NullAchtNeun:Feindliche Geschwader

Es ist Sommer, ein Feriensommer und es ist heiß, sehr heiß. Wenn nur die Mücken nicht wären.

Joachim Käppner

Es ist Sommer, ein Feriensommer. Es ist heiß, sehr heiß. Der Gemeinschaftsgarten der Wohnanlage liegt verlassen. Manchmal kommt etwas Wind auf und treibt einen vergilbten Papierflieger vom Sandkasten in die Rabatten. Es ist still, sehr still.

NullAchtNeun: Die fliegenden Geschwader können jeden Urlaub empfindlich stören.

Die fliegenden Geschwader können jeden Urlaub empfindlich stören.

(Foto: Foto: dpa)

Es ist alles da, was der Ehemann und Vater herbeigesehnt hat: Kein Regen, sondern Sonne. Kein Hamburger Wetter, sondern ein ehrlicher Münchner Sommer. Kein Gerufe und Geschrei im Hof, sondern Stille. Wunderbare Stille. Zeit, auf dem Balkon zu sitzen und statt der Fortbildungsunterlagen das soeben auf dem Dachboden wiederentdeckte Bordbuch "Delta VII" zu lesen.

Da krähen die Kinder, rufen die Freunde an, mahnt die Gattin: Es ist so heiß, wir wollen zum See, zum See. Ein paar Tage campen, das haben sie im Sinn. Delta VII wird nicht zum Feindflug starten, nicht hier.

Der See ist glatt wie ein Spiegel, das Gebirge spiegelt sich im flaschengrünen Wasser, es gibt einen Biergarten unter bunten Lampions, der Zeltplatz liegt schön im Schatten; und sogar die Nachbarn sind nett, jedenfalls bewerfen sie sich nicht mit Bierdosen und grölen nicht "Schwarzbraun ist die Haselnuss, schwarzbraun sind auch wir" wie die Camper in seiner Jugend, damals, als ihn seine Freundin im Fränkischen zum ersten und letzten Zelturlaub seines Lebens zwang. Es ist wunderbar hier. Irgendetwas kann nicht stimmen.

Campen ist doch ganz nett, denkt er beim Kaffee vor dem Zelt, da sticht ihn die erste Mücke ins Ohr. Eine zweite in den Zeh. Eine dritte in die Kniekehle. Die Kinder jaulen: Mücken, das juckt, das juckt! Man flüchtet ins Wasser, vergisst die Biester, doch die Biester vergessen einen nicht.

Der erste Schwung, das müssen bloß die Aufklärer gewesen sein; aus dem Schilf naht nun ein ganzes Geschwader, dunkel vor dem weißblauen Ferienhimmel. Die Campingtruppe schlägt mit Zeitungen, Grillfeuer und chemischen Kampfstoffen (literweise Autan) zurück, kommt aber über einzelne Abwehrerfolge nicht hinaus. Am Morgen zählt der Ehemann und Vater, gewiss kein Hypochonder, an sich selbst 48 Einstiche. 48! Die Nachbarn, ebenfalls verstochen, aber davon seltsam unberührt, sprechen davon, dass der regnerische Frühsommer die Zahl der Mücken ins Unerhörte habe steigen lassen.

Das Zelt, innen siedend heiß, gleicht nun einer belagerten Festung. Jeder Schritt nach draußen lockt die Angreifer an, morgens, abends, nachts, gierig, selbstmörderisch, wie rasend. Nachts dringen sie auf unerfindliche Weise durchs Mückennetz, SSS-SSS-SSS, so geht ihr blutrünstiger Schlachtruf. Morgens am See wirken selbst die schönsten Maiden wie Insassen einer mittelalterlichen Seucheninsel, von Stichen und roten Flecken entstellt.

Nach einer Woche sinkt er daheim ins Bett, ein Wrack zwar, doch ein erleichtertes Wrack, geborgen im kühlen, sicheren Heim. Er schläft tief, wie besinnungslos, Mitternacht ist vorüber, doch da schreckt er hoch. Es ist wieder da. SSS-SSS-SSS. Eine Mücke! Wie von Sinnen greift er zum Schlappen, macht Licht... "Bist du narrisch? Weißt du, wie spät es ist?", fragt die Gefährtin: "Stell dich nicht immer so an. Ist doch bloß eine Mücke."

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