NullAchtNeun:Im Namen des Vaters

Lesezeit: 2 min

Annemarie Koch-Graf ist gestorben, die Tochter von Oskar Maria Graf. Wer mal erlebt hat, wie sie die Texte ihres Vaters vortrug, wird sie nicht vergessen.

Wolfgang Görl

Als sie geboren wurde, am 13.Juni 1918 in München, war die Niederlage der deutschen Truppen so gut wie sicher. Anfang November dann der Waffenstillstand, der Krieg war verloren, und in München begann die Revolution. Mittendrin ihr Vater: Oskar Maria Graf. Der war überall dabei, wo die Massen zusammenliefen, nicht als Anführer, sondern eher als eine Art Sponti vom Land, der wie ein Getriebener durch das revolutionäre Geschehen taumelte.

Und da war ja noch die kleine Tochter, sie hieß Annemarie. Mit der Mutter, Lina Bretting, war er seit Mai 1917 vermählt, er hatte sie, wie er einmal schrieb, "wegen einer Viertelstunde Mitleid" geheiratet. Das Kind passte ihm gar nicht in den Kram, ja er fürchtete sich vor ihm.

Während der Revolutionszeit liebte er bereits eine andere, seine spätere Frau Mirjam Sachs. Annemarie wuchs bei der Großmutter in Berg am Starnberger See auf, der Bäckersfrau Therese Graf. Später, da war Annemarie Graf längst erwachsen, sagte sie, ihren Vater habe sie erst 1958 näher kennengelernt, als er aus dem amerikanischen Exil erstmals wieder nach Deutschland reiste.

Diese Woche ist Annemarie Koch-Graf gestorben. Wer mal erlebt hat, wie sie die Texte ihres Vaters vortrug, wird das nicht vergessen. So muss man Graf lesen: In einem kräftigen und doch auch Warmherzigkeit signalisierenden Ton, unüberhörbar bairisch gefärbt, aber ohne die auftrumpfenden Urviechlaute der Komödienstadl-Sepperl. Vor allem aber glaubte man, Oskar Maria Graf vor sich zu haben, nur eben als Frau. Sie sah aus, wie ihm aus dem Gesicht geschnitten, was zur Folge hatte, dass sie quasi zum Modell für das Oskar-Maria-Graf-Denkmal in Aufkirchen wurde. Als der Bildhauer Max Wagner die Bronzeskulptur konzipierte, hat er das Gesicht Annemarie Koch-Grafs penibel vermessen - porträtgenau sollte das Denkmal sein.

Noch vor wenigen Jahren tat man gut daran, in Berg nicht vollmundig als Verehrer Grafs aufzutreten. Der Schriftsteller, 1894 dortselbst geboren, galt als Nestbeschmutzer, vaterlandsloser Geselle und - Gott steh uns bei! - als Kommunist. Als die Straßenkreuzung vor seinem Elternhaus zum "Oskar-Maria-Graf-Platz" erhoben werden sollte, mottete man das Straßenschild erstmal ein, weil eine Anwohnerin erklärte, sie könne die Schmach, am Graf-Platz wohnen zu müssen, nicht überleben. Erst nach dem Tod der Dame schritt man zur Tat. Damit musste Annemarie Koch-Graf leben: der Vater - eine Unperson.

Erst spät, etwa mit 60 Jahren, wagte sie, Oskar Maria Graf mit Vorträgen und Lesungen den Dörflern näherzubringen. Obwohl sie als SPD-Genossin auch nicht unverdächtig war, hörte man ihr zu. Sie hatte sich Respekt erworben, nicht zuletzt mit ihrer Kindergartenküche, an deren Kreationen sich einige Generationen Berger Kinder satt aßen.

Einmal hat Lina Bretting, ihre Mutter, an Oskar Maria Graf geschrieben: "Schau, dass das Kind ein freier Mensch wird." Dies, wenn nicht alles täuscht, ist sie geworden.

© SZ vom 13.12.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: