Oktoberfest-Lebkuchen:Dein ist mein ganzes Herz

"Weltbeste Sandra", "Stefan, du Depp": Was aus den Lebkuchen-Botschaften der Festbesucher zu erfahren ist.

Margita Feldrapp

Das größte Lebkuchen-Herz soll's sein, mit weiß-blauem Rand und grünen Zucker-Blümchen. Fast dreißig Euro ist der jungen Frau das essbare Wiesn-Accessoire wert. Dabei würde ihre Lebkuchenbotschaft auf jedes kleinere Herz passen.

Oktoberfest-Lebkuchen: Soll manchmal sogar einen Heiratsantrag auf Herzen malen: Lebkuchenmaler Michael Schifferl

Soll manchmal sogar einen Heiratsantrag auf Herzen malen: Lebkuchenmaler Michael Schifferl

(Foto: Foto: SZ/Rumpf)

Herzelmaler Michael Schifferl schmunzelt. Wortlos rührt er in der klebrig-zähen Zuckermasse, presst sie in den Spritzbeutel und drückt ihn kraftvoll zusammen. Den weißen Puderzuckerwulst formt er zu zwei geschwungenen Buchstaben: "Ja".

Schifferl weiß viel mehr über die Kundin, als sie ahnt. Sie heißt Stephi und hat gerade eine der wichtigsten Entscheidung ihres Lebens getroffen. Vielleicht wird sie schon in ein paar Monaten vor dem Traualtar stehen.

Erst vor einer Viertelstunde war ein junger Mann an Schifferls Stand: etwa so alt wie Stephi, ebenso kauffreudig und mit einer klaren Vorstellung, was auf sein Riesenherz soll: "Stephi, willst du mich heiraten?"

Ich Chef, du nix

Lebkuchenmaler Schifferl ist Experte in Sachen Anbandeln auf der Wiesn. Von neun Uhr bis Mitternacht steht er mit etwa neun Mitarbeitern in seinem Stand. Die Musik aus dem Löwenbräuzelt dröhnt herüber. Nach links sieht er bis zum Paulaner, nach rechts bis zum Café Deistler.

Raus kommt er selten, aber das macht nichts, sagt der 47-Jährige. Er kenne ohnehin jedes Eck auf dem Oktoberfest. Als Säugling war er im Schießstand seiner Eltern dabei. Später hatte er mal eine Schiffschaukel, ein paar Jahre eine Imbissbude. Er erinnert sich noch an die sechziger Jahre, als Ponyreiten eine der Hauptattraktionen war, an den ersten Dreier- und dann den Fünfer-Looping.

"Immer verrückter und immer teurer", sinniert Schifferl, "aber das Traditionelle ist geblieben." Zum Beispiel in seiner Herzelmalerei, die er seit acht Jahren betreibt. Das einzige technische Gerät im Blechanbau des Verkaufswagens ist eine Verpackungsmaschine, die die Folie um das frisch bemalte Herz schweißt.

Und gerade dort, wo sich der Lebkuchenduft mit dem Geruch von heißem Plastik vermischt - da ist das Herz der Wiesn, davon ist Schifferl überzeugt: "Hier in meiner Bude hab' ich den ganzen Wiesn-Wahnsinn", sagt er.

Dein ist mein ganzes Herz

"I. h. d. l." soll auf Manuelas Herz stehen. Schifferl muss nicht lange grübeln, was sich dahinter verbirgt (Ich hab dich lieb). Er verziert die vermeintlich geheime Botschaft mit ein paar roten Zuckerherzen und lächelt über das nächste Wunschherz. Eine Handynummer.

Der 30-jährige Elektrotechniker mit Lederhose und Wollkniestrümpfen will sie auf der Brust tragen - "damit die Mädels sofort wissen, wie sie mich erreichen", sagt er. Andere entscheiden sich ruckzuck für das klassische "Ich liebe dich"-Herz. Ohne individuelle Botschaft, ein paar Euro billiger.

Nachmittags pulsiert bei Schifferl das Herz der Familienwiesen. Eine vierköpfige Familie kommt vorbei. Der fünfjährige Sebastian schleckt an einem Softeis, während die Mutter schützend die Serviette vor seine Latzhose hält. Der Vater bestellt einen Lebkuchen beim Herzelmaler: "Sandra, weltbeste Nanny." "Wieder eine Supermami", Schifferl lacht. Über hundert solche Herzen gingen dieses Jahr schon durch seine Hände.

Prominente Kunden

Unter die Familienausflügler mischen sich immer wieder Promis. Der Münchner Küchenmeister Alfons Schuhbeck orderte vor ein paar Tagen ein Herzensortiment mit den Vornamen seiner Mitarbeiterinnen. Schifferl kramt in seinem Stapel mit Autogrammkarten und zieht ein Foto von der Popgruppe "Flippers" hervor: "Du bist der Oscar meines Herzens" sollte auf ihren Lebkuchen stehen. Und damit gab's dann gleich ein Fotoshooting für die neue CD.

Und neulich war der Landarzt alias Walter Plathe da: "Der wollte ein Herz für seine Frau, und die konnte sich nicht entscheiden", erinnert sich Schifferl. Edmund Stoiber hat ein Lebkuchenherz zum 65. Geburtstag bekommen - natürlich das größte in weiß-blauem Bayerndesign.

Wenn's dämmert und sich die künstlichen Nebelschwaden des Mondlifts um die Herzelbude hüllen, kommen immer mehr angetrunkene Wiesnfreunde vorbei. Ein älterer Herr in rot-weißem Karohemd knobelt zusammen mit seinen Arbeitskollegen aus dem Finanzamt, wie viel Text auf das kleinste Herz gehen könnte und will es sich dann doch nochmal überlegen.

Ein Italiener dagegen ist kurzentschlossen. Über den Preis staunt er erst, als der Zehn-Euro-Schein nicht reicht. Je später der Abend desto schräger die Texte, beobachtet Schifferl: "Stefan, du Depp", "Danke Geldbeutel", "Chef ohne Herz" sowie das Gegenstück "Ich Chef - du nix" oder "Für meinen Waschbrettbär" kann man in der geschwungenen Zuckerschrift lesen.

Je später, desto gewagter

Immer mehr Rechtschreibfehler entdeckt Schifferl auf den Bestellzetteln. "Das mag am Alkoholpegel liegen," meint er, "aber auch an der Hektik der Leute." Denn wer zu lange weg ist, verliert seinen Platz auf der Bierbank.

Wenn Michael Schifferl gegen Mitternacht seine Bude verriegelt, hat er gut 300 Herzen verkauft. Innerhalb der nächsten zwei Jahre müssten die Lebkuchenherzen gegessen werden, wenn sie schmecken sollen. Aber wer beißt schon in ein Wiesnherz? Es ist doch doch sehr viel mehr als ein Lebkuchen mit Zuckerguss.

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