Oberlandesgericht:Mitgefühl statt Schmerzensgeld

Arzthaftungsklage nach Brustoperation bleibt trotz Wundinfektion ohne Erfolg

Von Stephan Handel

Die Verhandlung geht ungefähr 20 Minuten, da macht der Richter einen Knoten in die Schnur über seiner Akte. Das ist ein ziemlich deutliches Zeichen dafür, dass er findet, nun sei genug geredet. Thomas Steiner, Vorsitzender des 1. Zivilsenats am Oberlandesgericht (OLG), ist aber überhaupt nicht ungeduldig. Vielmehr nimmt er sich noch die Zeit, "Verständnis und Mitgefühl" für die Klägerin ins Protokoll zu diktieren, bevor er ihrem Rechtsanwalt rät, die Klage wegen Aussichtslosigkeit zurückzunehmen.

Im Jahr 2010 wird bei einer Frau Brustkrebs diagnostiziert. Im Dezember wird sie in einer oberbayerischen Klinik operiert. Das Karzinom wird entfernt - aber die Operationswunde macht Schwierigkeiten: Die Patientin verspürt Schmerzen und sieht Rötungen; etwa zwei Wochen nach dem Eingriff stellt sie unter der Dusche fest, dass Eiter aus der Wunde läuft. Bei ihrer Hausärztin lässt sie sich deshalb untersuchen - die Medizinerin zieht etwas aus der Wunde, was wie ein Faden aussieht, außerdem zeigt der Ultraschall zwei Klemmen in der Wunde und Mull-ähnliches Gewebe.

Es dauert bis in den Mai, erst dann ist die Wunde einigermaßen abgeheilt. Nun klagt die Patientin gegen die Klinik und den Arzt, der sie operiert hat: Der habe OP-Material in der Wunde vergessen, dadurch seien die Entzündung und der Abszess entstanden. 40 000 Euro Schmerzensgeld möchte sie haben.

Im Prozess vor dem Landgericht Traunstein jedoch scheitert die Frau in ganzer Linie: Behandlungsfehler seien nicht festzustellen, heißt es im Urteil. Die Metall-Clips, die in der Wunde zurückgelassen wurden, sollten dem Radiologen bei der für später geplanten Bestrahlung die Orientierung erleichtern. Und der angebliche Mull sei kein vergessenes Verbandsmaterial gewesen, sondern körpereigenes Gewebe, das sich nach der Operation gebildet habe. Ein Sachverständiger kommt zu dem Schluss: Die eingetretene Wundinfektion sei eine "typische, wenn auch seltene Komplikation", an der den behandelnden Arzt keine Schuld treffe.

Das war ziemlich deutlich und ziemlich eindeutig - dennoch ging die Frau in Berufung zum OLG. Und Thomas Steiner, der Vorsitzende Richter, sagt nach der Verhandlung, der Anstand gebiete es, solche Arzthaftungs-Sachen nicht auf dem Büroweg zu entscheiden, sondern auch tatsächlich eine mündliche Verhandlung anzusetzen - auch wenn die Klägerin nicht gekommen ist und nur ihren Rechtsanwalt geschickt hat.

Der hört die verständnisvollen, aber in der Sache doch sehr klaren Ausführungen des Richters: Dass der Fall ja klar sei, dass es offensichtlich keinen Weg gebe, dem Arzt doch noch ein Verschulden anzuargumentieren - dass also der einfachste Weg der wäre, die Klage zurückzunehmen. Der Anwalt macht nicht den Eindruck, als sei er von diesem Ansinnen sehr überrascht, und kommt dem nach, wie vom Richter vorgeschlagen. Steiner diktiert daraufhin Mitgefühl und Verständnis ins Protokoll, mehr aber gibt es nicht für die Klägerin. Der Fall ist abgeschlossen, die Akte bleibt verschnürt.

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