Architektur:So lebt es sich im Wellblechpalast

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Architekten küren das Heim einer Familie aus dem oberbayerischen Olching zum "Haus des Jahres 2016", das ohne Putz gebaut ist. Nicht bei allen Nachbarn kommt der Baustil gut an.

Von Stefan Salger, Olching

Eines haben der dreimotorige Flugzeugklassiker Junkers 52 (Tante Ju), der unverwüstliche Oldtimer-Kleintransporter Citroën Typ H und Hütten in brasilianischen Favelas gemein: Sie profitieren allesamt von der Stabilität eines leichten und günstigen Werkstoffs. Wellblech. Bernd und Laura Müller haben ein Wellblechhaus gebaut. Ein Fall für die Bauaufsicht? Ein Fall fürs Jugendamt, das sich der vier Kinder annehmen sollte? Mitnichten: ein Fall fürs Preisgericht.

Das Wellblechhaus in Olching im Landkreis Fürstenfeldbruck wurde zum Haus des Jahres 2016 gekürt. Der Berliner Architekt Guntram Jankowski setzte sich damit gegen 202 Mitbewerber durch und gewann den von Callwey-Verlag und Deutschem Architektur-Museum ausgelobten, mit 10 000 Euro dotierten ersten Preis. Nun also findet es sich im dicken Buch "Die besten Einfamilienhäuser 2016" wieder - mindestens auf Augenhöhe mit pfiffigen Bungalows oder Wohnwürfeln vor Bergpanorama. Die Fachwelt ist begeistert. Für die Nachbarn gilt das nicht uneingeschränkt.

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Hell und geräumig ist das prämierte Wellblechhaus von Familie Müller in Olching geworden. Die Heizkosten betragen weniger als 50 Euro.

Bernd Müller, 44, Grafikdesigner mit langen Haaren, Seitenscheitel, dünnem, leicht grauen Bart, steht in Jeans, weißem Hemd, rot-schwarz geringelten Socken vor dem Haus, in dessen Fassade sich die Sonne spiegelt. Dem Betrachter offenbart sich beim Blick über das Gartentürchen, dessen Holzlatten unter kleinen Künstlerhänden zu Buntstiften geworden sind, die Schokoladenseite des Hauses.

Eine große Glasfläche erstreckt sich über die westliche Fassade, große Fenster auch an der knapp 14 Meter langen Südseite. Tageslicht fällt ins Esszimmer mit dem großen Tisch, und ins Wohnzimmer. Dort steht eine Bücherwand auf der einen und ein Klavier auf der anderen Seite. Einen Fernseher sucht man vergeblich. Es sind Räume, die die gesamte Gebäudebreite ausnutzen. Das sind freilich auch nur sechs Meter.

Von der Straße aus ist ganz oben die Phalanx der zehn Dachfenster zu sehen. Hinter der Ostseite freilich gibt sich das Haus zugeknöpft und lässt den Wellen freien Lauf. Da stand schon mal der Nachbar und schüttelte den Kopf über "Blech ohne Ende", das nur durchbrochen ist von einem einzigen kleinen Fenster im Obergeschoss. "Mehr brauchen wir auch nicht, da steht ja die Bücherwand davor", sagt Müller schelmisch. Außerdem trage das dazu bei, den hohen Energiesparstandard einzuhalten. Die monatlichen Heizkosten für die kleine Holzpelletanlage bewegen sich unterhalb von 50 Euro.

Auf der Nordseite schweift der Blick über Wäschespinne, Komposthaufen und Gemüsebeete. Dort kommt das Haus mit sechs hohen, aber sehr schmalen Fenstern aus. Gerade diese puristische Ansicht hatte es der Jury angetan, die den "disziplinierten Umgang mit besonders preiswerten Materialien wie Wellblech, Estrich und Holztafeln" lobte. Dieses Haus adle das Sparsame, sei "ein Musterbeispiel der Einfachheit für ein kleines Budget".

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Was für ein Haus! Es scheint nur zwei Meinungen zu geben: Potthässlich oder einfach der Wahnsinn, mutig, originell. Je länger man sich mit diesem Bauwerk beschäftigt, desto stärker fühlt man sich zum zweiten Lager hingezogen, desto mehr versteht man die Jury, desto neugieriger wird man auf diese Familie. Wie um alles in der Welt kommt man auf die Idee, so ein Wellblechhaus zu bauen? Eigentlich sei das alles gar nicht so spektakulär, erklären die Müllers.

