OEZ:"Ich kann jetzt ja nicht daheim bleiben"

OEZ: Die Gedenkveranstaltung für die OEZ-Mitarbeiter.

Die Gedenkveranstaltung für die OEZ-Mitarbeiter.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die Angestellten des OEZ gehen nach einer kurzen Andacht wieder an die Arbeit. Leicht fällt das niemandem.

Von Andreas Schubert

Das Leben geht weiter. Dieser Satz fällt oft am Montagvormittag im Olympia-Einkaufszentrum. Am Tag drei nach dem Amoklauf haben die meisten Läden im OEZ wieder geöffnet. Aber wer mit den Angestellten der Geschäfte oder den Jugendlichen, die am Eingang stehen, das Gespräch sucht, merkt schnell: Bis hier wieder Normalität herrscht, wird es wohl noch einige Zeit dauern.

Um 9.30 Uhr versammeln sich etwa hundert Mitarbeiter der Läden zu einer Trauerandacht. Unter ihnen sind auch Angehörige der Opfer. Als Christoph von Oelhafen, der Manager des OEZ, von der "sinnlosen Tat" spricht und von einer "Tragödie, die so nicht vorhersehbar war", fließen viele Tränen. Man müsse den Mitarbeitern Respekt zollen, sagt von Oelhafen, "dass sie die Kraft und den Mut haben, wieder zur Arbeit zu erscheinen".

Die Trauerveranstaltung dauert nur etwa zehn Minuten. Dann wird ein Kondolenzbuch ausgelegt, und die Menschen stellen sich an, um sich einzutragen. Es herrscht eine bedrückende Stimmung an diesem Vormittag. Thomas Schlichting, Leiter der Seelsorge des Erzbischöflichen Ordinariats, der zur Trauerandacht ins OEZ gekommen ist, nennt das Einkaufszentrum einen Ort des Handels, des Lebens und der Kollegialität. "Wir Münchner lassen uns diesen Ort nicht nehmen." Aber es sei nun auch ein Ort der Trauer.

Aktiv trauern, das Geschehene verarbeiten und nach vorne blicken. Darum wird es in den nächsten Tagen in Kollegenkreisen im OEZ gehen. Jeder tut dies auf seine Weise, manche wollen darüber reden, andere trauern lieber still oder schreiben ihre Gefühle auf. "Meine Gedanken gehören den Opfern, den Angehörigen und den Mitarbeitern, die dieses grausame Geschehen miterleben mussten", lautet ein anonymer Beitrag im Kondolenzbuch. Ein anderer: "Lachen. Leben. Lieben. Es kann so schnell vorbei sein! Ihr werdet nicht vergessen."

Viele schreiben auch einfach nur auf, dass sie für die Opfer beten werden - es sind Worte, die man nach solchen Ereignissen gerade noch findet, wenn einem sonst die Worte fehlen. Nur eine halbe Stunde nachdem sie das Buch ausgelegt haben, sind schon mehrere Seiten voll. Auch Menschen, die zum Einkaufen da sind, tragen sich ein. Kaum einer will aber über Freitagabend sprechen. Eine Frau meint, es sei schon alles gesagt, ihr Begleiter, der daneben steht, nickt stumm. Dann gehen sie weiter, die nächsten warten schon, den schwarzen Stift in der Hand.

Den ganzen Tag sind Mitarbeiter des Kriseninterventionsteams und der katholischen Seelsorge im Einkaufszentrum unterwegs, gehen in die Geschäfte und bieten Gespräche an. Aufdrängen wolle man sich aber nicht, sagt Thomas Schlichting. Nicht jeder, der Derartiges erlebt, sei automatisch traumatisiert. Manchmal stelle sich erst später heraus, wenn jemand Hilfe braucht. "Es ist wichtig, dass man da ist."

Da sein, Unterstützung anbieten, damit die Mitarbeiter sich nicht im Stich gelassen fühlen. Das will auch René Krass, Inhaber der gleichnamigen Optiker-Kette. Er sei hier, um die Mitarbeiter zu motivieren, sagt er. Schon am Sonntag hat sich das Team zusammengesetzt, um über den Amoklauf zu sprechen. "So grausam das für die Angehörigen ist: Es ist eine Erleichterung, dass es ein Einzeltäter war", sagt Krass. "Man denkt immer, hier, vor der Tür, passiert nichts."

