Oktoberfest:Das Hackerzelt zeigt das moderne Gesicht Münchens

Vorstellung Hackerzelt, Hacker-Festzelt auf dem Oktoberfest, Wiesn

Auch muslimische Frauen mit Niqab und Kopftuch sind auf den Wandmalereien im neuen Hackerzelt zu sehen.

(Foto: Florian Peljak)

Eine Frau im Niqab und Surfer am Eisbach: Das neu gestaltete Wiesnzelt ist ein leicht geschöntes Spiegelbild der Straßen und Plätze der Stadt.

Von Gottfried Knapp

Der Himmel über Berlin war im Film von Wim Wenders meist winterlich trüb, aber er war von liebenswert kauzigen Engeln bevölkert. Der Himmel über München ist, wie alle Touristen wissen, immer strahlend weiß-blau; und er ist nirgends so schön und so greifbar nah wie im Hackerzelt auf dem Oktoberfest. Aus diesem Grund hat es Kenner der Münchner Oktoberfestzelte gewundert, dass die Brauerei Hacker-Pschorr am Mittwochabend die Lokalpresse zur Vorbesichtigung eines neuen Festzeltes eingeladen hat.

Man fragte sich, warum ausgerechnet das für die Besucher besonders einprägsame, mit gemalten München-Ansichten prunkende Hacker-Festzelt neu ausgestaltet worden ist. Immerhin hat der bedeutendste Filmausstatter Deutschlands, der Oscar-Preisträger Rolf Zehetbauer - zu seinen Werken zählen die Filme "Cabaret", "Das Boot" und "Die unendliche Geschichte" -, dem Hackerzelt im Jahr 2004 seine bis ins letzte Jahr gültige Gestalt gegeben.

Doch die Sorgen, dass die Brauerei den künstlerischen Sonderrang dieses erfreulich schnörkellosen und doch festlichen Schankhauses nicht erkannt haben könnte, zerstreuen sich schon beim Betreten des Zeltes. Auf den ersten Blick sieht alles genau so aus, wie man es in Erinnerung hat. Der Werbespruch der Brauerei ("Hacker-Pschorr - Himmel der Bayern") hängt, von allen Plätzen aus gut lesbar, wie früher als riesige Bildüberschrift hoch über dem Saal im weiß-blauen Himmel.

Schöner kann man einen Werbespruch nicht bebildern und lokalisieren. Die illusionistische Kunst von Zehetbauer darf also auch im neuen Zelt noch einmal triumphieren. Man staunt, mit welch einfachen Mitteln der Meister es geschafft hat, die brutalen Balkenkonstruktionen des weit ausladenden Dachs - in anderen Zelten werden sie mit Massen von lichtschluckenden Stoffbahnen verblendet - so himmelblau zu verkleiden, dass der Besucher, wenn er die Halle betritt, glaubt unter den freien Himmel und unter die dort schwebenden weißen Wölkchen zu treten.

Hat man sich aber gesetzt und blickt hinauf zur Decke, sind die papierdünnen Wolkenscheiben, die an Schnüren hängen, nur noch als Striche zu erkennen. Dafür schieben sich die goldenen Sterne, die noch ein Stück weit tiefer hängen, nun deutlicher ins Bild. Sie sehen aus wie Fußbälle, die mit spitzen Warzen versehen worden sind; und sie leuchten erst auf, wenn es dunkel wird.

Am schönsten zeigen die Wandmalereien den Wandel der Zeit

Wie im alten Zelt hat auch im neuen das Atelier Rudi Reinstadler die gesamten Seitenwände so mit München-Motiven bedeckt, dass die Stadtansichten nach oben direkt in den blauen Himmel übergehen, also mit der Decke eine schöne Einheit bilden. Und da in der Mitte der Halle wie früher die kreisrunde Drehbühne für die Musik aufgebaut ist, fragt man sich, was wirklich neu ist in diesem Hackerzelt.

