Oktoberfest:Tradition ist stärker als Angst

Oktoberfest 2017

Eine Wiesnbedienung trägt Masskrüge durchs Bierzelt.

(Foto: Getty Images)

Um den Sicherheitszaun schert sich schon niemand mehr. Die Wiesn 2017 beginnt entspannt.

Von Ingrid Fuchs und Laura Kaufmann

Tradition ist stärker als Angst. Der erste Tag auf dem größten Volksfest der Welt fühlt sich an, als wäre das Oktoberfest im vergangenen Jahr einfach gar nicht zu Ende gegangen. Menschen mit glücklichen Gesichtern recken die Masskrüge in die Höhe, die Kapelle spielt Prosit um Prosit, draußen schieben sich Menschenmassen über die Wirtsbudenstraße, sogar das Wetter ist ähnlich schlecht wie 2016 - und außenrum steht immer noch der Sicherheitszaun.

Der Unterschied, an dem man dann doch merkt, dass ein Jahr vergangen ist: Dieser Zaun stört kaum noch jemanden. Was 2016 für monatelange Diskussionen gesorgt und viele Menschen verunsichert hatte, nehmen die Oktoberfestbesucher 2017 einfach hin. So warten die Leute im Morgengrauen nicht bei den Festzelten auf Einlass, sondern vor dem Festgelände. Dass größere Taschen und Rucksäcke nicht mitgenommen werden dürfen? Auch klar. Und die Gespräche vorm Anstich werden wieder mehr vom schlechten Wetter als drohendem Terror dominiert.

Mittags im Schottenhamel-Festzelt: Draußen posieren Touristen mit Bratwürsten, drinnen in den Zelten werden massenweise Weißwürste bestellt. Die Grundlage für das Bier, das erst fließen darf, wenn Dieter Reiter um Punkt zwölf angezapft hat. Gerade noch rechtzeitig kommen der SPD-Oberbürgermeister, Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid und der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (beide CSU) in der Anzapfbox an. Auf den CSU-Chef hatten die Stadtoberhäupte warten müssen, "ich habe mich noch mit der Polizei unterhalten", sagt er, Sicherheit sei für ihn eben ein wichtiges Thema. Damit ist er nicht allein - im Wahljahr sowieso nicht.

Zum wichtigsten Wiesn-Auftritt trägt Reiter eine rote Weste zur Lederhose, passend zum rot-schwarzen Dirndl seiner Frau. Sie habe die Weste ausgesucht, sagt er, und er fände die Farbe schön. Aber politisch motiviert sei das nicht. "Wir machen auf der Wiesn keinen Wahlkampf, das habe ich mit dem Ministerpräsidenten ausgemacht", sagt der Oberbürgermeister.

Immer wieder haben die beiden in der Vergangenheit mit trauter Einigkeit überrascht - zuletzt in der Entscheidung über eine Tram durch den Englischen Garten. Finanzminister Markus Söder (CSU) war immer gegen das Projekt, sein Chef plötzlich dafür. Bei Reiter und Schmid ist das natürlich nochmal was anderes, sie gehören verschiedenen Parteien an, sollten im Sinne der Stadt aber doch auch irgendwie zusammenarbeiten, was öfter mal nicht so gut klappt. Ein ziemlich gutes Beispiel dafür ist das Bier auf der Wiesn. Denn das darf kosten, so viel die Wirte wollen. 10,95 Euro sind das etwa im Schottenhamel. Schmid konnte die von ihm geforderte Bierpreisbremse, die den Masspreis auf den des Vorjahres gedeckelt hätte, nicht durchsetzen. "Es ist mir nach wie vor unverständlich, dass der Stadtrat das abgeschmettert hat", sagt Schmid.

Auch den Oberbürgermeister schien diese Posse kurz vor der Wiesn wieder zu beschäftigen, jedenfalls sprach er am Donnerstag bei einer Wahlveranstaltung am Marienplatz für Martin Schulz versehentlich von Martin Schmid. So kurz vor dem Anstich ist aber auch viel los im Terminkalender, da kann man schon mal kurz die Konzentration verlieren.

Dem Oberbürgermeister dürfte der stolze Bierpreis jedenfalls dabei helfen, seine Hand ruhig zu führen. "Präzise ist wichtiger als fest", erklärt er vorm Anstich. Mittlerweile ist es sein viertes Mal, er hat Routine. Wieder sind es nur zwei Schläge, dann kann er Horst Seehofer die erste Mass überreichen.

Statt dass um den Preis gezankt wird, soll dieses Bier auf der Wiesn aber nun endlich getrunken werden. Und so fühlt es sich eben gleich wieder an, als hätte man sich erst gestern zuletzt zugeprostet.

Durchs Zelt schallt bereits das "Prosit der Gemütlichkeit", die Biergärten draußen sind am Mittag nass von Regen und nur vereinzelt von den Entschlossensten bevölkert, erst am Nachmittag wird es ein wenig freundlicher. Sowas wirkt immer schnell ein wenig trostlos, aber die Karussells drehen und blinken unbeirrt dagegen an. Und es bleiben jetzt noch 17 Tage Zeit, Rekordwiesn, und jede Bank, drinnen wie draußen, wird noch von unzähligen Hintern besetzt sein. Das hat auch schon Tradition.

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