Dann erzählt er, wie sich seine Angestellten in Sicherheit gebracht und sich am Telefon bei ihm gemeldet hätten. Er lobt die Sicherheitskräfte, hätte sich aber einen schnelleren Krisenbeistand für die Mitarbeiter gewünscht. Ein junger Angestellter von Krass, der am Freitag im Laden war, schildert, wie er durch den Notausgang geflüchtet ist. Zur Tat selbst fällt ihm nur ein Wort ein: "Unbeschreiblich."

"Wir, die wir noch da sind, sind doch alle Glücksmenschen"

Stefano Bozzato, Chef des Segafredo-Cafés im OEZ, meint, es sei nun erst recht an der Zeit, das Leben zu genießen. "Das Leben muss weitergehen. Nicht wir sind die Armen, sondern die, die nicht mehr da sind, und die Eltern zu Hause." Bozzato hält den Blick nach vorne für die einzig richtige Reaktion. "Wir, die wir noch da sind, sind doch alle Glücksmenschen", sagt der Italiener.

Nun, glücklich sehen die Mitarbeiter, die jetzt wieder ihren regulären Dienst an Imbisstheken und Supermarktkassen, zwischen Schuh- und Bücherregalen tun, an diesem Montag nicht aus. "Was soll ich denn machen, ich kann jetzt ja nicht daheim bleiben", sagt eine Schuhverkäuferin, die nicht namentlich zitiert werden möchte. So wie viele andere: In die Zeitung wollen sie nicht, erst recht nicht mit einem Foto, das die verweinten Augen nach der Trauerandacht zeigt.

Nach Schießerei in München

Die Notfallseelsorger, die im OEZ unterwegs sind, wollen in erster Linie einfach: da sein.

(Foto: dpa)

Die Friseurin Sevil Koc-Kinzel dagegen scheut sich nicht, noch einmal über Freitagabend zu reden. Wie sie Richtung Parkhaus gerannt sei und sich in der Nähe zweier Polizisten hinter einem Auto versteckt habe. "Ich wünsche mir, dass sich so etwas nirgendwo auf der Welt wiederholt", sagt sie. "Das ist alles sehr traurig für die Familien." Dann meint sie noch, es müsse für alle ganz normal weitergehen. "Wir dürfen die Angst nicht mit uns an die Arbeitsstätte tragen." Ihr Chef Peter Haunstetter-Blatter, der auch im Stachus-Untergeschoss einen Friseurladen betreibt und mit seinen Mitarbeitern während der angsterfüllten Stunden ständig Telefonkontakt hielt, meint dagegen: "Wir waren in München eine Insel der Glückseligkeit. Des ham's uns jetzt zsammghaut."

Dass das Leben weitergeht, wissen sie. Die Frage ist: wie?

Die Unbekümmertheit liegt in Trümmern, meint er damit - die Worte sind vielleicht etwas drastisch gewählt. Aber ein ungutes Gefühl haben viele. Guy Abelgel zum Beispiel, der seit zwei Jahren in München lebt. Angst könne man das aber nicht nennen, sagt er, "ich komme aus Israel". Einem Land also, in dem jeder mit Nachrichten über Anschläge groß wird. Im OEZ arbeitet Guy Abelgel in einem Handy-Shop und meint, es sei ein Glück gewesen, dass er am Freitag bereits um 14 Uhr nach Hause gegangen sei. "Ich frage mich, was in dem Menschen vorgegangen ist", sagt er. "Ich glaube, das kann überall passieren." Dann sagt auch er: "Es muss weitergehen."

Vermutlich würde man das noch Dutzende Male hören, mit je mehr Mitarbeitern und Kunden man sich hier unterhält. Draußen, an der Hanauer Straße, legen noch immer Menschen Blumen, Stofftiere, in Folie eingepackte Fotos und Karten auf den Gehwegen direkt vor dem Einkaufszentrum und auf der gegenüberliegenden Straßenseite ab. Dass das Leben weitergeht, wissen vermutlich auch die, die vor den vielen Blumen und Fotos der Opfer im Regen knien, beten, ihre Trauer laut aussprechen, während Fernsehkameras draufhalten. Die Frage ist nur: Wie geht es weiter?

Noch immer stehen vor dem Eingang des OEZ Polizisten. Die McDonald's-Filiale gegenüber, wo der Amoklauf seinen Anfang nahm, ist immer noch abgeriegelt. Sie wird so schnell nicht geöffnet werden, wie die Fast-Food-Kette am Montag bekannt gibt. Man sei fassungslos und tief erschüttert, teilt Vorstandschef Holger Beeck mit. Sollte sie irgendwann wieder aufmachen, dann nur nach einem Umbau. Die Normalität wird also auch hier noch auf sich warten lassen.

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