Öffentlicher Nahverkehr:Dieter Reiter stellt die MVV-Tarifreform infrage

Öffentlicher Nahverkehr: Eine Flatrate fürs Innenstadtgebiet würde nicht wenige Stadtbewohner mit Wochen- oder Monatsabo mehr kosten als ihr Ticket jetzt.

Eine Flatrate fürs Innenstadtgebiet würde nicht wenige Stadtbewohner mit Wochen- oder Monatsabo mehr kosten als ihr Ticket jetzt.

(Foto: Catherina Hess)
  • Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter kritisiert die geplante Tarifreform des MVV.
  • Ursprünglich hätten die Gesellschafter des MVV am Freitag die seit Jahren diskutierte und weitgehend ausgehandelte Tarifreform beschließen sollen.
  • Laut Reiter wünschten sich die Nutzer vordringlich "ein funktionierendes und pünktliches" Nahverkehrsystem und nicht eine Tarifreform.

Von Heiner Effern und Stefan Galler

Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hegt grundsätzliche Zweifel an der Tarifreform des Münchner Verkehrs- und Tarifverbunds (MVV). "Ich kann eine Reform nur präsentieren, wenn ich das Gefühl habe, dass sie den meisten Nutzern in München hilft." Derzeit seien aber noch "klar" Fragen offen, die vor einem Beschluss zu beantworten seien, darüber sei er sich mit dem Regierungspartner CSU einig.

"Da geht es nicht nur um eine Vereinfachung der Tarife, sondern auch um die Preise." Viele Münchner fänden den MVV jetzt schon zu teuer. "Eine Reform muss natürlich auch diesen Aspekt berücksichtigen." Wenn Reiter das stark berücksichtigt, könnte das das Scheitern des Vorhabens bedeuten. Dessen Herzstück, eine Flatrate fürs Innenstadtgebiet, würde nicht wenige Stadtbewohner mit Wochen- oder Monatsabo mehr kosten als ihr Ticket jetzt.

Ursprünglich hätten die Gesellschafter des MVV am Freitag die seit Jahren diskutierte und weitgehend ausgehandelte Tarifreform beschließen sollen. Montagabend war bekannt geworden, dass die Stadt diesen Termin platzen lässt. "Es macht keinen Sinn, einzuladen und hinzugehen, wenn wir noch nicht fertig sind", sagt Reiter. Die Versammlung sei aber nicht abgesagt, sondern verschoben.

Der neue Termin solle in vier bis sechs Wochen stattfinden. Nimmt man Reiters Vorbehalte, das 22-Millionen-Loch, das die neuen Tarife jährlich reißen würden, und die Weigerung des Freistaats, die Reform entsprechend mit einem Anteil zu subventionieren, dann stellt sich die Frage: Was bleibt von der Reform übrig, das die Gesellschafter beschließen könnten?

Möglicherweise nicht mehr als ein Reförmchen mit neuen Tarifen für Senioren und Auszubildende. Reiter macht nicht den Eindruck, dass ihm das schlaflose Nächte bereiten würde. Wenn "Tausende in Pasing am Bahnsteig" stehen würden, sehe er derzeit eine andere Priorität beim MVV. Die Nutzer wünschten sich vordringlich "ein funktionierendes und pünktliches" Nahverkehrsystem und nicht eine Tarifreform. "Wir müssen alles daran setzen, dass das wieder funktioniert", sagt Reiter. Die Tarifreform sei ein "interessantes Vorhaben". Doch drei von vier Nutzern seien nun einmal Zeitkartenkunden. "Die interessieren sich nur einmal für das Tarifsystem: wenn sie das Ticket kaufen." Dort würden einige Münchner aber dauerhaft außerdem merken, dass sie mehr bezahlen.

Das Stocken bei der Tarifreform könnte einen weiteren Grund in einem Gespräch aller Beteiligten haben, das kürzlich im bayerischen Innenministerium stattfand. Dort soll Verkehrsminister Joachim Herrmann (CSU) erklärt haben, dass der Freistaat keinesfalls die Fahrpreise subventionieren werde. Die Finanzierungslücke wäre somit weitgehend bei der Stadt und zu kleinem Teil bei den Landkreisen verblieben.

Herrmann soll darauf verwiesen haben, dass auch andere bayerische Kommunen Hilfe für ihren Nahverkehr fordern könnten. Als Ausgleich soll er Investitionen in die Infrastruktur angeboten haben. Die Stadt aber will das jährlich auftretende 22-Millionen-Loch nicht dauerhaft als Hauptzahler schließen. Zumindest bis zur Landtagswahl im kommenden Oktober könnte schon alleine dieser Zwist die Reform lähmen.

"Die Debatte über Mindererlöse halte ich für lächerlich", sagt dazu der Münchner Landrat Christoph Göbel (CSU). Er sei überzeugt, dass bei steigender Attraktivität auch mehr Leute fahren würden, wodurch wiederum die Erlöse steigen würden. "Man kann nicht jede Reform mit Netz und doppeltem Boden absichern", sagt Göbel. Dass jetzt eine Finanzierungslücke von 22 Millionen auftauche, sei "doch völlig wurscht bei 900 Millionen Euro Gesamterlös im Jahr".

Man müsse den Nahverkehr attraktiver machen, sagt Göbel, sonst würden etwa die Probleme mit der Luftbelastung nicht gelöst. Hier könnten die Beteiligten selbst handeln. Er hoffe, dass die Stadt die Reform nicht scheitern lasse, "aktuell ist es aber so, dass sie den Schwarzen Peter hat". Er habe wenig Verständnis dafür, dass seit 2015 über die Reform diskutiert werde, "und jetzt fällt jemandem auf, dass da Sachen drin sind, die ihm nicht passen".

OB Reiter wiederum will sich aber nicht drängen lassen. "Ich kann verstehen, dass viele gerne eine schnellere Reform hätten", sagt er. "Auf keinen Fall lasse ich mir aber den Schwarzen Peter in die Schuhe schieben."

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