NullAchtNeun:Aber diesmal nicht so lang

Die Wiesn ist eine immer wiederkehrende Verlockung. Jedes Jahr aufs Neue verfallen harmlose Bürger dem Reiz der Zelte und Buden.

Joachim Käppner

Dieses Jahr wird er aber wirklich nicht auf die Wiesn gehen. Dieses Jahr wird er tun oder besser nicht tun, was er Jahr für Jahr nicht tun wollte und doch tat, mit immer denselben Folgen und immer denselben Schwüren: Beim nächsten Mal wird er aber wirklich nicht auf die Wiesn gehen.

NullAchtNeun: Wenn man schon auf die Wiesn geht, dann wenigstens nicht so lange.

Wenn man schon auf die Wiesn geht, dann wenigstens nicht so lange.

(Foto: Foto: Haas)

Ein vernünftiger Mensch geht nicht auf die Wiesn, und der Ehemann und Vater betrachtet sich als solchen, auch wenn die Ehefrau und Mutter dies in unangemessen häufiger Weise bezweifelt. Es ist nicht vernünftig, mit der Kollegenschaft ins Hackerzelt auszurücken und dort Dinge zu tun, die man anderntags nur zu gerne ungeschehen machen würde, wenn man sich bloß an sie erinnern könnte.

Es ist nicht vernünftig, sich mit riesigen Skandinaviern, Männern, die noch vor wenigen hundert Jahren unter Einsatz ihrer Breitschwerter die Bierfässer geraubt hätten, Humpen um Humpen in den Hals zu gießen, wie es dort, in ihren dunklen, kalten Heimatländern Sitte ist. Es ist nicht vernünftig, mit ihren enthemmten Frauen zu feiern, aus einer Vielzahl von Gründen, deren Aufzählung hier zu weit führen würde, die aber den Schluss nahe legen, dass Frauen, anders als es der herrschende Codex unserer Gesellschaft heute verlangt, nicht zwingend die besseren Menschen sein müssen.

Es ist unvernünftig, den gerechten Zorn der eigenen Gattin so leichtfertig heraufzubeschwören. Hölle, ja, man hat versprochen, anderntags mit den Lieben zur Tölzer Hütte aufzusteigen; nur geht das leider nicht, da sich schon beim Versuch, sich aus dem Bette zu wuchten, eine giftige Quecksilbersuppe über die Nervenenden ergießt.

"Prost, Ihr Säcke" Nein, er wurde nicht am Ellenbogen eingehakt und heimgezogen wie Wilhelm Buschs legendärer Tobias Knopp nach dem Besuch des Wirtshauses zum goldenen Bären ("Knopp ist etwas schwach im Schenckel, darum führt man ihn am Henkel"), aber gut, es dauerte, bis er nächtens die Tür aufbekam. Es ist unvernünftig, sich bleibende Schäden an Gehör und Gemüt zuzuziehen, die nicht ausbleiben, wenn die Meute im Festzelt außer Sinnen schreit wie ein vieltausendköpfiges Ungeheuer und auf der Bühne ein lederbehostes Halbhirn hundertmal am Abend "Prost, Ihr Säcke" in den Saal donnert. Es ist ungesund, ungehörig, unvernünftig.

Nein, dieses Jahr geht er wirklich nicht auf die Wiesn. Dann rufen der Christoph an und der Jasper und die Kollegen. Die Vorstellung, dass jemand der Wiesn freiwillig fernbleibt, existiert für sie nicht. Also, wir holen dich dann ab, sagt der Christoph, am Sonntag. Dienstag um acht vor dem Hackerzelt, sagt der Jasper, bitte mal pünktlich und servus! Donnerstag, sagen die Kollegen, alle sind dabei. Und der Ehemann und Vater antwortet, so wie er es immer getan hat, Jahr um Jahr: Aber diesmal nicht so lang.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: