OB-Kandidat Dieter Reiter:Raus ins Rampenlicht

Vor drei Monaten kannte kaum ein Münchner Dieter Reiter, den OB-Kandidaten der SPD. Doch das hat sich gründlich geändert - aufgrund seiner häufigen Auftritte in der Öffentlichkeit und dank einer geschickten Strategie der SPD.

Silke Lode

Es gibt einfach kein Entkommen in diesen Tagen. Nein, nicht vom Oktoberfest. Es geht um Dieter Reiter, den OB-Kandidaten der SPD. Obwohl die Wiesn und seine Omnipräsenz natürlich einiges miteinander zu tun haben. Die Wiesn ist schon unterm Jahr das Thema, mit dem Dieter Reiter am meisten Aufmerksamkeit generiert.

Dieter Reiter SPD Oberbürgermeister Kandidat München

In diesen Tagen omnipräsent: Dieter Reiter, Spitzenkandidat der SPD für das Amt des nächsten Münchner Oberbürgermeisters.

(Foto: Robert Haas)

Für den Wirtschaftsreferenten der Stadt gehört das Thema ganz offiziell zu seinem Ressort, und mit Wiesn-Chefin Gabriele Weishäupls Pensionierung hat Reiter den öffentlichkeitswirksamen Job kurzerhand mit übernommen. Und seitdem das erste Fass angezapft ist, fährt er eine reiche Ernte ein. Er lächelt Zeitungslesern aus ganzseitigen Anzeigen der Stadtwerke entgegen, in die ein belangloses Interview mit dem neuen Wiesn-Chef eingebaut ist. Reiters Bild prangt auf der Titelseite eines Magazins, das die Stadtwerke dieser Tage an alle Münchner Haushalte haben verteilen lassen.

Den größten PR-Erfolg hat ihm freilich die CSU beschert: Beim Trachten- und Schützenumzug am ersten Wiesn-Sonntag ist Reiter in einer eigenen Kutsche an der Spitze des Zuges mitgefahren. Was sonst nur sattelfeste Traditionalisten bemerkt hätten, wurde von der CSU im Vorfeld skandalisiert - und Reiter konnte sich über die mit einem belustigten Augenzwinkern verfassten Schlagzeilen von München bis Frankfurt und Berlin freuen.

Die Wiesn macht aus Dieter Reiter keinen besseren und auch keinen profilierteren Politiker - aber einen bekannteren. Und darum geht es in dieser frühen Phase des Wahlkampfs vor allem. "Die OB-Wahl ist eine Persönlichkeitswahl", sagt Reiter. Auch seine Konkurrenten wissen das, darum beobachten Josef Schmid (CSU) und Sabine Nallinger (Grüne) so nervös, was gerade in der Stadt passiert. Noch im Juni kannte nur jeder fünfte Münchner den Mann, der Christian Ude beerben will. Inzwischen dürfte er Josef Schmid locker eingeholt haben, mit dessen Namen vor vier Monaten noch doppelt so viele Leute in der Stadt etwas anfangen konnten wie mit dem Namen Dieter Reiter.

"Wenn ich eineinhalb Stunden über die Wiesn gehe, werde ich bestimmt von 30 bis 40 Leuten angesprochen", erzählt Reiter. Diese Entwicklung hat nur wenig mit ihm persönlich zu tun und noch viel weniger mit Zufall. Nein, die SPD hat ihre Wahlkampfmaschine angeworfen, und die strategischen Entscheidungen trifft ein ganz anderer Mann, der sich diskret im Hintergrund hält: Münchens Parteichef Hans-Ulrich Pfaffmann.

Für die SPD geht es in München um viel: Bis auf eine sechsjährige Unterbrechung durch die Ära Kiesl 1978 bis 1984 haben die Sozialdemokraten seit 1948 durchgehend den Oberbürgermeister gestellt. Christian Ude galt zuletzt in München als unbesiegbar - doch er darf aus Altersgründen nicht mehr bei Kommunalwahlen antreten. Seine Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten ist ein Stück weit ein Experiment. Was hat die SPD auf Landesebene schon zu verlieren? In München, dem roten Stachel im Herzen eines schwarzen Landes, kommen Experimente für die SPD nicht infrage.

