Obergiesing:Proteststurm gegen Neubaugebiet

Tegernseer Landstraße in München, 2015

Eine Schneise durch Giesing: Flüsterasphalt, so der Wunsch der Bürger, soll den Lärm auf der Tegernseer Landstraße mildern.

(Foto: Florian Peljak)

An der Münchberger Straße soll ein Quartier mit 220 Wohnungen entstehen. Die Anwohner warnen in der Bürgerversammlung vor dichtem Verkehr, überfüllten Schulen und Kitas, fehlender Versorgung und dem Verlust einer für Giesing wichtigen Frischluftschneise

Von Julian Raff, Obergiesing

Die Gegend rund um die Münchberger Straße im Südosteck des 17. Stadtbezirks wirkte am Donnerstagabend fast wie ausgestorben - gefühlt die gesamte Einwohnerschaft hatte sich zur Bürgerversammlung ins Anton-Fingerle-Zentrum aufgemacht, um dort gegen das geplante Neubaugebiet zu protestieren. Die Initiative aus dem Süden bescherte dem Forum einen rekordverdächtigen Besuch von rund 380 Teilnehmern, den das Bildungszentrum gerade so fassen konnte. Immerhin rund die Hälfte der Zuhörer harrte mehr als vier Stunden lang aus, bis um 23.15 Uhr alle 51 Anträge und Fragen beraten und abgestimmt waren.

CSU-Stadtrat Michael Kuffer hatte als Versammlungsleiter reichlich Grund, nicht nur die Ausdauer der Giesinger zu loben, sondern auch deren Disziplin. Auch in emotionsbeladenen Angelegenheiten hielten sie sich mit Zwischenrufen zurück. An Leidenschaft mangelte es den 14 Neubau-Gegnern aber nicht, die unter dem Applaus ihrer Nachbarn zusammentrugen, was gegen den Neubau von 220 Wohnungen auf dem rund vier Hektar großen Feld spricht, das von der Kronacher und Fasangartenstraße sowie von der Münchberger Straße und der A 8 begrenzt wird.

Manch einer im Publikum murrte, wie gut es die Gartenstädter - Verdichtung hin oder her - doch hätten, verglichen mit den Ring-Anliegern. Dennoch zeigten sich die Giesinger solidarisch und nahmen die Planstopp-Anträge fast einstimmig an.

Ängste vor dem Entstehen eines sozialen Brennpunkts waren rund um eine Bürger-Information im März laut geworden, spielten aber in der aktuellen Debatte kaum mehr eine Rolle. Stattdessen warnten die Anwohner vor allem vor dichtem Verkehr, überfüllten Schulen und Kitas, fehlender Versorgung und dem Verlust einer für ganz Giesing wichtigen Frischluftschneise. Das Quartier würde mit den Neubauten um mehr als das Doppelte auf 1000 Einwohner wachsen, ohne dass neue Läden entstünden oder die Zufahrtsstraßen breiter würden. Besonders eng könnte es an der Obernzeller Straße werden. Diese dürfte von der ruhigen Anwohnerstraße zur Hauptachse von der Balanstraße her mutieren, falls das Baugebiet keine alternative Erschließung bekommt.

Zwei Varianten, eine von Nordosten, eine südlich über die Fasangartenstraße, hatten Anwohner vorgeschlagen - vergeblich, trotz Kuffers Appell, sich wenigstens auf eine Zufahrt über die Hauptstraßen festzulegen, falls der Wunsch nach Planeinstellung ungehört bleiben sollte.

Akustisch ist die Gegend wegen der Geräuschkulisse der Salzburger Autobahn (A 8) schon heute kein Idyll. Allerdings würden die mit dem Projekt verbundenen zehn Meter hohen Lärmschutzwände den Anwohnern auch noch unnötige Schweißperlen auf die Stirn treiben. Vor einem "hausgemachten Klimawandel" warnte jedenfalls eine Nachbarin, falls die Frischluftzufuhr vom Gleißen- und Hachinger Tal her durch Schutzwände und Wohnblocks unterbrochen werde.

Alles andere als frisch duftet es bereits jetzt aus östlicher Richtung: Jenseits der Autobahn gärt eine Kompostieranlage, kaum 80 statt der vorgeschriebenen 500 Meter von den geplanten Bauten entfernt, also ein Gesundheitsrisiko für deren Bewohner. Das Argument stach, auch wenn kaum jemand der Begründung in Form einer fünfminütigen Blitzvorlesung in Biochemie folgen konnte. Nichts einzuwenden hätten die Giesinger gegen Kompost als Teil einer Kleingartenanlage, die die Stadt auf ihrem Grundstücksteil statt der Neubauten anlegen sollte. Viel Applaus und Zustimmung für den Antrag.

Virulent bleiben im Viertel Lärm und Abgase am Mittleren Ring, entsprechend nachdrücklich fiel der Wunsch nach durchgehendem Flüsterasphalt aus. Radikale Forderungen wie Tempo 30 sah die Versammlung dagegen als unrealistisch an. Wo auf den Nebenstraßen 30 gilt, könnte dies allerdings deutlicher signalisiert werden, etwa auf der Herzogstandstraße, wo die Schilder im Sommer hinterm Grün verschwinden. Höhere Tafeln, Bodenmarkierungen und eine Verschmälerung durch Querparker könnten den Verkehr dort bremsen, lautet ein Bürgerwunsch.

Der Antragsmarathon bot auch Raum für Kurioses: Kurz nach 23 Uhr stimmte das Restpublikum gegen einen Antrag, wonach die Polizei doch den allzu flinken Chauffeuren eines Obergiesinger Fast-Food-Lieferservices exklusiven Verkehrsunterricht erteilen solle. Dem Kalauer "freie Fahrt für freie Burger" konnte Michael Kuffer da freilich nicht widerstehen.

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