Obergiesing:Auf Umwegen zum Quali

Obergiesing: Wo ist mein Weg? Die Bildungseinrichtung "Horizonte" eröffnet Jugendlichen berufliche Orientierung.

Wo ist mein Weg? Die Bildungseinrichtung "Horizonte" eröffnet Jugendlichen berufliche Orientierung.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Der Verein Horizonte macht benachteiligte Jugendliche stark für einen besseren Schulabschluss. Auf diesem Weg steigen deren Chancen auf einen guten Job. Was noch fehlt, ist eine stärkere finanzielle Unterstützung der Stadt.

Von Hubert Grundner, Obergiesing

Ronny Müller redet nicht lange um den heißen Brei herum, er will auch nichts beschönigen. "Bis zur neunten Klasse habe ich die Realschule besucht, bin dann aber der Schule verwiesen worden. Ich hab' dann BVBs gemacht", sagt er und meint damit "berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen". Irgendwann aber reifte in ihm die Erkenntnis, dass ihm der Hauptschulabschluss zu wenig ist. "Ich hab' mir gesagt, jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht." Also ging er ins Jobcenter, wo ihn seine Beraterin schließlich an Horizonte vermittelte. Deshalb sitzt der 23-Jährige auch an diesem Mittwochvormittag im Unterrichtsraum des Vereins an der Deisenhofener Straße 59. Außer Ronny gehören noch Doxania, 19, Hien, 17, und Iid, 22, zu dieser Gruppe, die sich auf den "Quali" vorbereitet.

Angeleitet werden die jungen Erwachsenen von Silke Rönnberg, ihrer Lerntrainerin. Der "Schultag" beginnt um 9 Uhr und endet um 14.30 Uhr. In Mathe geht es heute ums Prozentrechnen, im Anschluss steht Deutsch auf dem Stundenplan. Prüfungsfächer sind auch GSE - Geschichte, Sozialkunde, Erdkunde - und AWT -Arbeit, Wirtschaft, Technik. Ende Juli kommenden Jahres dann werden Ronny und die anderen versuchen, als externe Prüflinge an einer mit Horizonte kooperierenden Schule den Quali erfolgreich zu absolvieren. Bis es soweit ist, vermittelt ihnen Silke Rönnberg den Lehrstoff - sehr komprimiert und schnörkellos auf die Prüfung hin ausgerichtet. Außer der Quali-Gruppe, die jeden Mittwoch hier paukt, gibt es eine Donnerstagsgruppe, die für den Mittelschul-Abschluss lernt, und eine Freitagsgruppe, in der es um berufliche Orientierung beziehungsweise die Vorbereitung auf die Berufsschule geht.

Zum Team, das sich bei Horizonte um die jungen Menschen kümmert, gehört auch der Sozialpädagoge Daniel Krist. Ihm zufolge geht die Gründung der Einrichtung auf Volker Widmann, den früheren Geschäftsführer des Trägervereins Spektrum zurück. Denn der habe erkannt, dass gerade die Bildungsabschlüsse von benachteiligten Jugendlichen immer schlechter werden. Entsprechend sinken ihre Berufsaussichten, nicht zuletzt weil gleichzeitig die Anforderungen der Ausbildungsberufe permanent steigen. Ein weiteres nicht zu unterschätzendes Problem: Mancher Jugendliche hat zwar einen Schulabschluss geschafft, findet aber keinen Weg ins Berufsleben. Beiden Gruppen möchte Horizonte helfen: Hier können junge Menschen bis 25 Jahre den Hauptschulabschluss nachholen und werden in verschiedene Praktika vermittelt, um ihre Chance für eine Ausbildung beziehungsweise Berufstätigkeit auszubauen. Etwas amtlicher gesprochen: Horizonte ist eine Bildungseinrichtung der Jugendhilfe zur beruflichen Orientierung und Qualifizierung in Kooperation mit der berufsbezogenen Jugendhilfe und der freien Wirtschaft. Zum Horizonte-Team gehören derzeit zwei Sozialpädagogen, zwei Verwaltungskräfte, ein Lehrer und eine Lehrerin/Lerntrainerin.

Laut Daniel Krist können bei Horizonte pro Jahr bis zu 50 Teilnehmer betreut werden. Geschickt werden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 17 und 25 Jahren hauptsächlich vom Jobcenter, einige Stellen werden vom Jugendamt vermittelt. Für viele von ihnen ist es die letzte Chance auf einen Hauptschulabschluss und für einige ist es das erste Mal, dass sich jemand ihrer beruflichen Ausbildung und alltäglichen Probleme annimmt. Mehr als 50 Prozent der Teilnehmer hatten (Stand: 1. September) einen Migrationshintergrund. Oft mussten sie traumatische Erlebnisse durchmachen. Angesichts dieser Gemengelage liest sich die Bilanz von Horizonte nicht schlecht, ganz im Gegenteil: Den Mittelschulabschluss haben im Januar dieses Jahres alle fünf Teilnehmer geschafft, bei der Prüfung im Juli waren dann immerhin vier von fünf Teilnehmern erfolgreich. Und den qualifizierenden Mittelschulabschluss packten immerhin zwei von vieren. Diese Bildungserfolge in Kombination mit den Praktika verschafft der Arbeit von Horizonte ein Alleinstellungsmerkmal. Derzeit kooperieren Krist und seine Kollegen mit 20 Praktikumsbetrieben der berufsbezogenen Jugendhilfe, die 30 Berufsfelder anbieten. Ein Praktikum dauert in der Regel sechs Wochen, danach setzt man sich zusammen und erörtert mit dem jeweiligen Handwerksmeister die Frage: Passt der Beruf für den jeweiligen Jugendlichen. Wenn dann der Meister mit Ja antwortet, so Krist, sei das für die meisten Teilnehmer ein wahnsinnig wertvolles und motivierendes Signal. Krist jedenfalls möchte, dass von Horizonte noch möglichst viele solcher Signale ausgeschickt werden. "Wir würden uns wünschen, dass wir wachsen können und auch mehr Geld vom Kinder- und Jugendhilfe-Ausschuss bekommen. Der Bedarf an solchen Angeboten ist jedenfalls riesig."

Genau darum geht es am Dienstag, 6. Oktober, in der Sitzung des Kinder- und Jugendhilfeausschusses. Laut Tagesordnung befasst sich der Stadtrat mit der Weiterentwicklung der Angebote der berufsbezogenen Jugendhilfe. Hier scheint Horizonte einen sehr wertvollen Beitrag zu leisten - und das nicht nur im eigenen Urteil, sondern auch nach Meinung mehrerer Fachleute. In einer Rückmeldung attestiert beispielsweise Monika Forster vom Jobcenter München-Nord: "Horizonte ist eine der wenigen Maßnahmen, die wir für Jugendliche haben, mit deren Unterstützung ich sehr gute Ergebnisse zur Eingliederung, Arbeitsaufnahme, Ausbildungsaufnahme, aber auch Steigerung der Motivation erzielt habe." Ihre Kollegin Martha Vader befindet gar: "Ihr Angebot ist doch eh alternativlos, sind wir doch mal ehrlich!"

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