Oktoberfest:Wie der Olympia-Looping den Menschen den Kopf verdreht

Schmuckfoto City Oktoberfest 2014

Der Olympia Looping auf dem Oktoberfest.

(Foto: Florian Peljak)

Die aufregende Geschichte der größten transportablen Achterbahn der Welt.

Von Laura Hertreiter

Ganz oben, kurz bevor die Wagen kippen und über eine Steilkurve in die Tiefe donnern, wird Otto Barths Achterbahn eigentlich lebendig. Fliegende Arme, Adrenalinjubeln und atemloses Ächzen. An jenem Samstag vor sieben Jahren aber hielt die voll besetzte Bahn an genau dieser Stelle einfach an.

Durchgebrannter Motor, Stillstand.

Das war so ein Moment, sagt der Bonner Schausteller Otto Barth heute, in dem sein Olympia-Looping auch ihm unten am Kassenhäuschen auf dem Münchner Oktoberfest wieder einmal den Puls in die Höhe gejagt hat. Eine halbe Minute lang hatte sich der Zug zuvor über die orangefarbenen Gleise in mehr als dreißig Meter Höhe geschoben.

28 Menschen hingen fest, ganz oben

Auf den Sitzen die übliche Stille am Fahrtbeginn, weil der Horizont immer weiter wird und sich die Passagiere unter den Schulterbügeln mit jeder Sekunde kleiner fühlen.

Ganz oben hingen sie dann fest, 28 Menschen. Drüber blauer Himmel und Wolken, als wäre Zuckerwatte in ein Windrad geraten. Drunter Fetzen von Volksfestmusik und winzig klein das Gewimmel der Stadt. Otto Barth, 49 Jahre alt, hat einige solcher Augenblicke mit seiner Achterbahn erlebt. Und schlimmere. "Eigensinnig ist sie", sagt er, "aber auch einzigartig."

Der Olympia-Looping, 27 Jahre alt, ist die größte transportable Achterbahn der Welt. Früher reiste sie auf 50 Lastwagen durch das ganze Land, vom Hamburger Dom bis zum Münchner Oktoberfest und bis nach Frankreich und in die Niederlande, acht Stationen im Jahr. Heute lohnt sich das nicht mehr, das Geschäft mit dem Rummel ist härter geworden.

Der deutsche Schaustellerbund fürchtet, dass kleinere Veranstaltungen ganz verschwinden könnten. In den vergangenen 15 Jahren ist die Zahl der Volksfeste von 12 000 auf knapp 10 000 zurückgegangen. Die Besucherzahl sank von 178 auf 148 Millionen, 17 Prozent der Geschäfte wurden aufgegeben. Vor allem solche, die sich nicht wie der Looping einen Platz auf Riesenfesten wie dem Münchner Oktoberfest oder der Cranger Kirmes in Herne sichern konnten.

Kosten für den Transport nach Hamburg: bis zu 50 000 Euro

Das sind auch die einzigen Festplätze, auf denen Barth seinen Olympia-Looping in der vergangenen Saison aufbauen ließ. Vor einigen Jahren, als der Benzinpreis auf seinem vorläufigen Maximum war, rechnete er aus, dass der Transport der Achterbahn von München nach Hamburg mehr als 50 000 Euro kosten würde, und beschloss, nur noch die profitabelsten Plätze anzusteuern.

"Solange wir das so machen, können wir uns auch in schwierigeren Zeiten finanziell nicht beklagen", sagt Barth. Weil viele Schausteller auf diese Weise kalkulieren, sind etliche kleine Dulten und Feste vom Aussterben bedroht. Damit ist die Geschichte des berühmten Fünferloopings nicht nur eine Geschichte voller Eigensinn, voller Höhen und Tiefen, sondern auch: Volksfestgeschichte.

Wie der Aufbau abläuft

Oktoberfest: Achterbahnbesitzer: Schausteller Otto Barth, 49.

Achterbahnbesitzer: Schausteller Otto Barth, 49.

