Offenbachs "Hoffmann" in der Staatsoper:Zu wenig faustisches Verlangen

Mit Starpower, aber nicht tiefgründig genug: An der Münchner Staatsoper ist Offenbachs "Hoffmann" aufgeführt worden. Doch das Faustische an der Oper umgeht die Inszenierung - und ersetzt es durch kleinbürgerliche Idylle.

Reinhard Brembeck

Zwei Stars und also ein großer Publikumserfolg. Die Bayerische Staatsoper hat Rolando Villazón und Diana Damrau aufgeboten, um Jacques Offenbachs letzte und unvollendete Oper "Les Contes d'Hoffmann" (1881) als Neuinszenierung herauszubringen. Aggressiv Kartensuchende vor dem Nationaltheater. Drinnen ein strahlend gutgelaunter Villazón, eine fulminante Angela Brower als seine Muse sowie eine spielwütige Damrau, die sich die drei Künstlerfrauen des Stücks anverwandelt: Automat, Mimose, Beutelschneiderin.

Offenbachs "Hoffmann" in der Staatsoper: Ein strahlend gutgelaunter Rolando Villazón und eine spielwütige Diana Damrau.

Ein strahlend gutgelaunter Rolando Villazón und eine spielwütige Diana Damrau.

(Foto: Stephan Rumpf)

Dirigent Constantinos Carydis und das Staatsorchester grundieren das dezent leidenschaftlich, raffiniert, unsentimental, locker und fließend. Was bleibt? Viele Bravi, die obligatorischen Buhs fürs Regieteam um Richard Jones, sowie ein paar Fragen, die die Produktion nicht beantwortet.

Es ist schon beeindruckend, wie Damrau drei verschiedene Frauentypen auf die Bühne stellt. Was viel mit ihren großen vokalen Fähigkeiten zu tun hat. Die seelenlosen Koloraturen der Olympia liegen ihr so gut in der Kehle wie das innige Seelenleid der Antonia. Damrau fremdelt nur als Giulietta ein wenig. Das Mondäne dieser Kurtisane wirkt bloß unverbindlich, ihr fehlt die Spannung zwischen kalter Berechnung und Liebessehnsucht. Im Innigen, Leisen, Agilen aber ist Damrau hinreißend. Schade nur, dass laut ausgesungene Höhen scharf klingen, den Fokus vermissen lassen.

Drei Frauen also, die jene eine Frau ergeben sollen, die den Titelhelden, den ins Phantastische überzeichneten Schriftsteller E. T. A. Hoffmann, ruiniert. Aber weder als Einzelgestalten noch zusammengenommen gelangen diese drei Damen über die gängige Frauenkarikatur aus Heiliger und Hure hinaus, die hier um den seelenlosen Automaten ergänzt wird.

Dass Offenbach dieses Frauenbild als Pendant zur zeitgenössischen Kunstmarktpraxis versteht, macht das alles nicht besser. Starrummel, Virtuosentum, Primat des Geldes und sentimentale Verehrung der Vergangenheit - die Exzesse des Kunstmarkts noch heute. Doch Regisseur Jones verweigert den Schritt von der Oberfläche hin zu einem wie auch immer gearteten tieferen Sinn.

Jones erzählt plan im Einheitsbühnenraum von Giles Cadle: die Dachstube des armen Poeten, die sich, gerade dass es nicht hereinregnet, durch kleine Manipulationen in Lutters Kneipe, Olympias Puppenstube, Antonias Bürgerpalais, Giuliettas Spiegelkabinett verwandelt. Hier hadert Villazóns Hoffmann mit der Kunst - des Schreibens wie der Verführung.

Dabei könnte er es so einfach haben. Denn statt der drei von Damrau gezeigten gestrigen Zicken würde sich ihm in Angela Browers Muse zwanglos natürlich eine patente Frau von heute bieten. Eine, die des Dichters Gejammer nicht allzu ernst nimmt, die ihres Siegs sicher ist über die drei anderen, die Leben nicht nur sentimental grundsätzlich versteht und an Hoffmanns Dichtertalent glaubt.

Kostümfrau Buki Shiff hat diese Muse als Hoffmanns Kumpel Nicklausse verkleidet, der als das Jugendbild des Dichters herumhüpft, jubiliert, zart sein kann und zärtlich, nie die gute Laune verliert. Einer/Eine, der/die den Irrsinn der schon immer aus den Fugen geratenen Kunstwelt mit einem Lächeln der Stimme in ihre Schranken verweist. In keinem Moment angestrengt und ganz selbstverständlich die längsten Kantilenen spinnend: Angela Brower, eine Entdeckung.

Unschlüssige Geschwätzigkeit

Gegen die betörende Selbstverständlichkeit Browers kommt niemand an. Auch nicht Villazón. Schon mit der ins Lied von Klein-Zack einbrechenden Liebesvision gerät er an die Grenzen seiner Stimme. Im Extrovertierten, Hohen, Lauten klingt sie zwar noch durchaus beherrscht, aber bloß noch nuancenlos weiß.

Schwerwiegender, dass ihr die Verve für den Hoffmann fehlt, für das verzweifelt in den Eingeweiden Wühlende und die entgrenzte Sinnsuche. Villazóns weich sympathischer und dunkel gefärbter Tenor ist ideal für jugendliche Liebhaber und deren Leid. Der Hoffmann aber ist etliche Nummern größer. In ihm tobt ein faustisches Verlangen nach etwas Unerfüllbarem.

Dieses Faustische umgeht die Inszenierung, sie ersetzt es durch kleinbürgerliche Idylle. Die von John Relyea mit flackrigem Bass gesungenen Finsterlinge, die Witzbolde von Kevin Conners, die Jenseitsstimme der Okka von der Damerau, der superb studentengeschaftlige Chor und all die Groteskgestalten von Ulrich Reß, Dean Power, Tim Kuypers, Christian Rieger, Andrew Owens und Christoph Stephinger - sie alle kommen nicht über bunt grelle Jahrmarktfigurinen hinaus.

Obwohl Dirigent Carydis seine Sänger nie zudeckt, sondern liebevoll fordert, dabei trocken rockt und herb zaubert, reibt sich dieser "Hoffmann" nur am Offensichtlichen: Die Abgründe sind mit Watte verstopft.

Weil jeder Ausblick auf Grundsätzliches fehlt, fallen die Ungereimtheiten dieses Partiturtorsos störend auf. Offenbach starb vor der Uraufführung, fertig war das Stück wohl nicht, bald schon wurde eine vom Original abweichende Spielfassung erstellt, die aufgrund neuer Funde erst in den letzten zwanzig Jahren revidiert wird.

Doch das Offene der Partitur verschwindet deshalb nicht: die schwachen Schlüsse des vierten und fünften Akts, die unschlüssige Geschwätzigkeit des Librettos. Das passt wunderbar zur gebrochenen Gestalt dieses Hoffmann - man müsste es szenisch wie musikalisch nur zu nutzen wissen. München aber ist mehr daran interessiert, ein brillant poliertes und integrales Werk zu verkaufen.

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