Obdachlosigkeit in München:Wo man Überfluss zelebriert und Armut hinnimmt

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Obdachlosigkeit und Bettler gehören auch im reichen München zum Stadtbild, wie hier in der Sendlinger Straße. (Foto: Matthias Balk/dpa)

Unsere ugandische Autorin fragt sich, wie es sein kann, dass im reichen München Menschen unter Brücken leben müssen - und wundert sich vor allem über die Reaktionen der Leute darauf.

Kolumne von Lillian Ikulumet

Der Winter steckt noch in der Stadt, die Nächte sind auch kurz vor Ostern oft bitterkalt. Ohne warme Decken und ein warmes Schlafzimmer macht der kalte Regen und der feuchte Boden eine Münchner Nacht quälend lang. Umso schlimmer ist es, dass manche Menschen unter solchen Umständen unter den Brücken der Stadt leben. Dort wo das endlose Gebrüll von Autos zu hören ist und wo man Kriminellen ausgesetzt ist. Und trotzdem ist die Brücke für manche Münchner das Schlafzimmer.

Ich finde es nach wie vor unvorstellbar, wie es das in einer reichen Stadt wie München geben kann. Einer Stadt, die den Überfluss zelebriert. Wo die Bäckereien kistenweise Brot wegwerfen und wo die Menschen Bier aus Literkrügen trinken. Und trotzdem gelingt es nicht, dass man den Ärmsten der Armen ein Dach über dem Kopf gibt. Trotzdem leben hier Menschen auf der Straße. Irgendwie passt das überhaupt nicht zusammen.

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850 Betten stehen in der Bayernkaserne bereit, nur etwa 500 jedoch sind belegt. Trotz der eisigen Temperaturen scheuen viele Obdachlose die Unterkunft.

Von Sven Loerzer

Die Hochburgen der Münchner Obdachlosen sind unter den Isarbrücken. Dort leben junge, mittelalte und grauhaarige Männer, mit Schlafsäcken, Plastiktüten und Zottelbärten. Ich bin gerne in ihrer Nähe, weil man sieht, dass auch sie es schaffen, dass sie durch die kalten Tage und Nächte kommen. Ohne Dach und ohne Geld. Das zeugt von einer inneren Stärke, von Antrieb. Schade, wie die Münchner an ihnen vorbeigehen, -radeln oder -joggen, als wäre da niemand. Keiner schaut hin, kaum einer würdigt den Menschen am Boden eines Blickes. Statt sich zu entschuldigen, dass sie gerade mitten durchs Schlafzimmer spazieren.

Ich komme aus einem weniger entwickelten Land, wo Armut und Obdachlosigkeit normal sind. In Uganda ist es üblich, Menschen zu sehen, die auf der Straße leben. Man sieht dort auch oft Kinder und Jugendliche, die von zu Hause weggelaufen sind, viele sind aufgrund von Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung schon in jungen Jahren dazu gezwungen, einen Alleingang zu wagen. Manchmal geht das gut, oft aber auch nicht.

Kommt man zum ersten Mal nach München, erwartet einen der Prunk. In den Hotspots im Stadtzentrum wird einem der Eindruck vermittelt, dass Bayerns Landeshauptstadt die Insel der Glückseligen ist. Umso erstaunlicher war es für mich, als ich zum ersten Mal einen Obdachlosen sah. Wie um alles in der Welt kann einem das hier passieren?

Wahrscheinlich war es schlichtweg naiv, den ersten Eindruck gleich auf das ganze Stadtleben umzumünzen. Klar, auch hier gibt es Drogenmissbrauch, Menschen verlieren ihren Job, werden krank oder geraten warum auch immer in Not. Und gerade mit der Wohnungssuche ist es hier ein echter Kampf, das ist eine der ersten Lektionen, die man hier als Neuankömmling lernt.

Der positive Unterschied zu Uganda: München hat Wohnräume für Arme und Arbeitslose. Es gibt Organisationen und Vereine, die Obdachlosen Schlafzimmer bieten. Das ist die gute Nachricht: dass christliche Nächstenliebe nicht nur ein Vorwand ist, um zu den großen Festen wie jetzt an Ostern ein Geschäft zu machen. Traurig ist, dass es nicht mal im reichen München gelingt, den Wohlstand so zu verteilen, dass jeder Stadtbewohner etwas davon abbekommt.

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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