NullAchtNeun:Vorglühen im Untergrund

In der S-Bahn kann man gutgelaunt die Halbe Helle beim Trolley-Service für 2,60 Euro ordern. Nur das Umsteigen in die U-Bahn wird dann schwierig.

Harald Hordych

Wie man die Alpen zum Glühen bringt und vor allem bei diesem Anblick sich selbst gleich mit, das kennen die Hiesigen aus dem Effeff. Wenn sich beim Sonnenaufgang und beim Sonnenuntergang das rote Himmelslicht an den Bergmassiven spiegelt, wird dem gestandenen Münchner bei guter Fernsicht warm ums Herz. Dann atmet er tief durch, bis sich ein Seufzer seiner Brust entringt, vielleicht weil er sich an seine Jugend erinnert, vielleicht aber auch, was wir aber jetzt niemanden unterstellen wollen, weil er an den Internet-TV-Sender "Alpenglühen" denkt, der sich auf freizügige Dirndl-Filmchen spezialisiert hat, bis dato ein echtes Defizit im näheren kulturellen Umfeld.

NullAchtNeun: In der S-Bahn kann man gutgelaunt die Halbe Helle beim Trolley-Service für 2,60 Euro ordern.

In der S-Bahn kann man gutgelaunt die Halbe Helle beim Trolley-Service für 2,60 Euro ordern.

(Foto: Foto: Rumpf)

Moderne junge Menschen erzeugen seelische Wärme dagegen ohne Gefühlsduselei. Abendliche Hochstimmung beispielsweise rufen sie auf ökonomisch scharf kalkulierter Grundlage hervor, indem sie sich vor dem Eintreffen im Lokal Flaschenbier einverleiben. Das hat den Vorteil, in der Kneipe nicht zu viel Geld für teure Drinks verschwenden zu müssen. Dieser Vorgang heißt "Vorglühen". Bislang kam den Vorglühern zugute, dass man die Vorbereitung auf den Abend auch in der U-Bahn praktizieren konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich wegen lästiger Geh-Bewegungen zu verschlucken.

Weil die Münchner Verkehrsbetriebe den Konsum von alkoholischen Getränken aus Flaschen vorerst auf allen U-Bahnhöfen, bald aber auch in der U-Bahn untersagen, sind die Vorglüher derzeit nicht gut auf die MVG zu sprechen. Aber München ist München, was übersetzt nichts anderes heißt, als dass nirgendwo so viel verboten wird (außer in Nordkorea), aber nirgendwo sonst halten sich auch so wenige Leute an die Verbote wie hier.

Verbotsschilder haben eher den Mitmacheffekt von Initiationssignalen, wie man im Sommer am Eiskanal oder an all den Fahrrad-Anlehn-/Abstell-Verbotsschildern studieren kann. Also darf man gespannt sein, wie der Widerspruchsgeist des Münchners sich diesmal Luft verschafft, beziehungsweise Luft in die Bierflasche bringt. Zumal die S-Bahn in einer zweifelsohne gut abgesprochenen Werbeaktion auf den Flughafen-Linien S1 und S8 von diesem Sonntag an einen Getränke- und Snackservice eingerichtet hat. Dort kann man gutgelaunt die Halbe Helle beim Trolley-Service für 2,60 Euro ordern.

Das ist zwar jedem Vorglüher, der zu diesem Zeitpunkt noch seine fünf Sinne beisammen hat, entschieden zu viel. Aber es schafft doch eine interessante Gemengelage in den unterschiedlichen S- und U-Bahn-Geschossen, die viele Fremde und auch so mancher Zugereiste sowieso nicht auseinanderhalten können. Schließlich ist beides U - was zwar nicht für Unterhaltung steht, aber immerhin für Untergrund. Beides ist unten. Beides ist in der Bahn.

Und beide Welten sind auch noch vorsorglich durch Tunnel und Treppen miteinander verwoben, um dem Reisenden das Umsteigen zu erleichtern, nun also auch das Umsteigen von (legalen) U-Bahn-Softdrinks auf (illegale) Promille-Getränke. Das bringt uns zu der Frage, wo der bierkonforme S-Bahn-Bahnsteigbereich endet und der No-Beer-Distrikt der U-Bahn beginnt. Vermutlich genau in der Mitte der Rolltreppe, wo sonst.

Nur die bewegt sich im Sinne ihres Erfinders George A. Wheeler nun mal in einem fort; wenn alles fließt, erleichtert das die Beweisführung nicht unbedingt. Da sind Grenzziehungen gefragt, die bislang vielleicht noch niemand in allerletzter Schärfe bedacht hat. Wir jedenfalls glühen schon mal vor Neugier.

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