(Foto: Stephan Rumpf)

Zehn Tage vor dem Anstich auf dem Münchner Oktoberfest. Die bunte Rekord-Achterbahn kringelt sich schon vor dem blauen Herbsthimmel. Otto Barth, Jeans und Karohemd, wuchtet ein paar Holzplanken aus einem Kofferraum. Der durchgetretene Boden hinter der Kasse muss erneuert werden. "Was gemacht werden muss, sehen wir immer erst, wenn die Bahn steht", sagt Barth.

Er ist Schausteller in achter Generation und betreibt auch einen Freizeitpark in Wiesbaden. Sein Vater reiste noch mit fünf Fahrgeschäften zu Festplätzen, er nur noch mit dem Fünferlooping. Acht bis zehn Tage dauert der Aufbau der Bahn, ein Dutzend Männer ist damit beschäftigt. Der Schausteller deutet hinauf zum höchsten Punkt der Gleise. Dort, wo am zweiten Wiesn-Samstag 2008 der Zug hing, kriecht nun ein Arbeiter auf allen Vieren ameisengroß über die Gleise und zieht jede Schraube per Hand nach.

Von dort hatten Barth und seine Kollegen damals einen Fahrgast nach dem anderen über eine fest montierte Leiter aus dem feststeckenden Zug geholt. Keine zwei Stunden später war der Motor ersetzt und die Bahn rauschte wieder voll besetzt in die Tiefe, mit 100 Stundenkilometern über die Steilkurve, hinein in den ersten Looping.

Dort drückt der Überschlag die Passagiere erst einmal schwer in ihre Sitze, für einen winzigen Moment von 0,9 Sekunden wirkt das fünffache Körpergewicht auf jeden von ihnen ein, fast so viel wie auf einen Astronauten beim Raketenstart. Im Scheitelpunkt, kopfüber, spürt man plötzlich nur noch sein halbes Körpergewicht. Das Schreien, das Herzrasen und die feuchten Handflächen, all das ist millimetergenau berechneter Nervenkitzel.

Schon vor knapp 170 Jahren wurden erste Einerloopings in Paris und London aufgebaut. Und schnell wieder verboten, weil Fahrgäste mit Verletzungen und schmerzenden Nacken ausstiegen. Die Beschleunigungskräfte waren teils doppelt so groß wie die heute erlaubten.

Erst Mitte der Siebzigerjahre löste der Mann das Problem, der später auch den Olympia-Looping erschaffen sollte: der Münchner Ingenieur Werner Stengel. Seit er die Formel für den ersten transportablen Vertikallooping berechnete, gilt der heute 78-Jährige als Achterbahn-König. Otto Barths Vater, Rudolf Barth senior, reihte sich in die lange Schlange derer ein, die eine Bahn kaufen wollten und gab einen Zweierlooping in Auftrag.

Der sei im ersten Jahr, 1979, eine Sensation auf jedem Rummel gewesen, erzählt Otto Barth. "Die Leute fanden die Fahrt super. Aber zu kurz." Schon im Jahr darauf brachen die Besucherzahlen heftig ein. Also bestellte die Schaustellerfamilie einen Dreierlooping beim Achterbahn-König, und schließlich das Rekordprojekt mit fünf Überschlägen. Die Planung der Weltneuheit dauerte drei Jahre.

Das Problem: 1250 Meter Schienen sollten auf einer möglichst kleinen Grundfläche untergebracht werden. Die fünf Ringe mussten so angeordnet werden, dass die Besitzer an einem Lizenzstreit mit dem Olympischen Kommitee vorbeischrammten. Und natürlich so, dass der Nervenkitzel perfekt ist.

Die Legende vom Heiratsantrag in der großen Schleife

Nach dem schwarzen Ring, dem ersten, saust die Bahn direkt in den blauen, und den roten, atemlose Sekunden. Dann erst dreht sie eine große Schleife. In dieser Schleife, so lautet eine Rollercoaster-Legende, soll ein Italiener seiner Freundin vor Jahren auf dem Hamburger Dom einen Heiratsantrag gemacht haben. Psychologen raten ja längst zu Achterbahn-Rendezvous, weil das Gehirn nicht unterscheiden könne, ob das Kribbeln im Bauch auf den Schleudergang oder den Sitznachbar zurückzuführen sei.

