stunden, in diesen Tagen. Das menschliche Gehirn, sagt er dann, funktioniere aber nicht so. "Schlimmes wird ausgeblendet, da muss ich mir gar keine Mühe geben, dass ich mich vor allem an die guten Dinge erinnere." Also erzählt er von dem Zettel, den er bekommen hat, auf dem Stichpunkte standen für seine Rede ans Publikum, die 80 000 Menschen, die er nach Hause schicken sollte, und dass ihm der englische Begriff für "Geisel" nicht eingefallen sei.

"München war einer der ersten Schritte dahin"

"Ohne das Attentat wäre es 1972 vielleicht schon so gewesen, wie es dann 2006 wurde", sagt Mahnert. Deutschlands Ansehen in Europa, in der Welt, dieses Gefühl, das er und Tausende andere damals hatten, auf den sonnenwarmen Sitzschalen im Olympiapark, direkt neben einem Argentinier oder einer Französin oder einer Familie aus Gambia, "dieses friedliche Nebeneinander, dass man miteinander fröhlich war".

Erst 2006, bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland, da liefen die Fäden zusammen, die Mahnerts Ansicht nach schon viel früher hätten zusammenlaufen können, sollen, und es war wieder da, dieses Gefühl. Diesmal war er in keinem Stadion als Sprecher, auch wenn er darüber nachgedacht hatte. Er stand einfach auf den Fanmeilen oder saß auf den Sofas, die Nordrhein-Westfalen so zu bieten hatte, und fühlte. Und er fühlte, dass es wieder etwas Besonderes war.

Mit Fahnen, Hymnen, Begriffen wie "Nation" kann Mahnert nach wie vor wenig anfangen, sagt er. "Aber ich bin bei diesen Veranstaltungen in meiner Grundauffassung bestätigt worden, dass man mit allen Menschen zurecht kommen kann." Nationalstolz sei zwar immer noch etwas, das ihm fremd sei - "aber man kann stolz sein auf ein Land, das aus einer so schwarzen Vergangenheit in eine so demokratische, offene Gegenwart gekommen ist, die man sich in den Fünfzigern noch nicht hätte vorstellen können." Und München, sagt er, "war einer der ersten Schritte dahin".

© SZ vom 27.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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