Oktoberfest:Die Besatzungsmächte von heute: Das sind die Wiesnwirte

Oktoberfest: Was ein Wiesnwirt verdient? "Eine links und eine rechts", sagt Wirtesprecher Toni Roiderer (Sechster von rechts).

Was ein Wiesnwirt verdient? "Eine links und eine rechts", sagt Wirtesprecher Toni Roiderer (Sechster von rechts).

(Foto: Claus Schunk)

Warum die Diskussion über eine Bierpreis-Bremse auf dem Oktoberfest in die falsche Richtung geht.

Polemik von Ulrich Schäfer

Im Lutherjahr gilt es daran zu erinnern, dass es dem großen Reformator am Ende vor allem um eines ging: ums schnöde Geld. Martin Luther stieß sich daran, dass die Kirche ihre Gläubigen nötigte, teure Ablassbriefe zu kaufen - auf dass sie nicht im Fegefeuer landen. Getreu dem Satz: "Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!" Der Ablasshandel war der Ausgangspunkt der Reformation.

In München zahlt man seinen Ablass alljährlich Ende September, Anfang Oktober beim Oktoberfest. Das Geld fließt nicht an die Kirche, und man wird, wenn man seinen Ablass entrichtet hat, auch nicht seine Sünden los, sondern im Gegenteil: Es ist der Anfang aller Sünden! Man trinkt eine Mass (und meist auch nicht nur eine), man verspeist dazu ein viel zu schweres Essen. Aber die eigentliche Sünde bei diesem Ablasshandel begeht natürlich der Wirt, der seinen Gästen einen übermäßigen Preis abknöpft, auf dass er sich die Taschen füllen kann. Was antwortet der frühere Festwirt Richard Süßmeier auf die Frage, was denn ein Wiesn-Wirt so verdiene? "Eine links und eine rechts!"

Josef Schmid, der große Reformator aus dem Rathaus, will nun diesen Ablasshandel - nein, nicht verbieten - aber doch eindämmen. Drei Thesen (nicht 95 wie Luther) hat er diese Woche an seine Zimmertür am Marienplatz geschlagen, damit es auf der Wiesn künftig gesittet zugeht. Die erste These: Der Bierpreis auf dem Oktoberfest ist viel zu hoch! Die zweite: Man muss etwas dagegen tun! Drittens: Wir begrenzen deshalb den Bierpreis!

Den ersten beiden Thesen muss man als Wiesn-Gänger - und auch als Anhänger der Marktwirtschaft - uneingeschränkt zustimmen. Aber bei der dritten These scheint Schmid die Forderung seines Parteichefs Horst Seehofer, doch bitte schön endlich eine Obergrenze einzuführen, gründlich missverstanden zu haben.

Oder Schmid hat - auch das kann sein - nicht richtig bei Ludwig Erhard nachgelesen. Erhard ist Franke, so wie Markus Söder, er war aber nicht Mitglied der CSU (und auch nicht der CDU, sondern parteilos), weshalb er in Oberbayern nur bedingt als Kronzeuge taugt. Zur Ehrenrettung sei angebracht, dass der Mann aus Fürth seinen Lebensabend als Bundeswirtschaftsminister a. D. und Bundeskanzler a. D. in Gmund am Tegernsee verbracht hat.

Maß halten, nicht Mass halten

Erhard, ein Protestant wie Luther, gilt als Vater des Wirtschaftswunders, sein Buch dazu, "Wohlstand für alle", ist ein Klassiker, und Maß halten (nicht Mass halten) war sein Motto. Aber Erhard hat das Wirtschaftswunder nun mal nicht damit ausgelöst, dass er die Preise reguliert und eine wie auch immer geartete Obergrenze eingeführt hat - sondern im Gegenteil: Er gab im Juni 1948, zeitgleich mit der Einführung der D-Mark, die Preise frei. Gegen den Willen der Besatzungsmächte verkündete er dies in einer Rundfunkansprache und lieferte Tage später das "Gesetz über Leitsätze für die Bewirtschaftungs- und Preispolitik nach der Währungsreform".

Man muss in diesem Gesetz nicht lange nachlesen, um zu erkennen, dass der Reformator Schmid seinen Erhard nicht verstanden hat. Denn schon in der Präambel des Gesetzes steht der unmissverständliche Satz: "Der Freigabe der Preise ist vor der behördlichen Festsetzung der Vorzug zu geben." Nur durch das freie Spiel der Kräfte, so Erhards feste Überzeugung, wird Wohlstand für alle geschaffen.

