NullAchtNeun-Kolumne:Die trotzige Tanne

Er verliert keine Nadeln und sträubt sich gegen seine Entsorgung - der Weihnachtsbaum ist ein biologisches Wunder. Wohin mit der Tanne?

Joachim Käppner

"Du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit...": Es gibt Menschen, die glauben, dass Pflanzen eine Seele haben, ja sogar kleine Gefühlsmimosen sind, die es übelnehmen, wenn man sie abholzt, abreißt oder abmäht. Dem Ehemann und Vater ist die Befindlichkeit der Flora stets von Herzen gleichgültig gewesen, das mag mit den traumatischen Erfahrungen seiner Schulzeit zu tun haben.

NullAchtNeun-Kolumne: Es scheint, als ob sich ausgediente Weihnachtsbäume mit allen Kräften gegen ihre Entsorgung sträuben. Väter und Ehemänner sind verzweifelt.

Es scheint, als ob sich ausgediente Weihnachtsbäume mit allen Kräften gegen ihre Entsorgung sträuben. Väter und Ehemänner sind verzweifelt.

(Foto: Foto: dpa)

Sobald die Rede auf die DNS der Fruchtfliegen oder die chemischen Grundlagen der Metamorphose kam, überkam ihn eine hirnzerweichende mentale Leere, die sich für Aufnahme des Lehrstoffs so undurchdringlich erwies wie die dreifachen Stadtmauern von Konstantinopel für die heulenden Horden der Barbaren (das fand er ganz spannend).

Gekommen um zu bleiben

Entsprechend rätselhaft ist ihm das Verhalten seines Tannenbaums. Der kleine Kerl, hastig am Vormittag des 24. Dezembers gekauft, ist ein echter Charakter. Er verliert keine Nadeln. Er ignoriert, dass der Ehemann und Vater nie einen Tropfen Wasser in den Baumständer gefüllt hat, obschon dies in seinen begrenzten häuslichen Zuständigkeitsbereich fiel. Da sieht man es wieder, hätte die Ehefrau und Mutter gesagt, wäre es ihr nur aufgefallen. Dennoch will er nicht fort, also der Baum.

Stachelig stand er in seiner Ecke, abwehrbereit gegen jeden Versuch der Entsorgung. Und wohin auch? Wie zu erwarten, ist die Stadtverwaltung nicht hilfreich, sie rät kalt: "Die Weihnachtsbäume können kompostiert werden oder man zerkleinert sie und entsorgt sie in der Biotonne." Daran müssen die Grünen im Rat schuld sein, die schon immer ein Herz für Pflanzen hatten statt für steuerzahlende Bürger dieser Stadt, denen sie bekanntlich die zügige Autofahrt von der Arbeit nach Hause durch ein diabolisches System von Einbahnstraßen, Rotphasen und Abbiegeverboten vergällen. Und wie soll man den Stachelmann kompostieren? Was denken sich diese Leute? Früher wurde der Baum an die Straße gestellt und einfach abgeholt. Ach, früher.

Man könnte ihn auch zum Wertstoffhof bringen, wie die Stadt rät (und man stellt sich arme alleinerziehende Mütter vor, mit ihren weinenden Kindern und einem riesigen Weihnachtsbaum, wie sie in den Bus steigen zum Industriegebiet am Rande der Stadt). Aber bei uns steht der Baum, unter Pieksen und Stechen dorthin geschafft, jetzt auf dem Balkon und will nicht weichen. Er nadelt weiterhin nicht, ein biologisches Wunder.

Er klebt dafür harzig, wenn man ihn anfasst, ganz scheußlich sogar, aber Verlust an Nadeln? Nichts. Wie die Speerspitzen der griechischen Phalanx drohen sie. Können Bäume trotzig sein? Manchmal scheint es dem Ehemann und Vater, als wiegten sich die immergrünen Zweige höhnisch im Wind, mein Kleid soll Dich erfreuen, summen sie. Soll er halt bleiben, der Baum, das nächste Weihnachten kommt bestimmt. Jetzt gilt es nur noch, das der Ehefrau und Mutter zu erklären.

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