Oberföhring:Grüne Insel am Stadtrand

Der neue Waldkindergarten der Pfennigparade am Oberföhringer Wehr begeistert die Kinder. Zusammen mit den Nachbarn will die Stiftung entscheiden, wie das ehemalige Eon-Sportgelände sonst noch genutzt werden kann

Von Ulrike Steinbacher, Oberföhring

Am besten haben Hemma die Schnecken gefallen, die sie beim Spazierengehen gefunden hat. Die Schnecken und das Trampolin. Daher hat die Matschhose der Fünfjährigen auch schon ordentlich Bekanntschaft mit dem regenfeuchten Boden gemacht. Das Abschiedssingen am Nachmittag auf der Sitzgruppe aus Baumscheiben und hölzernen Kabeltrommeln hat aber wohl auch viel Spaß gemacht, denn Kindergartenleiterin Marlene-Elisa Besl musste ihre Schützlinge gleich zu drei Abschiedsliedern auf der Gitarre begleiten. Und richtig gut finden vermutlich alle, dass sie von jetzt an jeden Tag wiederkommen dürfen auf diese grüne Insel am Stadtrand, in den neuen Waldkindergarten der Pfennigparade gleich nördlich vom Oberföhringer Wehr.

Das Areal liegt auf der Isarinsel, die keine echte Insel ist, obwohl sie so heißt und auf den ersten Blick auch so aussieht: im Westen die Isar und der Englische Garten, im Osten der Herzogpark und der Mittlere-Isar-Kanal, der am Stauwehr ausgeleitet wird und erst nach 64 Kilometern nördlich von Landshut wieder in die Isar mündet - Wasser auf zwei Seiten also und rundherum Landschaftsschutzgebiet. Nur dieses eine Grundstück auf dem südlichen Zipfel der Landzunge zwischen Fluss und Kanal ist eine Ausnahme. Früher einmal trafen sich dort die Mitarbeiter der Münchner Eon-Niederlassung zum Fußballspielen und Laufen. Dann verlagerte der Konzern den Unternehmensteil Eon Energie nach Düsseldorf, und der Betriebssportplatz wurde überflüssig.

Doch statt das Gelände zu verkaufen, entschied sich der Konzern, es zu verschenken - und zwar an die Stiftung Pfennigparade, eines der größten Rehabilitationszentren für körperbehinderte Menschen in Deutschland. Der Vorschlag kam von einem Mitglied der Geschäftsleitung, dessen Tochter viele Jahre lang bei der Pfennigparade betreut worden war.

Die Stiftung betreibt Kindergärten, Schulen, ambulante und stationäre Wohneinrichtungen, Pflegedienste, Werkstätten und eine Integrationsfirma. In Oberföhring gehört das konduktive Förderzentrum der Phoenix GmbH zu ihr, mit Förderschule, heilpädagogischer Tagesstätte und Krippe, mit Kindergarten samt Integrationsgruppe und einem Internat. Und jetzt nur einen Steinwurf entfernt, auch das grüne Paradies auf der Isarinsel - ein Paradies mit kleinen Schönheitsfehlern, wie Beate Höß-Zenker inzwischen weiß.

Die Phoenix-Geschäftsführerin ist schon seit zwei Jahren daran beteiligt, sinnvolle Nutzungsmöglichkeiten für das Gelände zu finden. Die Pfennigparade hat da konkrete Vorstellungen: "Wir wollen unsere Angebote öffnen und Menschen ohne Behinderung einbeziehen", sagt Ernst-Albrecht von Moreau vom Vorstand. Die Idee der Inklusion scheitere oft an Platzproblemen, die Freifläche auf der Isarinsel eröffne eine "Riesenchance", auch wenn das Projekt für die Pfennigparade ein Experiment sei. Hindernisse gibt es natürlich zuhauf. Woher zum Beispiel soll das Geld für die Sanierung des Sportplatzes kommen? Wie kann man das Gelände nutzen und gleichzeitig auf das Landschaftsschutzgebiet rundherum und die Nachbarn im Herzogpark Rücksicht nehmen? Und dann ist da noch die Sache mit der BMX-Bahn.

