Oberlandesgericht:Tödliche Gefahr im Knie

  • Die Münchner Uni-Klinik muss einer Patientin 50 000 Euro Schmerzensgeld zahlen, weil eine Infektion falsch behandelt wurde.
  • Die 60 Jahre alte Patientin sitzt seither entweder im Rollstuhl oder muss mit Krücken laufen.
  • Das Klinikum muss zudem jeglichen materiellen Schaden ersetzen, der in der Vergangenheit und in Zukunft im Zusammenhang mit dieser ärztlichen Fehlbehandlung steht.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

"Grob fehlerhaft" haben Ärzte einer Münchner Uni-Klinik bei einer 60 Jahre alten Patientin auf die Infektion ihres künstlichen Kniegelenks reagiert. In der Folge musste die Frau über Jahre hinweg eine Vielzahl quälender Operationen ertragen. Sie sitzt seither entweder im Rollstuhl oder muss mit Krücken laufen. Das Klinikum wurde vom Oberlandesgericht München (OLG) nun zur Zahlung von 50 000 Euro Schmerzensgeld verurteilt - es muss außerdem jeglichen materiellen Schaden ersetzen, der in der Vergangenheit und in Zukunft im Zusammenhang mit dieser ärztlichen Fehlbehandlung steht.

Die aus dem Landkreis Erding stammende Frau hatte schon 1985 wegen eines "Schlottergelenks" im linken Knie eine Prothese bekommen. Diese wurde 2005 durch eine modernere Version ersetzt. Ein Jahr später hatte die Frau einen Unfall, bei dem sie Rücken- und Knieverletzungen erlitt. Im Erdinger Krankenhaus entdeckten die behandelnden Ärzte im operierten Knie eine Staphylokokken-Infektion.

In vielen Fällen verläuft eine solche Infektion zunächst ohne erkennbare Krankheitssymptome. Bekommt das Bakterium aber irgendwann durch günstige Bedingungen oder ein geschwächtes Immunsystem des Betroffenen die Gelegenheit, sich auszubreiten, kommt es zu Krankheitserscheinungen - wie hier möglicherweise durch den Unfall der Frau.

Die Erdinger Ärzte entfernten daraufhin ein Inlay der Gelenkprothese und verlegten die Patientin anschließend ins Münchner Uni-Klinikum. Dort wurde ein Leisten- und Nasenabstrich bei der Frau vorgenommen, der aber zunächst keinen Befall mit sogenannten multiresistenten Krankenhauskeimen ergab. Einige Tage später meldete das Max-von-Pettenkofer-Institut dann aber, dass in dem Abstrich der Erreger Staphylococcus aureus festgestellt worden sei.

Von da an kam es zu einer langen und für Außenstehende schier unübersichtlichen Kette ärztlicher Befunde und Behandlungen, die nun von Gerichten geprüft werden mussten. Die Klägerin rügte das "gesamte Behandlungsregime" im Uni-Klinikum: "Es hat nicht der ärztlichen Sorgfalt entsprochen", es sei unterlassen worden, wichtige Befunde zu erheben, habe Fehleinschätzungen bei Therapieoptionen gegeben, außerdem sei die Patientin in wichtigen Punkten nicht ausreichend aufgeklärt worden. Die Klinik wies das zurück, sprach von unbewiesenen Mutmaßungen. Außerdem sei die Schmerzensgeldforderung völlig unangemessen. Es wurde sogar bestritten, dass die Klägerin bis heute unter kaum erträglichen Schmerzen leide, wie sie schilderte.

Der Infekt hätte tödlich enden können

Die in dem Verfahren vorgelegte Leidensgeschichte der Patientin: 287 Tage im Krankenhaus, 17 Operationen, 712 Tage häusliche Pflege. Sie sei weit von einer Rückkehr ins normale Leben entfernt, sagte sie, da sie nur mit Beinstütze im Rollstuhl sitzen könne und beim Gehen ständig zwei Unterarmstützen benötige.

In erster Instanz wies das Landgericht München I die Klage jedoch ab. Nun in der Berufungsverhandlung gab der Arzthaftungssenat des Oberlandesgerichts der Frau jedoch recht. Zuvor hatte das Gericht zwei Sachverständige gehört, die sich zwar in manchen Detailfragen auch nicht einig waren. In der wichtigsten Frage stimmten sie aber überein: Spätestens, als am 23. März 2007 eine Infektion der Prothese nachgewiesen war, hätten die Ärzte den Ausbau der Prothese empfehlen müssen. Beide Sachverständige betrachteten diese unterbliebene Therapieempfehlung als "völlig unverständlich".

Die beklagte Klinik hatte sich darauf berufen, dass die Patientin einen Prothesenausbau nicht gewünscht habe. Das Gericht winkte ab: "Die Klägerin hat vor dem Senat glaubhaft versichert, dass - wenn ihr mitgeteilt worden wäre, dass die Prothese infiziert sei - sie einem Ausbau sofort zugestimmt hätte."

Einen wichtigen Beweis bleiben die Ärzte schuldig

Nach Ansicht der Experten und des Gerichts könne solch ein schwelender Infekt letztlich sogar ein tödliches Risiko darstellen und der Ausbau der Knieprothese eine größere Chance auf eine Genesung bieten. Sogar die Möglichkeit zu einer späteren, erneuten prothetischen Versorgung hätte bestanden. "Es bedarf keiner weiteren Ausführung, dass die Versteifung eines Kniegelenkes für einen Patienten mit erheblichen Einschnitten im Alltagsleben verbunden ist", heißt es nun im Urteil. "Auch wenn die Heilungschancen nur als gering eingeschätzt werden konnten, ist es unverständlich, dass der Klägerin diese Chance genommen wurde." Die Klinikärzte hätten nicht beweisen können, dass es völlig unwahrscheinlich ist, dass bei einem früheren Ausbau der Prothese ein anderer Krankheitsverlauf eingetreten wäre.

Bei der Höhe des Schmerzensgeldes berücksichtige das OLG, dass die Versteifung des Knies die Klägerin in einer Vielzahl von Tätigkeiten und Freizeitaktivitäten behindert - "ein gravierender Einschnitt in die Lebensverhältnisse". Allerdings wäre auch der Bewegungsumfang mit einer neuen Prothese eingeschränkt gewesen. Die Ärzte sahen auch, dass die Infektion des Knies, also die Quelle allen Übels, nicht durch Fehler der beklagten Uni-Klinik ausgelöst wurde. Eine Revision gegen das Urteil (Az.: 1 U 884/13) wurde nicht zugelassen.

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