Oktoberfest-Studie:Oans, zwoa, Herzrasen

Opening Day - Oktoberfest 2016

Mit jedem Promille Alkohol im Blut steigt die Wahrscheinlichkeit für Herzrhythmusstörungen um 75 Prozent, ergab die Studie der Kardiologen.

(Foto: Johannes Simon/Getty Images)
  • Zwei Kardiologen der Ludwig-Maximilians-Universität München haben den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Herzrhythmusstörungen untersucht - an mehr als 3000 Freiwilligen auf dem Oktoberfest.
  • Dem Ergebnis der Studie zufolge war bei 30,5 Prozent der Probanden der Herzrhythmus beeinträchtigt, während dies in der Normalbevölkerung bei ein bis vier Prozent der Menschen der Fall ist.
  • Außerdem steige mit jedem Promille Alkohol im Blut die Wahrscheinlichkeit für Rhythmusstörungen um 75 Prozent.

Von Werner Bartens

Zugegeben, die Idee entstand "beim Bierchen", sagt Moritz Sinner. Der Kardiologe von der Ludwig-Maximilians-Universität München und sein Kollege Stefan Brunner wollten wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und Herzrhythmusstörungen gibt. Aus der Fachliteratur kannten die Mediziner das "Holiday Heart Syndrom". Immer wieder wird - besonders aus angelsächsischen Ländern - berichtet, dass bisher Gesunde wegen Herzbeschwerden den Arzt aufsuchen, weil sie sich zwei, drei Tage zuvor an freien Tagen ("Bank Holidays") Trinkgelagen hingegeben haben.

Was es damit auf sich hat, untersuchten die Forscher in einem Versuch, für den sich München anbietet. Auf dem Oktoberfest 2015 erfassten sie bei mehr als 3000 Freiwilligen, wie Alkohol die Neigung zu Herzrhythmusstörungen verstärkt - je höher die Dosis, desto größer die Wahrscheinlichkeit. Die Auswertung ist jetzt im European Heart Journal (online) erschienen. "Die älteste Teilnehmerin war eine 91-jährige Dame", erinnert sich Sinner. "Sie tanzte zwar nicht auf dem Tisch, aber sie bezeichnete sich als regelmäßige Wiesn-Besucherin." Der höchste Alkoholblutspiegel unter den Teilnehmern lag bei 2,94 Promille.

Dass es sich bei der Oktoberfest-Studie nicht um eine Schnapsidee handelt, zeigen die Ergebnisse. Demnach war bei 30,5 Prozent der Probanden der Herzrhythmus beeinträchtigt; in der Normalbevölkerung ist dies bei ein bis vier Prozent der Menschen der Fall. Zu 25,9 Prozent handelte es sich um eine Sinustachykardie, "unangebrachtes Herzrasen mit einem Puls über 100, obwohl die Leute nur gestanden oder gesessen sind", sagt Sinner. Außerdem schränkte Alkohol die Variabilität des Herzrhythmus ein. Ein gesundes Herz schlägt auch in Ruhe nie gleich, mal liegt der Puls bei 68, mal bei 74 oder 72 Schlägen pro Minute. Je kränker das Herz, desto starrer die Frequenz. Dieses Phänomen trat auch mit zunehmendem Bierkonsum auf.

"Die gute Nachricht ist, man wird nicht todkrank, wenn man vom Oktoberfest kommt", sagt Kardiologe Sinner. "Aber wir haben Veränderungen des Herzrhythmus gefunden, wie sie typisch für Herzpatienten sind." Wer einen Infarkt bekommt oder an Herzschwäche leidet, bei dem liegen auch oftmals eine Sinustachykardie und starre Herzfrequenz vor. Alkohol bringt die Regulierung des Herzrhythmus durcheinander. Dadurch verstärkt sich die Neigung zu Vorhofflimmern, was wiederum die Leistung des Herzens um 15 Prozent verringern und ein Risiko für Schlaganfall sein kann.

Sinner, der mit seinem Kollegen und zwei Doktorandinnen fast jeden der 16 Tage auf dem Volksfest mit Messungen zugebracht hat, ist noch immer beeindruckt, wie positiv die Stimmung war. "Wir haben ja alkoholisierte Menschen angesprochen und dachten, wir nerven die", so der Arzt. "Aber die Leute waren freundlich und wollten wissen: 'Wie viel Promille habe ich jetzt?' Das EKG in 40 Sekunden mit Hilfe einer App nehmen, da mussten die Teilnehmer nur ein Smartphone in der Hand halten."

Außerdem fielen weitere alltagstaugliche Erkenntnisse ab. Mit jedem Promille Alkohol im Blut steigt die Wahrscheinlichkeit für Rhythmusstörungen um 75 Prozent. Eine Schwelle scheint zudem bei 1,2 oder 1,3 Promille zu liegen. Wer nicht regelmäßig trinkt, wird oberhalb dieser Werte kaum zurechnungsfähig sein. Für drei Promille Blutalkohol müssen geübte Trinker, die schlank sind, mindestens sechs Liter Bier zu sich nehmen, bei stämmigen Zeitgenossen und nach einer Mahlzeit sind es mehr als zehn Liter.

Bisher vermuten Ärzte, dass alkoholbedingte Rhythmusstörungen ausgenüchtert verschwinden. Bei vorgeschädigtem Herzen kann Alkohol jedoch bleibende Arrhythmien auslösen. Chronischen Trinkern droht eine dilatative Kardiomyopathie - "ein ausgelatschtes Herz", wie Sinner sagt. Bayerischen Ärzten ist das Phänomen als "Münchner Bierherz" bekannt.

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