SZ-Adventskalender:Mehr als das Zuhause

Das Kinderhaus "Atemreich" erspart todkranken kleinen Patienten die Intensivstation und entlastet die Eltern. Medizinisch und pflegerisch bestens betreut, geht es vor allem um Spaß, Freude und intensive Gefühle

Von Renate Winkler-Schlang, Nymphenburg/Freimann

Fabi hat ein batteriebetriebenes kleines, blinkendes Windrad in der Hand, dann im Mund, dann wieder in der Hand. Er ist völlig fasziniert. Doch ganz vergisst er die Welt um sich herum nicht. Denn als sich Felicitas Hanne neben seine Spielmatratze auf den Boden setzt, sucht er den Kontakt, krabbelt auf sie zu, lehnt sich vertrauensvoll an - und strahlt. Die Schläuche, die in seinen Körper führen, vergisst er offenbar. Der eine stellt den künstlichen Zugang zu seinem Magen sicher; "Strohhalm im Bauch", nennt Felicitas Hanne das. Der andere führt zum Pulsoximeter, das neben ihm steht und permanent den Sauerstoffgehalt seines Blutes und seine Herzfrequenz anzeigt. Fabi muss viele Stunden am Tag beatmet werden: Er hat hinter einer kleinen Rolle einen offenen Zugang zur Luftröhre im Hals, der penibel sauber gehalten werden muss.

Fabi ist vier und seit seiner Geburt mehrfach behindert. "Wir haben ihn schon oft reanimieren müssen", erklärt Felicitas Hanne, die seit neun Jahren, von Anfang an, Geschäftsführerin des Kinderhauses "Atemreich" an der Franz-Schrank-Straße ist. Davor gab es für Kinder wie Fabi nur die Intensivstation. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Atemreich ist ein Modellprojekt, das angetreten ist, um zu beweisen, dass auch diese Kinder eine Kindheit mit Spaß und Freude haben können - mit kleinen Fortschritten und intensiven Gefühlen, dennoch medizinisch und pflegerisch bestens betreut.

SZ-Adventskalender: Mit den Spenden konnte zum Beispiel dem "Kinderhaus Atemreich"geholfen werden.

Mit den Spenden konnte zum Beispiel dem "Kinderhaus Atemreich"geholfen werden.

(Foto: Catherina Hess)

"Wir sind keine Einrichtung, kein Heim. Das hier ist wirklich ein Zuhause", betont Hanne. Denn die Eltern können die aufwendige Betreuung nicht gewährleisten. Manche besuchen ihr Kind mehrfach in der Woche - so wie die Mutter des kleinen Jason, auch wenn die Reisekosten aus Ingolstadt sich bei ihrem Teilzeit-Job summieren. Auch der Vater von Elein kommt regelmäßig. Der Syrer lebt in der Freimanner Bayernkaserne und hat seine behinderte Tochter über viele Grenzen nach Deutschland getragen; die Mutter und die anderen Kinder sind noch in Syrien. Elein liegt auf dem Rücken und schaut aus großen, braunen Augen in die Welt, ihre Pflegerin Tina Säuberlich massiert ihr die kleinen Füße. "Unsere Prinzessin", sagt sie liebevoll. Es gibt aber auch Eltern, die ihr behindertes Kind nicht lieben können. "Sie wollen dennoch das Beste für den Sohn oder die Tochter", zeigt Hanne Verständnis.

Das Beste, das wollen auch die 120 Mitarbeiter ihren 21 Schützlingen geben. Michelle Meyer ist für Fabi zuständig, verschwindet gerade mit ihm unter einer knisternden Rettungsdecke. Das Pulsoximeter ist für solche Aktionen nicht gemacht, das 1500 Euro teure Gerät wird einfach mitgezogen, in absehbarer Zeit muss es wohl ersetzt werden. "Aber sollen wir Geräte schonen oder Kinder beglücken?", fragt Hanne. Eine rhetorische Frage.

In ihrem Büro hat sie eine Wand voller Fotos, an einigen klebt ein Herz. Ein Herz, auf dem zwei Daten stehen: der Geburts- und der Sterbetag. Bei manchem Kind lagen nicht viele Monate zwischen diesen Daten. "Es ist nicht wichtig, wie lange ein Kind bei uns lebt, aber es ist wichtig, wie intensiv", sagt sie. Dankbar erzählt sie von einem Kind, das sich mit dem letzten Händedruck von seiner Pflegerin regelrecht verabschiedet habe. In solchen Fällen, wenn ein Kamerad mit dem Tod ringt, dann sind sie ganz still, die behinderten Kinder in der Sonnengelb-oder Meeresblau-Gruppe, die vielleicht wenig können, aber doch viel mehr mitbekommen, als man denkt.

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Überweisungen sind auf folgendes Konto möglich:

Stadtsparkasse München

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Jede Spende wird ohne Abzug dem guten Zweck zugeführt. Alle Sach- und Verwaltungskosten, die entstehen, trägt der Süddeutsche Verlag.

Bei vielen Kindern hat die liebevolle Förderung durch Atemreich dazu beigetragen, dass pessimistische Lebenserwartungs-Prognosen hinfällig wurden: Das älteste Mädchen ist 14 Jahre. Als sie 2006 kam, hieß es , sie habe nur noch wenige Monate. Doch dieses Zuhause, das tut den kleinen behinderten Menschen, die oft so klug und weise schauen, offenbar gut. Felicitas Hanne achtet drauf, dass sie schön gekleidet sind. Auch die Schlafzimmer wirken trotz all der Geräte und Monitore dank der schönen Dekorationen, der individuellen Bettwäsche heimelig.

Die Mitarbeiter lassen sich immer wieder neue, anregende Stimulationen einfallen, manchmal reicht ein Sack mit raschelndem Herbstlaub, oft ist es ein blinkendes Auto, ein Tier oder Spielgerät. So wie bei Fabi das Windrad, denn diese Dinge werden leichter wahrgenommen. "Man glaubt gar nicht, wie viele Batterien wir brauchen", sagt die Geschäftsführerin lachend. Manchmal aber ist Stille nötig. Dann zieht sich ein Elternteil oder eine Betreuerin mit einem Kind aufs Wasserbett zurück, sie kuscheln, lauschen meditativen Klängen und schauen auf die Bilder, die die Projektoren an die Decke zaubern.

Die Finanzierung des Nötigen und Lebensnotwendigen teilen sich die Krankenkasse, die Pflegekasse und der Bezirk. Für solche Dinge wie ein neues Pulsoximeter, die Fahrkarte für den syrischen Vater, Batterien, einen Projektor oder ein Lichtrad braucht es jedoch Spenden, anders sind sie nicht zu finanzieren. "Sie sind das Tüpfelchen auf dem i", sagt Felicitas Hanne.

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