NullAchtNeun:Leiden wie ein Löwe

Je schlechter die Löwen spielen, desto größer ist die Aussicht auf Reichtum und ein Luxusleben à la Beckham.

Wolfgang Görl

Der Redaktion ist ein Fan des TSV 1860 bekannt, der nach jedem Spiel, egal, wie es ausgegangen ist, zufrieden nach Hause geht. Im ersten Moment klingt das ebenso unglaubwürdig wie die Behauptung, es gebe heute noch glückliche Sozialdemokraten, und vielleicht denken jetzt alle, der Mann muss nicht ganz dicht sein. Ist er aber.

Fans des TSV 1860 München

Niederlagen schmerzen künftig nicht mehr ganz so: Fans des TSV 1860 München.

(Foto: Foto: ahed)

Früher hätte man sogar gesagt, er habe das Zeug zum Bankmanager, aber das ist ja heute kein Lob mehr. Jedenfalls hat dieser Löwen-Fan eine Wohlfühl-Strategie entwickelt, die ihn weit aus der Masse der gewöhnlichen Sportsfreunde hinaushebt. Vor jedem Spiel der Sechzger wettet er 20 Euro, dass sie verlieren. Geht das Spiel in die Binsen, freut er sich über das Geld.

Gewinnen die Löwen, freut er sich über den Sieg. Eine perfekte Win-Win-Situation. Wie erinnerlich, verlief die vergangene Saison dergestalt, dass der Schlaumeier zu beträchtlichem Wohlstand gekommen ist und sich jetzt sogar eine Jahreskarte für die nächste Saison leisten kann.

Diese Jahreskarte ist neuerdings erheblich teurer, aber das eigentlich Tolle ist die kreative Gestaltung der Preiserhöhung. Vieles spricht dafür, dass 1860-Geschäftsführer Manfred Stoffers, der übrigens auch das Zeug zum Bankmanager hätte, die Sache bei besagtem Löwen-Fan abgekupfert hat. Stehen die Sechzger am Ende der Saison auf Platz zehn oder gar noch schlechter da, erhält der Besitzer einer Jahreskarte fünf Prozent seines Eintrittsgelds zurück.

Es ist wie bei der Wette: Je schlechter die Löwen spielen, desto größer ist die Aussicht auf Reichtum und ein Luxusleben à la Beckham. Andernfalls kann man sich immerhin über Siege freuen, die bei Sechzig ja auch so etwas wie ein Sechser im Lotto sind.

Bei aller Genialität der Idee: Man ist hier doch zu kurz gesprungen. Der Löwen-Fan ist nämlich nicht auf der Welt, um sportliche oder finanzielle Erfolge zu genießen. Das ist eher was für die Gefolgschaft eines anderen Münchner Vereins, dessen Name uns gerade nicht einfällt. Wer aber als Löwe geboren wird, tritt mit einer speziellen Erbsünde ins Leben, die einem apokryphen vorchristlichen Text zufolge lautet: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du den Spielen deiner Mannschaft beiwohnen, und unter Schmerzen betrachtest du die Tabelle, alle Tage deines Lebens."

Das macht den Löwen-Fan zum Urbild des tragischen Verlierers, an dem sich Tragödienschreiber wie Sophokles oder Shakespeare zu ihren Zeiten orientiert haben.

Derartige Helden sind mit Geld nicht abzuspeisen. So würde Shakespeares Hamlet-Drama erheblich an Schwung einbüßen, bekäme der Held am Ende zwanzig Euro Schmerzensgeld für seine Leiden und schritte fröhlich in die Welt hinaus. Nein, der Wille des Fußballgotts muss, so schmerzlich das ist, gewahrt bleiben: Teure Eintrittspreise, miserable Leistungen - dann erfüllt sich das Schicksal der Löwen.

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