Erst einmal aber muss die Pfennigparade das Areal herrichten. Lastwagenweise wurden schon morsche Äste abtransportiert. Doch noch ist die Laufbahn von Gras überwuchert, auf dem Fußballplatz graben die Maulwürfe. Das Geld für die Sanierung des Sportplatzes und einen Betreuer, der sich um das Gelände kümmert, wollte Phoenix bei der Regierung von Oberbayern auftreiben, denn das Grundstück soll als Schulsportgelände genutzt werden. Aber die Bezirksregierung winkte ab: Die Phoenix-Förderschule hat nur sieben Klassen. Um Geld für Außensportanlagen zu bekommen, bräuchte sie aber acht. Im zweiten Anlauf hat die Pfennigparade jetzt eine Anschubfinanzierung bei der "Aktion Mensch" beantragt; in ein paar Monaten soll darüber entschieden sein.

Inzwischen hat der künftige Platzbetreuer Markus Mair von der Phoenix-Schreinerwerkstatt die marode alte Umkleide schon von Grund auf renoviert. Dort habe es ausgesehen, erzählt Beate Höß-Zenker, als hätte jemand eine wilde Party gefeiert und dann einfach alles stehen lassen. Jetzt ist das Holzhäuschen ein Schmuckstück - Küchenzeile, behindertengerechtes Bad und ein großer Vorraum, in dem die Utensilien der Kindergartenkinder stationiert sind, bis ihr barrierefreier Bauwagen kommt. Offiziell wird der Waldkindergarten zwar erst am Freitag, 3. Juni, um 10 Uhr eröffnet, aber die ersten fünf Kinder nahmen die grüne Insel schon Mitte April in Beschlag. 15 sollen es insgesamt werden, zwei von ihnen mit Behinderung.

Was sonst noch alles passiert auf der Isarinsel, wer sie nutzen wird und wofür, das wollen die Leute von der Pfennigparade zusammen mit den Nachbarn entscheiden. "Idealerweise", sagt Moreau, "entwickelt sich daraus ein gemeinsames Sportangebot für Menschen mit und ohne Behinderung." Zwischen den Pfingstferien und den Sommerferien ist eine Infoveranstaltung für Anwohner und andere Interessierte geplant. Dabei sollen Ideen für die Nutzung des Platzes gesammelt werden.

Eingeladen sind dann auch ein paar Nachbarn, die den Leuten von der Pfennigparade noch Kopfzerbrechen machen: Nördlich des Zauns haben Kinder und Jugendliche sich eine kleine BMX-Bahn gebaut - natürlich ohne Genehmigung. Der Zaun wiederum steht nicht auf der Grundstücksgrenze, sondern weit südlich davon. Und das bedeutet, dass zwei Drittel der ungenehmigten und frei zugänglichen Bahn nicht auf öffentlichem Grund liegen, sondern auf dem Privatgelände der Pfennigparade. "Wir als Stiftungsvorstand haben da ein Haftungsproblem", sagt Moreau.

Trotzdem will man die Jugendlichen nicht vertreiben - Inklusion gilt bei der Pfennigparade auch für BMX-Radler. Gerade suchen die Verantwortlichen gemeinsam mit der Stadtverwaltung eine Lösung. Um das Haftungsrisiko abzumildern, haben sie einstweilen Schilder mit der Aufschrift "Privatgrund" aufgestellt. Aber die Radler fassen das als Vorwurf auf, sagt Moreau, und lassen die Schilder immer wieder verschwinden. Kindergartenleiterin Marlene-Elisa Besl und Platzbetreuer Markus Mair unternehmen Vermittlungsversuche. Und im Gegenzug entwickelt auch mancher BMX-Fahrer Ideen zur Inklusion. Beate Höß-Zenker berichtet vom Vorschlag des zehnjährigen Amir: "Vielleicht kann man ja mit Rollstühlen und Kinderwägen über die Strecke brettern."

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