Obergiesing:Bosporus am Monopteros

Obergiesing: Beeindruckende Deutschkenntnisse: Schüler der Istanbuler Schule erklären woher in der Türkei sie stammen.

Beeindruckende Deutschkenntnisse: Schüler der Istanbuler Schule erklären woher in der Türkei sie stammen.

(Foto: Catherina Hess)

Zehn Schülerinnen und Schüler aus Istanbul besuchen die Mittelschule an der Perlacher Straße. Ziel ist es, andere Lebenswelten zu erkunden, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu entdecken. Im Mai 2016 reisen die Obergiesinger Jugendlichen dann in die Türkei

Von Hubert Grundner, Obergiesing

"Wir haben echt Stress jetzt", sagt Karin Warter, lässt die Schultern fallen und schnauft vernehmbar aus. Schon im nächsten Moment richtet sie sich wieder auf, strahlt übers ganze Gesicht und fügt hinzu: "Aber das ist es mir wert!" Gerade hat sie herausgefunden, dass der geplante Ausflug zum Schlittschuhlaufen ausfallen muss. Also wird das Programm für die Gäste aus der Türkei kurzerhand umgeworfen: Es geht zum Bummeln in die weihnachtlich geschmückte Innenstadt. Begleitet werden die zehn Schülerinnen und Schüler, die am vergangenen Sonntag per Flugzeug aus Istanbul an der Isar eingetroffen sind, dabei von ihrer Lehrerin Eda Bozyigit sowie zehn Jugendlichen der Mittelschule an der Perlacher Straße.

Die Rede ist, man ahnt es längst, vom ersten Schüleraustauschprojekt mit der Türkei, das an der Obergiesinger Schule stattfindet. Es steht unter dem Motto: "Zeig mir deine Welt! Jung sein in München/Istanbul". Wie leben junge Menschen in Istanbul? Wie in München? Was tun sie, wohin gehen sie, was mögen sie an ihrer Stadt, was nicht? Wie verbringen sie ihre Freizeit? Wie läuft es in der Schule? Das sind die Fragen, auf die in dieser Woche erste Antworten gefunden werden sollen. Dabei lernen die Jugendlichen aus München zunächst einmal ihre Gäste von der Darüssafaka Lisesi in Istanbul kennen, zeigen ihnen die Stadt und gewähren ihnen Einblick in ihr Leben hier: Orte, die sie mögen, zum Beispiel Plätze, Parks und Straßen. Jugendclubs, Kirchen und Moscheen werden gemeinsam besucht. Auch ihre Hobbys, ihren Alltag und vieles mehr wollen die Mittelschüler den Gästen vom Bosporus präsentieren. Darüber drehen sie dann gemeinsam Kurzfilme oder erstellen Kurzpräsentationen.

Das Ziel des Projektes ist es, über den eigenen Tellerrand zu blicken, andere Lebenswelten zu erkunden und dabei Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu erfahren. Die Gruppe aus Istanbul hat dazu noch die Gelegenheit bis zu ihrem Rückflug in die Türkei am Samstag, 19. Dezember. Im Gegenzug reisen die Schüler der Mittelschule Perlacher Straße dann im Mai nächsten Jahres nach Istanbul.

Treibende Kräfte dieser deutsch-türkischen Annäherung sind eindeutig Eda Bozyigit und Karin Warter. Die beiden lernten sich im Schuljahr 2013/14 bei einem vom Pädagogischen Institut München organisierten Lehreraustausch mit Istanbul kennen. Dabei entwickelten sie die Idee für einen nachfolgenden Schüleraustausch. Die dafür notwendige Unterstützung sagte schließlich die Robert-Bosch-Stiftung zu, bei der man sich erfolgreich mit dem Projekt "Zeig mir deine Welt!" beworben hatte. Gefördert wird das Ganze aber auch von der Deutsch-Türkischen Jugendbrücke und dem Förderverein der Mittelschule, dem Perlentaucher e.V. Erwähnt werden müssen zudem die Lehrer Oliver Gamm und Florian Schmidt sowie Schulsozialarbeiter Jörn Fuchs, die sich trotz vieler anderer Verpflichtungen die Zeit nahmen, um den türkischen Jugendlichen einen Einblick in den Alltag einer bayerischen Schule zu gewähren. Ihnen ist Karin Warter ausgesprochen dankbar - wenn die Gäste das Programm als gelungen empfinden, ist das auch ihr Verdienst. Davon abgesehen freut sich Warter über einen "Nebeneffekt" des Schüleraustauschprojekts gleichwohl ganz besonders: Fast alle Mittelschüler an der Perlacher Straße haben einen - oft türkischen - Migrationshintergrund, entsprechend groß war ihr Interesse und das ihrer Eltern, daran teilzunehmen. Es schien, so Warters Eindruck, als freuten sich alle ganz besonders über diesen Brückenschlag in die alte Heimat. Jedenfalls hatte die Lehrerin selten so intensiven Kontakt zu den Familien ihrer Schützlinge wie in den vergangenen Wochen.

Ähnliches erlebte Eda Bozyigit an der Darüssafaka Lisesi. "Auch für meine Kinder bedeutet der Besuch eine Riesenmotivation", erzählt sie. Manche Schüler, die dort Deutsch nach Englisch als zweite Fremdsprache lernen, hätten sogar schon gefragt, ob sie einmal in Deutschland studieren könnten. Und jetzt hier in München, da lernten die Jugendlichen täglich neue Wörter. Mit dem Wortschatz wachse wiederum in gleichem Maß ihr Selbstvertrauen und die Freude am Lernen. "Und das wirkt wieder positiv in die Schulgemeinschaft hinein", ergänzt Karin Warter, die sich viel mehr solcher Projekte an Mittelschulen wünschen würde.

An der Perlacher Straße wird der Schüleraustausch jedenfalls als etwas ganz Besonderes empfunden. Die Obergiesinger haben mit ihrer Partnerschule ja auch eine ganz besondere gefunden. Die Darüssafaka Lisesi wurde 1863 speziell für Waisenkinder als Internatsschule gegründet. Circa 1000 Jugendliche beiderlei Geschlechts besuchen sie. Voraussetzung, um dort aufgenommen zu werden, ist die Bedürftigkeit der Kinder und dass ihnen zumindest ein Elternteil fehlt. Vor allem aber müssen sie eine Aufnahmeprüfung bestehen: Jährlich werden 120 der begehrten Plätze vergeben, die Eignungstests finden über die ganze Türkei verstreut statt. Wer es geschafft hat, bekommt die Chance auf eine fundierte Ausbildung bis zur Unireife. Wobei "einmalig" wörtlich zu verstehen ist: "Die Kinder müssen hart arbeiten", sagt Eda Bozyigit, denn wer durchfällt, darf die Klasse hier nicht wiederholen. Das erlauben die finanziellen Mittel der Schule nicht. Denn die Darüssafaka Lisesi erhält keine staatlichen Mittel, sondern wird ausschließlich mit dem Geld privater Spender betrieben - seit ihrer Gründung. Ihr Chef mutmaße deshalb manchmal, dass die Internatsschule in Istanbul womöglich die einzige auf der ganzen Welt sei, die so funktioniere, erzählt Eda Bozyigit und lacht. Wie dem auch sei, die Lehrerin aus Istanbul hat wohl recht, wenn sie sagt: "Hauptsache, den Kindern geht es gut." Bei ihrem Besuch in Obergiesing hat es jedenfalls den Anschein.

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