Vorstellung Hackerzelt, Hacker-Festzelt auf dem Oktoberfest, Wiesn

Sie sind stolz aufs neue Wiesnzelt: die Hacker-Festwirte Thomas (links) und Toni Roiderer.

(Foto: Florian Peljak)

Tatsächlich ist das Zelt im bewährten Stil neu konstruiert und dabei an einigen Stellen sinnvoll verändert und vergrößert worden. So hat das Haus jetzt statt des nach oben öffenbaren "Cabrio-Dachs", das nur selten zum Einsatz kam, eine am First in ganzer Länge entlanglaufende Sheddach-Belüftung, die das Klima im Raum deutlich verbessern wird. Das Dach wurde dabei um 1,80 Meter angehoben, was der vorher schon konkurrenzlos weiten Mittelhalle noch mehr Offenheit gibt, in den engen Obergeschossen der Seitenschiffe aber als luftiger Raumgewinn genossen werden kann.

Die wichtigste räumliche Veränderung im Zelt ist der stattliche Balkon an der Südseite; er ist vom darunterliegenden Biergarten aus über Treppen erreichbar. Für Raucher wurde auf der Nordseite ein zusätzlicher Balkon eingerichtet; er ist freilich nur von den Boxen und den geschlossenen Stuben aus zugänglich. Überhaupt sind die Galerien des Seitenschiffs jetzt deutlich komfortabler eingerichtet: Nun gibt es auch dort oben auf beiden Seiten je einen Ausschank sowie vergleichsweise geräumige Toiletten, die lange Umwege ersparen.

Am schönsten lässt sich der Wandel der Zeit an den großflächigen Wandmalereien des Ateliers Reinstadler studieren. Hatten die Maler beim letzten Mal auf einer der langen Längswände vor allem Wirtshäuser aus der Geschichte der Brauereien Hacker und Pschorr im monumentalen Riesenformat abgebildet, so sind nun die schönsten Innenansichten Münchens über die Wände verteilt.

Und auf all den perspektivisch geschickt gemalten Plätzen bewegen sich Menschen, die exakt unserer Zeit entsprechen. So sieht man beispielsweise auf dem St. Anna-Platz neben heimisch wirkenden Passanten auch zwei schwarz verhüllte Frauen herumspazieren - eine verbirgt ihr Gesicht hinter einem Niqab.

Was München derzeit auch prägt: die Baustellen

Aber auch bekannten Münchnern kann man begegnen, wenn man sich die Figuren auf den Bildern genauer ansieht. Auf der Ostempore, an deren Wänden der Viktualienmarkt in idyllischer Schönheit ausgebreitet ist, radelt Ex-OB Christian Ude am Liesl-Karlstadt-Brunnen vorbei. Und auf der gegenüberliegenden Westempore, wo nicht nur mit den Malereien an den Wänden, sondern auch mit Kunstbäumen der Englische Garten wirkungsvoll simuliert wird, vergnügen sich junge Leute am mitreißenden Schwung der Eisbachwelle.

Man kann die neuen Malereien im Hackerzelt also als ein touristisch leicht geschöntes Spiegelbild dessen betrachten, was sich an heiteren Tagen in den Straßen und auf den Plätzen Münchens ereignet. Über den Odeonsplatz beispielsweise bewegt sich im Gemälde gerade der Oktoberfestumzug. Für Münchner ist natürlich auch interessant, wie die Maler die weit auseinanderliegenden Sehenswürdigkeiten an der Wand einander zugeordnet haben. Der am Lenbachplatz gelegene Wittelsbacher Brunnen, in dem hier ein Pärchen badet, ist zwischen das Nationaltheater und den Wiener Platz geraten.

Am schönsten treffen die Maler den augenblicklichen Zustand Münchens aber mit der kleinen Baustelle, die sie auf dem Max-Joseph-Platz eröffnet haben: Nichts begegnet einem Spaziergänger, der sich durch die Stadt bewegt, derzeit häufiger als rot-weiß gestreifte Schranken.

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