Die Zelte dürfen nicht nach einem dynastischen Prinzip stets an die Gleichen vergeben werden

Nun ist es allerdings so, dass auch die Wiesn von Besatzungsmächten beherrscht wird, die vom freien Spiel der Marktkräfte wenig halten. Die Besatzungsmächte von heute: Das sind die Festwirte, die sich - wenn sie nicht beim Steuer- oder Schankbetrug erwischt werden (beides extrem selten) - darauf verlassen können, dass sie ihr Zelt Jahr für Jahr errichten dürfen und dass sie also Jahr für Jahr ihre Hände aufhalten dürfen. Diese Zelte werden teils von Generation zu Generation weitergereicht.

Was aber hätte Erhard getan, wenn der Bierpreis auf solch ein Maß gestiegen wäre und er der Münchner Wiesn-Chef wäre?

Dass hohe Preise dem Volk missfallen, musste er ja damals auch als Bundeskanzler erleben. Als im Jahr 1965 die Ernte hundsmiserabel ausfiel, konnte er im Spiegel dazu lesen: "Nach Freß-, Bekleidungs-, Reise- und Eigenheimwellen setzte das Wirtschaftswunder in dieser Saison einen neuen Jahresring an: die Preiswelle." Sappralott! Die Preise für Eier seien binnen eines Jahres um 30,5 Prozent gestiegen, die für Obst um 18 Prozent und für Schlachtvieh um 16,7 Prozent. Auch der Bierpreis schnellte damals in die Höhe (wobei Höhe aus der Sicht eines heutigen Wiesn-Besuchers ein relativer Begriff ist).

Im besagten Spiegel-Bericht hieß es dazu: "Die Möglichkeit, aus scheinbar unvermeidlichen Kostensteigerungen Profit zu schlagen, demonstrieren dieser Tage Westdeutschlands Bierhandel und Gaststätten. Im November erhöhten die Dortmunder Brauereien ihren Bierpreis um acht Pfennig je Liter. Flugs schlugen die Gaststätten fünf Pfennig auf das 0,25-Liter-Glas auf und erhöhten damit den Literpreis um 20 Pfennig."

Man sieht also: Was wir auf dem Oktoberfest heute an Bierpreis-Inflation erleben, ist kein neues Phänomen. Erhard aber griff nicht ein. Eine Preisobergrenze für Eier oder Bier? Nicht mit ihm. In seinem Klassiker "Wohlstand für alle" schreibt er dazu: "Wer die Funktion des freien Preises ausschalten will, tötet damit den Wettbewerb und lässt die Wirtschaft erstarren."

Die Kartellbrüder haben sich, anders als üblich, nicht einmal heimlich zusammengetan

Allerdings hätte Erhard, wäre er Wiesn-Chef, an einer anderen Stelle angesetzt, um dem (Preis-)Treiben der Wirte entgegenzuwirken. Er hätte die Frage aufgeworfen: Liegt hier nicht ein Kartell vor? Vermutlich hätte er mit "Ja!" geantwortet und alles getan, um das Kartell zu zerschlagen. So schwer würde ihm das nicht fallen, denn auf dem Oktoberfest haben sich die Kartellbrüder ja nicht mal heimlich zusammengetan, so wie meist üblich, sondern ganz offen: im Verein der Wiesnwirte. Taucht ein Neuer auf, der den Markt aufmischen will, wie der Chef des Marstall, Siegfried Able, wird er erst einmal nicht in diesen Klub hineingelassen. Man will am liebsten unter sich bleiben. Und das betrifft vor allem die Frage, wer eigentlich auf der Wiesn sein Zelt errichten darf.

Erhard hätte genau hier angesetzt und gefordert: Die Zelte dürfen nicht nach einem dynastischen Prinzip stets an die Gleichen vergeben werden, sondern die Standplätze müssen regelmäßig neu ausgeschrieben werden. Und zwar - wir befinden uns im grenzenlosen Europa! - natürlich europaweit. Das hätte, wenn man Erhard konsequent zu Ende denkt, auch zur Folge, dass man die Wiesn für Brauereien außerhalb von München öffnen müsste: Derjenige, der das beste Angebot macht, bekäme am Ende den Zuschlag. Und sei es ("Holsten knallt am dollsten!") eine Brauerei aus dem hohen Norden der Republik.

Wahrscheinlich aber wäre das dann doch zu viel der Reformation für ein Fest, das vom Bier lebt, aber auch von der Tradition und der Gschaftlhuberei.

In einer früheren Version des Textes wird das Wiesnwirte-Bonmot - was ein Wiesnwirt verdiene? "Eine links und eine rechts!" - dem Wirtesprecher Toni Roiderer zugesprochen. Der will sich nicht mit fremden Federn schmücken und hat darauf hingewiesen, der Spruch stamme vom früheren Festwirt Richard Süßmeier.

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