Nuruddin Farah beim Literaturfest:Ein sanfter Rebell des Wortes

Der somalische Schriftsteller Nuruddin Farah wird in seiner Heimat bedroht. In München eröffnet er das Literaturfest und spricht über Piraten, Schulen und die Macht der Bücher.

Martina Scherf

Nuruddin Farah, der die Eröffnungsrede des Literaturfests halten wird, ist einer der bekanntesten Erzähler Afrikas, mehrfach war er für den Nobelpreis im Gespräch. 1945 in Somalia geboren, wurde er 1974 wegen einer Satire in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Erst 1996 konnte er seine Heimat wieder besuchen - ein Land, das inzwischen von postkolonialen Konflikten, internationaler Einmischung und lokalen Warlords zerrieben wurde. Leben kann er dort nicht, denn wegen seiner Romane (fast alle erschienen auf Deutsch, die meisten bei Suhrkamp), seiner kritischen Interviews und Theaterstücke wird er weiter bedroht. Seinen Lesern eröffnet er tiefe Einsichten in die Lebenswirklichkeit in Somalia.

SZ: Wann waren Sie zuletzt in Somalia?

Nuruddin Farah: Vor zwei Jahren, auf dem Land. Nach Mogadischu kann ich zurzeit nicht, weil religiöse Fanatiker es auf mich abgesehen haben. Sie glauben, dass die einzige Rettung in einem islamischen Staat liegt. Aber das hat noch nie funktioniert. Der Glaube ist etwas Privates.

SZ: Sie leben in Kapstadt, verbringen aber viel Zeit in Europa und den USA. Wie nehmen Sie die Nachrichten über Somalia wahr, etwa über die Piratenangriffe am Horn von Afrika?

Farah: Als sehr oberflächlich. Ich war zuletzt in einem Piratendorf - das wird Thema meines nächsten Romans. Und ich frage Sie: Wo gehen all die Millionen hin, die die Piraten angeblich bekommen? Ich habe kein einziges neues Haus gesehen. Aber kein ausländischer Journalist reist dort hin und recherchiert, was sich wirklich abspielt, wie das alles begann. Fragt jemand, wie viel Giftmüll vor der Küste Somalias versenkt wurde? Es ist alles eine Frage des Geldes, Krieg ist ein Geschäft - und es ist nicht allein ein lokales Problem.

SZ: Ihre Bücher sind in 22Sprachen übersetzt. Wie groß ist der Einfluss von Literatur?

Farah: Literatur leistet mehr als das gesprochene Wort, sie bereichert die Erfahrung, ermöglicht Selbstreflexion. Wenn ich einen Roman aus Deutschland lese, bekomme ich ein Gefühl dafür, was das Deutschsein ausmacht, wie man hier lebt. Das erhoffe ich mir umgekehrt auch. Aber Literatur ist auch eine universale Sprache. Wir Kosmopoliten lesen alle dieselben Bücher.

SZ: Sie haben als Kind vier Sprachen - Somali, Arabisch, Englisch und Italienisch - gelernt und waren ein Büchernarr, wogegen das Somalische erst 1972 eine Schriftsprache erhielt ...

Farah: Die Weltsicht der Deutschen drückt sich am besten durch Schrift aus, die der Somalis durch mündliche Überlieferung. Ich hatte das Glück, früh an Bücher zu kommen und sehe es als meinen Aufgabe an, Somalia in die Welt der Literatur einzuführen, in die Welt der Selbstanalyse.

SZ: Wie viel Schulen gab es zu Ihrer Zeit?

Farah: Nach der Unabhängigkeit investierte der Staat in Bildung. Während die Italiener in 100Jahren Kolonialherrschaft nur 60Schulen errichteten - so viele, wie sie brauchten - gab es zwölf Jahre nach deren Abzug bereits eine Million Schüler in weiterführenden Schulen. Der Staat hat mir etwas geschenkt, und ich möchte ihm mit meiner Literatur etwas zurückgeben.

SZ: Sie sind ein sanfter Rebell des Wortes, haben sich Ihrem autoritären Vater widersetzt, dem Diktator, den Warlords, den Islamisten. Woher kommen Ihre Hartnäckigkeit und Ihr Optimismus, dass sich die Zustände bessern lassen?

Farah: Keine Herrschaft ist für die Ewigkeit. Ich bin gegen jede Art von Bevormundung. Wenn Sie einem Kind ständig sagen, tu dies, lass' das, wird es irgendwann rebellieren, denn Sie berauben es seiner eigenen Urteilsfähigkeit. Ich will selbst entscheiden und die Konsequenzen tragen. Das gilt für Individuen wie für Staaten.

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