Abfall:Im Olympiadorf ist ein Müllchaos ausgebrochen

Müllschlucker Olympiadorf

Eigentlich ist klar, was in die Müllklappen im Olympiadorf gehört.

(Foto: Privat)
  • Der Abfall der Bewohner im Olympiadorf wird durch ein Rohrsystem gesaugt und entsorgt.
  • Immer wieder verstopfen die Rohre, weil Dinge darin landen, die zu groß und zu sperrig sind.
  • Nun musste die Anlage abgestellt werden, weil sie sich an Abfall verschluckt hatte, der eigentlich im Hausmüll nichts zu suchen hat.

Von Jana Heigl

Eigentlich saugen vier kräftige Motoren den Müll im Olympischen Dorf durch ein drei Kilometer langes Labyrinth aus Rohren. Durch Unterdruck wird der Hausmüll, ähnlich wie bei einem Staubsauger, nach unten gezogen, fällt in einen Container, wird gepresst und auf der Deponie entsorgt. Eigentlich. Denn die Rohre der Sauganlage sind immer öfter verstopft - weil Anwohner den Müll nicht richtig trennen. Fahrradkörbe, Computertastaturen und fortgeworfene Bücher landen in der Klappe. Kein Wunder, dass sich der Müllschlucker ab und zu selbst verschluckt. Diesen Sonntag war es so schlimm, dass die Anlage abgestellt werden musste. Drei Tage lang blieben 6000 Menschen auf ihrem Müll sitzen.

"70 bis 80 Prozent des Restmüllaufkommens ist Müll aus dem dualen System, also Kartons oder Plastikflaschen", sagt Herbert Hantelmann, Geschäftsführer der Olympiadorf-Betrieb Beteiligungs GmbH (ODBG). Die Bewohner werfen vor allem sperrige Kartons von Online-Versandhäusern wie Amazon in die Schächte. Die Pakete verkeilen sich in den Kurven der Anlage und verhindern, dass weiterer Müll durchrutscht. Täglich passiert das laut Hantelmann bis zur vier Mal. "Früher war das nicht so", sagt er. "Das hat in den letzten zwei, drei Jahren deutlich zugenommen."

Steckt der Karton im Rohr fest, reicht der normale Luftzug nicht mehr aus, um ihn weiter nach unten zu ziehen. Stattdessen wird zusätzlicher Abfall angesogen, und alles wächst zu einem großen Pfropfen. "Wenn die Luftgeschwindigkeit nicht mehr hergestellt werden kann", sagt Hantelmann, "führt das zum Kollaps".

Wie zum Beispiel am vergangenen Sonntag: Gleich an fünf Stellen verstopfte falsch entsorgter Müll die Rohre - und Hantelmann musste das System stilllegen. Nun muss erst mithilfe einer aufwendigen Kamera-Inspektion geklärt werden, was genau die Anlage verstopft. Danach entscheidet die ODBG, ob ein Haken, ein Roboter oder sogar Wasserhochdruck vonnöten ist, um die Rohre wieder freizubekommen. Egal welchen Ansatz die Verwaltung wählt, es wird teuer. Vor ein paar Jahren gab es bereits einen extremen Fall, der die Bewohner 65 000 Euro gekostet hat. Auf wie viel die Reinigung dieses Mal kommt, kann Hantelmann noch nicht sagen, denn es gab noch keine Untersuchung.

Und wohin kommt jetzt der ganze Müll? Im Olympischen Dorf leben rund 6000 Menschen; sie produzieren im Jahr mehr als 900 Tonnen Abfall. Für sie hat Hantelmann kurzfristig 72 Müllcontainer beim Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM) bestellt. Damit der Müll nicht liegen bleibt, kommt vor jeden Hauseingang ein großer Container. Zusätzlich sind 20 kleinere Tonnen für die Bungalows und Reihenhäuser bestellt. Laut Evi Thiermann vom AWM, stehen die Behälter bereits zur Verfügung. Ein Viertel der Tonnen sind schon aufgestellt, der Rest folgt so bald wie möglich. "Wir sind dran", verspricht sie.

Die Anlage funktioniert sein Jahrzehnten ohne Probleme

Bevor die Anlage streikte, hat sie 45 Jahre meist einwandfrei funktioniert. Die Saugtechnik wurde in den Sechzigerjahren in Schweden entwickelt. Heute versorgt die schwedische Firma Envac, die auch die Anlage im Olympischen Dorf gebaut hat, mehr als zwei Millionen Haushalte weltweit mit der Technologie. In Ballungsräumen wie Seoul ist die Technik gefragt, weil dort oft der Platz fehlt, um Mülltonnen aufzustellen. In Deutschland ist sie nicht sehr verbreitet - die Größenordnung der Ausstattung im Olympiadorf gilt hierzulande als einzigartig, obwohl diese Form der Müllentsorgung günstig ist. Weil der Abfall auf ein Fünftel seiner Größe gepresst wird, muss die Müllabfuhr die Container nicht so oft leeren. Das spart Kosten.

Jonas Törnblom ist der Marketingbeauftragte von Envac und erzählt, dass eine Anlage aufgrund von Wartungsarbeiten normalerweise nicht länger als einen Tag ausfallen muss. Von so vielen nötigen Eingriffen wie im Olympiadorf hat er noch nie gehört. "Das ist sehr ungewöhnlich", sagt Törnblom. Aber "Online-Shopping wird zunehmend zum Problem", weiß auch er. Damit Anwohner in Zukunft auch Kartons in den Müllschlucker werfen können, tüftelt das Unternehmen gerade an neuen Anlagen mit Schredder-Aufsätzen an den Einwurfschächten, die den Müll zerkleinern.

Im Olympiadorf gibt es sie allerdings noch nicht. Weil die ständige Wartung der Ansauganlage mit hohen Kosten verbunden ist, weiß Hantelmann nicht genau, wie es damit weitergehen wird. Eine Million Euro kostet die Müllentsorgung im Jahr, inklusive Gebühren für AWM, Personaleinsatz und Reparaturen. "Bei mangelnder Mülltrennung ist es fraglich, ob man das weiterhin so praktizieren kann", sagt Hantelmann. Dabei wäre es gar nicht schwierig, den Müll richtig zu sortieren: Das Olympiadorf hat einen eigenen Wertstoffhof. "Papier-, Glas- und Biotonnen sind direkt vor der Haustür", ergänzt ein Anwohner. "Es gibt überhaupt keinen Grund, nicht zu trennen."

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