Die Konkurrenz ist neidisch

Hier verfügt sie über ganz andere Möglichkeiten als auf Landesebene: Während dort der gesamte Staatsapparat auf die CSU ausgerichtet ist, hat in München die SPD überall ihr Wurzelwerk geflochten. Nicht nur böse Zungen nennen das "den roten Filz". Zumindest überrascht es nicht, dass ausgerechnet die Stadtwerke Dieter Reiter schon eineinhalb Jahre vor der Wahl eine attraktive Bühne zimmern. Der städtische Konzern ist fest in der Hand der SPD, an der Spitze steht mit Kurt Mühlhäuser ein langjähriger Genosse.

Mit von der Partie ist auch der Mieterverein: Mehr als 65 000 Mitglieder haben mit dem aktuellen Mietermagazin einen Protestaufruf gegen den Verkauf der GBW-Wohnungen bekommen. Die Logos der Unterstützer - lauter Mieter-Bündnisse - prangen über dem Aufruf. Dazwischen steht nur ein Name: Dieter Reiter, Referent für Arbeit und Wirtschaft. Vorsitzende des Mietervereins ist übrigens eine SPD-Stadträtin, Beatrix Zurek.

Die Konkurrenten um den OB-Posten können nur neidvoll zuschauen, wie Dieter Reiter sich ein großes Publikum sichert, ohne viel dafür zu tun. Die CSU ist zwar aufgebracht, weil "mit den Geldern von Gebührenzahlern Wahlkampf gemacht wird", wie Josef Schmid angesichts der Stadtwerke-Anzeige sagt. Aber juristisch sei da nichts zu machen. Im letzten Wahlkampf habe es ähnliche Anzeigen mit Ude-Fotos gegeben. Damals habe die CSU die Sache von der Regierung von Oberbayern prüfen lassen - ohne Erfolg. Josef Schmid ist trotzdem verärgert: "Ich habe meine Zweifel, ob so etwas noch zulässig ist. Politisch, meine ich."

Reiter kontert solche Vorwürfe mit Ironie: "Die CSU würde so was auf Landesebene natürlich nie machen." Aber auch er dreht nicht nur das große Rad, auch er muss auf die mühsame Ochsentour gehen, wenn nicht gerade Oktoberfest ist. Hände schütteln bei einer Spielplatz-Eröffnung, Smalltalk bei einer Wirtschaftskonferenz im Bayerischen Hof, moderieren bei einer Debatte zur Euro-Krise, Preise übergeben beim Charity-Golfturnier, Grußworte sprechen bei der Unicredit-Festspielnacht, Gitarre spielen auf einem Sommerfest der SPD. Reiter macht diese kräftezehrende Tour nicht schlecht. Selten ist er um einen flotten Spruch verlegen, oft hört man sein Lachen, bevor man ihn sieht.

Beim Repräsentieren sind Charme und Humor ohnehin das Wichtigste - und wenn es um Inhalte geht, taucht Reiter nie ohne seinen Coach auf. Es gibt sogar Leute, die sagen, man könne Dieter Reiter überhaupt nicht mehr unter vier Augen sprechen. Das ist zwar übertrieben, aber wenn es ernst wird, ist immer Hans-Ulrich Pfaffmann dabei, Reiters Parteichef und Wahlkampfmanager. Pfaffmann schlendert mit Reiter und dem Berliner Wahlkampfhelfer Klaus Wowereit über den Viktualienmarkt, Pfaffmann begleitet Reiter zu einem Straßenfest, wo der Kandidat erstmals öffentlich mit Sabine Nallinger diskutieren soll, Pfaffmann steht Reiter bei den neuen Bürgerforen der SPD zur Seite.

