Oktoberfest: Angst vor Terror in München:Die Angst simst mit

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Stärker als die Wahrheit: Gerüchte gibt es schon seit den Kriegen der Antike, doch jede neue Kommunikationstechnologie beschleunigt ihren Umlauf.

Andrian Kreye

Gerüchte sind laut Wahrigs deutschem Wörterbuch "umlaufende unverbürgte Nachrichten" und "weitverbreitetes Gerede". Das wäre natürlich auch eine Definition für den Klatsch. Der Unterschied liegt in der Angst, und die Angst ist es auch, die den Gerüchten eine solche Geschwindigkeit verleiht. "Wie ein Lauffeuer" verbreiten sich Gerüchte nach dem Sprachklischee. Und weil die moderne Kommunikationstechnik dem Gerücht seit jeher als Zunder diente, verbreiten sie sich heute schneller als je zuvor.

Deutlichstes Beispiel für die neuen Geschwindigkeiten von Gerüchten war die brutale Niederschlagung des zivilen Widerstands in Iran im Anschluss an die Wahlen im vergangenen Juni. Die sogenannte "Twitter Revolution", die es einer weltweiten Internetgemeinschaft ermöglichte, Zeitzeuge zu sein, war gleichzeitig ein Modellfall für die Mechanismen, die Gerüchten im Internet ein solches Gewicht geben.

Perfide Gerüchte

Da waren zunächst die offensichtlichen Falschmeldungen von der Verhaftung des Oppostionsführers Mussawi, die übertriebenen Zahlen der Demonstranten. Besonders perfide waren jedoch die Gerüchte, die ab dem dritten Tag der Unruhen in Umlauf kamen. Hubschrauber der Regierung seien über die Demonstrationen geflogen, sie hätten kochendes Wasser abgeschüttet, oder ätzende Chemikalien.

Nichts davon entsprach der Wahrheit. Es ist anzunehmen, dass Regierungskräfte diese Gerüchte in den Kurznachrichtendienst Twitter einspeisten, um Oppositionelle vom Demonstrieren abzuschrecken. Der technische Vorgang, der diese Gerüchte so beschleunigte, nennt sich "Retweet". Dabei kann jeder Nutzer des Kurznachrichtendienstes Twitters eine solche Kurnachricht oder einen Link mit einem Knopfdruck gleichzeitig an sein persönliches Netzwerk versenden und unter einem Kennwort in die Suchmaschine des Dienstes eingeben. Ein Großteil der Kommunikation über Twitter funktioniert inzwischen so und macht den Dienst zu einem potenten Multiplikator in der digitalen Welt.

Nun ist Twitter nur der momentan bekannteste von unzähligen Diensten und Techniken, mit denen man über Internet und Handy Nachrichten verbreiten kann. Auch liegen die Wurzeln eines jeden Gerüchts nach wie vor in den Ängsten der Menschen, die von Krisen und Kriegen nur geschürt werden. In Afrika beispielsweise, wo Internet und Twitter nur bei hauchdünnen Eliten verbreitet sind, verbreiten sich Gerüchte mit ähnlichen Folgen wie in den vernetzten Wohlstandsländern. Die Angst vor Hexen und Magiern hat dort zu Wellen von Lynchjustiz geführt, die sich über weite Teile des Kontinents verbreiten. Grund sind die abstrakten Wirtschaftskrisen des Kontinents.

Wie ein Virus

Auch unsere Wirtschaftskrise ist nur schwer nachvollziehbar. Da wirkt die Angst vor einer so nebulösen Bedrohung wie dem Terror geradezu handfest. Doch sie wurzelt eben nicht nur in den Anschlägen von New York, Barcelona und London. Die Drohungen erreichten uns im Netz, die Weiterverbreitung geschieht dort wie beschrieben fast automatisch.

Wie ein Virus breitet sie sich aus, ein Vergleich, der in der Werbebranche ein stehender Begriff ist. "Viral Videos"- virale Videos, die Menschen millionenfach weiterverbeiten, sind zumeist eher lustig, doch der Mechanismus ist der gleiche. Ohne einen Nachgedanken macht sich der Internetnutzer zum Boten einer oft komplexen Botschaft. Dann aber greift die Wirkung des Gerüchts, die es schon seit den Kriegen der Antike so verstärkt - Gerüchte, hat ein Forscherteam vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Biologie herausgefunden, sind stärker als die Wahrheit.

© SZ vom 01.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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