Wie viele Menschen den Olympia-Looping ein bisschen verliebter verlassen haben, weiß niemand. Aber bevor die Italienerin antworten konnte, sauste der Wagen schon in den vierten und fünften Looping, grüne Gleise, gelbe Gleise, Kribbeln im Bauch, ja.

"Die schlimme Geschichte mit dem Adnan"

Bis 1989 dauerte der Bau der Bahn, dann endlich war endlich fertig. Frisch lackiert, gewaltig groß, ein Fahrgeschäft der Superlative. Otto Barth bläst die Wangen auf und erzählt, was dann geschah. "Die schlimme Geschichte mit dem Adnan."

Der Schlosser Adnan Yikilmazoglu, Mitte vierzig, hatte bereits 49 Achterbahnen aufgebaut. Der Olympia-Looping sollte sein letztes Projekt sein, danach wollte er zu seiner Frau und den drei Töchtern in die Türkei zurückkehren. Kurz vor der Premiere in München sprang Yikilmazoglu übermütig für eine letzte Testfahrt in einen Wagen - ohne den Bügel zu schließen. Die Fliehkräfte rissen ihn aus dem Sitz und schmetterten ihn gegen einen der Stahlpfosten. Er war sofort tot.

Trotz des Unfalls bejubelte die Presse 1989 die Ankunft der neuen Achterbahn und überschlug sich mit Superlativen. Der TÜV, der die Bahn bis heute jedes Jahr kontrolliert, hatte zuvor jede Schraube inspiziert, 1000 Stunden lang, Flugmediziner schickten eine mit Sensoren gespickte Puppe auf Testfahrt, um sicherzugehen, dass Geschwindigkeit und Kräfte verträglich sein würden. Allerdings lässt sich kaum etwas so schwer kalkulieren wie berauschte Volksfestmassen.

Im Netz teilen Achterbahnfans Tausende Bilder über den Looping

Der Olympia-Looping war erst wenige Tage alt, für eine Fahrt drängelten sich die Menschen anderthalb Stunden lang in der Schlange vor der Kasse, als ein Betrunkener über die Absperrung kletterte, von einem Wagen mitgerissen und schwer verletzt wurde. Die Bahn war auch erst wenige Tage alt, als eine Männergruppe nach der Fahrt torkelnd ausstieg und einer zusammenbrach. Barth senior eilte zu Hilfe. Die Männer winkten ab, sie seien selbst Ärzte. Wenig später war der Mann tot.

Daraufhin wich der Pressejubel erst einmal großer Skepsis. Physiker und Ärzte wurden befragt, ob solche Bahnen nicht doch zu gefährlich seien. Sie kamen zu dem Schluss, dass Leute ab acht Jahren, die nicht schwanger, betrunken, zu groß oder zu klein sind, gefahrlos mitfahren können. Und kurz darauf stellte sich heraus, dass der Tote nicht wegen der Fahrt gestorben, sondern an seinem eigenen Erbrochenen erstickt war. Und der Olympia-Looping war wieder: "Die Sensation".

Heute sind die Schlangen an den Kassen kürzer als früher. Ultrafalltürme und Ultraschleudersitzreihen nebenan sind harte Konkurrenz. Im Vergleich mit dem ununterbrochenen Adrenalinschwall, den sie versprechen, wirkt eine Runde mit dem Looping fast beschaulich. Aber unter Achterbahnfans ist der Fünferlooping noch immer eine Legende. Im Netz teilen sie Bilder, Videos, Liebesprosa über das "wilde und zugleich sanfte Rundherum, bei dem man nicht über alle Achsen rasiert wird wie bei den neuen Attraktionen". Und sie planen Petitionen, damit der Looping vielleicht doch einmal nach Rom kommt.

Auf Festplätzen kauft manch ein Süchtiger Zehnerkarten und lässt sie Fahrt für Fahrt abstempeln, ohne auszusteigen. Die meisten aber lieben den Moment, wenn die Bahn nach fünf Überschlägen und zweieinhalb Minuten hinter den Kassenhäuschen ausrollt. Wenn sich schwindelige Euphorie mit benommener Erleichterung mischt, und der Schulterbügel mit einem metallischen Klicken aufspringt.

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