Hauswurfsendungen, Promi-Termine und eine eigene Wiesn-Kutsche für den Kronprinzen sind nur ein Teil der Inszenierung des Kandidaten. Es gibt auch noch eine andere, eine inhaltliche Seite. So fällt auf, dass Reiter sich plötzlich zu Themen äußert, zu denen er noch vor wenigen Monaten nie ein Wort gesagt hat. Die zweite Stammstrecke ist ein Beispiel, noch deutlicher wird es bei der dritten Startbahn. Sie wäre durchaus ein Thema für den Wirtschaftsreferenten gewesen, der sogar in der Gesellschafterversammlung des Flughafens sitzt.

Bürgerforen als Trainingsgelände

Doch Reiter ließ sich bei keiner der zahllosen Debatten vor dem Bürgerentscheid im Juni blicken. Manchmal ging es dabei sogar explizit um die Frage, wie wichtig der Flughafenausbau für die heimische Wirtschaft ist. Das Kalkül, das hinter dieser merkwürdigen Zurückhaltung steckt, ist klar: Der Kandidat sollte auf keinen Fall beschädigt werden. Wenn man sich vorstellt, wie Reiter jetzt dastünde, hätte er mit Herzblut für die dritte Startbahn gekämpft, dann muss man sagen: Die Überlegung war richtig. Nach der Entscheidung war es mit der Zurückhaltung schnell vorbei. Drei Wochen später ließ Reiter groß in den täglichen Mitteilungen aus dem Rathaus verkünden, welche Anträge er in den Flughafengremien gestellt habe, "um dem Bürgervotum zu entsprechen".

Ein anderer Ansatz sind die Bürgerforen der SPD, von denen Pfaffmann behauptet, Dieter Reiter habe sie sich selbst nach seiner Kür zum OB-Kandidaten gewünscht. Aus Reiters Mund klingt das etwas anders. Da ist von langen Gesprächen mit dem Parteichef die Rede, bei denen Ideen entwickelt und strategische Entscheidungen getroffen werden. Bei einem solchen Gespräch sei auch die Idee für die Foren entstanden. Sie sind ein ungemein praktisches Wahlkampfelement. Offiziell sollen sie den Bürgern ein Mitspracherecht bei Reiters Wahlprogramm einräumen. Bürgerbeteiligung ist en vogue, und die Grünen haben bei dem Thema ordentlich vorgelegt.

Vor allem aber sind die Bürgerforen ein ideales Trainingsgelände für Reiter. An sechs Abenden geht es einmal quer durch alle Themenfelder. Zu vielen Bereichen hat man bisher kaum etwas von dem Kandidaten gehört: zur Kulturpolitik zum Beispiel, aber auch zu vielen sozial- und bildungspolitischen Fragen. Die Foren sind für Reiter fast schon ein geschützter Raum, um allmählich im gesamten Themenspektrum der Stadtpolitik sattelfest zu werden. Wenn er mit Zahlen oder Fakten ins Straucheln kommt, stehen ihm Stadtratskollegen im Publikum zur Seite. Und wenn die Zuhörer zu renitent nachfragen oder den Kandidaten bedrängen, greift sofort Hans-Ulrich Pfaffmann ein.

Pfaffmanns Job ist es, der SPD die Macht in München zu erhalten. Schon vor zwei Jahren hat er gestanden, dass ihm diese Aufgabe schlaflose Nächte bereitet. Sein persönlicher Einsatz für die Partei geht weit: Er hat seine eigenen Träume von der Ude-Nachfolge an den Nagel gehängt und seine Kandidatur nur so lange zum Schein verfolgt, wie es ihm für die Steuerung des Auswahlverfahrens hilfreich schien. Die Kandidatenkür ist gut gelaufen, jetzt geht es darum, Dieter Reiter eine Mehrheit zu verschaffen.

All die Ude-und-Reiter-auf-der-Wiesn-Fotos, die es momentan regelmäßig in die Zeitungen schaffen und die sich en masse auf der Facebook-Seite des Kandidaten finden, schaden da sicher nicht - ebenso wenig wie die Unterstützung von Stadtwerken oder Mieterverein. Das Gschmäckle, das diese spezielle Wahlkampfhilfe hat - nun, das ist wirklich etwas für Feinschmecker. Zumindest aus Sicht der SPD.

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