Das 358 Quadratmeter kleine Grundstück mit der alten Garage drauf haben sie geerbt. Schnell war klar, dass man eher in die Höhe als in die Breite bauen muss, schließlich sollte Platz geschaffen werden für Helene, 3, Gustav, 5, Rosalie, 7 und Josephine, 9. Klar war außerdem, dass das Budget nicht allzu üppig bemessen war, trotzdem aber gewisse Bedingungen erfüllt sein sollten. "Hohe und helle Räume waren mir sehr wichtig", erklärt Germanistikstudentin und Kinderbuchautorin Laura Müller, 29.

Außerdem sollten die Kinderzimmer mindestens zwölf Quadratmeter groß sein und damit mehr Platz bieten als in der früheren Wohnung im Münchner Stadtteil Lochhausen. Holzständerbauweise stand ebenso im Lastenheft. Und die Fassade? "Keinen Putz", sagt Laura Müller, "eher Lärchenholzverschalung. Irgendwas aus einem Guss sollte es sein." Dann schlug Architekt Guntram Jankowski, der nebenbei noch ihr Trauzeuge war, irgendwann das viel günstigere Material vor. Und Laura Müller dachte sich: "Irgendwie wäre das witzig." Und so kam die Sache ins Rollen.

Je länger sich die Müllers und ihr Architekt mit der Sache befassten, desto genialer erschien ihnen die Idee. Sie spannen also weiter am Projekt eines Hauses, dessen Wellblechdach buchstäblich bis zur Grasnarbe herunterreicht. Die hinterlüfteten Wände sind exakt so aufgebaut wie das Dach. Ebenso wie auf die Beläge für den blanken Betonfußboden wurde schon aus Kostengründen auf Installationen und Stromleitungen verzichtet - auch deshalb sind Wärmebrücken kein Thema.

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Steckdosen finden sich nur an den Innenwänden, in Richtung des massiven Treppenhauses, das quasi als zentrale Stütze dient. Die Kinderzimmer sind verschachtelt und nutzen den Stauraum unter den Treppen, auf dem Weg zum Schlafzimmer, das unterm Dach liegt, steht unter einem der Fenster eine frei stehende Badewanne. Die reinen Bruttobaukosten für all dies: 230 000 Euro.

Kurz nach Ostern 2013 zog die sechsköpfige Familie ein. Hinter ihnen lag eine Zeit, die nicht nur von Vorfreude geprägt war: Ärger über unzuverlässige Handwerker, aus der Decke ragende Schrauben, Spalten in der Holzdecke. Ohne das Engagement eines Bauleiters klappte es nur deshalb, weil Bernd Müller in Elternzeit war und täglich um die fünf Stunden auf der Baustelle stehen konnte. Als das Haus fertig war, wurde es lustiger. Laura Müller erinnert sich noch gut: Einmal fuhr ein Mittdreißiger auf dem Mountainbike vorbei und konnte den Blick nicht mehr abwenden von diesem seltsamen Haus. "Der ist wirklich vom Radl gefallen, ihm ist aber nichts passiert."

Andere Passanten sagten: "Super, dass man so was sieht", und beim Einkaufen wurden sie angesprochen: "Ach, Sie sind das mit dem tollen Haus." Andere verzogen das Gesicht und gingen schnell weiter. Ein Nachbar fragte mal, ob das eine bewusste Provokation sei. "Nein, wir finden das Haus schön und vernünftig" antworteten die Müllers. Das sei "doch die Blütenstraße und nicht die Blechstraße", moserte ein anderer.

Und nun der erste Preis. Laura Müller steht neben ihrem Mann auf der Straße und kann sich ein Grinsen nicht verdrücken. Ein klein bisschen Genugtuung verspürt sie schon. Ihr Haus steht ja auch für Vielfalt. Links daneben ein moderner Wohnkubus, rechts ein Haus aus den Siebzigerjahren mit Holzgeländer am Balkon und einem Steinlöwen neben der Eingangstür. Und mittendrin eben beschwingtes Wellblech. Na ja, die Müllers können auch anders. An die silbern funkelnde Ostfassade lehnt sich auf dem Handtuchgarten ein Bauwerk mit durchaus klassischer Architektur: der Hühner- und Hasenstall.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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