NullAchtNeun:Das Raumschiff der Sumpfblüten

Der Viktualienmarkt soll künftig schöner werden und den Vorschriften der EU entsprechen. Ein Widerspruch?

Wolfgang Görl

Der Viktualienmarkt, das hat Kommunalreferentin Gabriele Friderich angekündigt, wird künftig schöner werden und dazu den Hygienevorschriften der EU entsprechen. Okay, Leute, nicht aufregen, es ist Fasching, da darf man schon mal einen Witz machen, und gerade einer Behördenchefin, die sonst nur freudlose Tage in einer mit Spinnweben verhangenen Amtsstube verbringt, muss es gestattet sein, hin und wieder etwas Lustiges unters Volk zu bringen.

Viktualienmarkt
(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Natürlich weiß sie auch, dass die Schönheit das eine ist und die EU-Vorschrift das andere, und dass die beiden sich gegenseitig ausschließen. Am tiefsten in diese Materie eingedrungen sind mittlerweile die Marktfrauen, die, kaum dass sie "Was derf's denn sei" gefragt haben, auf Friedrich Schillers Ästhetik zu sprechen kommen: "Wissen S', wos da Schiller g'sagt hat? Das Schöne is' Freiheit in der Erscheinung!" Die EU aber, so fahren sie beim Abwiegen der Kartoffeln fort, sei das glatte Gegenteil, nämlich die Erscheinung der Unfreiheit.

Auf der anderen Seite wundern sich die Münchner schon lange, dass die Stadt den Schandfleck Viktualienmarkt duldet. Sogar dem hemmungslosen Treiben im "Café Nymphenburg Sekt" hat man tatenlos zugesehen, aber damit ist es jetzt vorbei. Dort tritt demnächst ein neuer Wirt den Dienst an, die bisherigen Pächter, die Familie Glöckle, müssen die Bude räumen. Was haben die Glöckles nicht alles ausgeheckt, um es ihren Gästen gemütlich zu machen!

Sogar Plastikplanen brachten sie an, damit die Leute abends nicht frieren. Plastikplanen im sonst gut aufgeräumten München - man muss sich das mal vorstellen! Und dann die Gäste selbst, herrje! Ganz normale Münchner saßen bisher im Café Nymphenburg, Gemüsehändler und Wurstverkäufer, leitende Angestellte und Taxifahrer, alternde Vorstadt-Stenze und weibliche Sumpfblüten, und allesamt haben sie - es ist nicht zu fassen - geflirtet, geratscht und getrunken und den Touristen, denen der Viktualienmarkt doch gehört, den Platz weggenommen. So konnte es nicht weitergehen.

Am besten, man nimmt sich bei der Neugestaltung die amerikanischen Coffeeshops zum Vorbild, da herrscht eine vorbildliche Ordnung, bei der selbst die EU nichts zu meckern hätte, und die Touristen wären auch nicht durch irgendwelche münchnerischen Eigenheiten irritiert. Vor allem aber muss bei Einbruch der Dunkelheit Schluss sein, denn der größte Skandal war ja, dass die Leute im Café Nymphenburg bis sage und schreibe 22 Uhr weitergezecht haben, während in der restlichen Altstadt schon die Gehsteige hochgeklappt wurden.

Durch die Plastikhülle schimmerte das Licht der von Zigarettenqualm umwölkten Glühbirnen, und das Café sah aus wie ein Raumschiff, einsam schwebend durch die ewige Finsternis des Alls. Das ist kein schöner Anblick, da muss man hart durchgreifen. Und in ein paar Jahren, beim Symposion zur Verödung der Innenstadt, wird man sich den Kopf zerbrechen, wo so schöne Kneipen wie das alte Café Nymphenburg geblieben sind.

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