Null Acht Neun:Völlig überhitzt

Warum verlassen wir nicht alle einfach den Raum, sobald das Gespräch auf Immobilienpreise und Makler-Prosa dreht? Unser Voyeurismus hält uns zurück.

Von Johan Schloemann

Ein englischer Schriftsteller, der in London lebt, hat mir mal von einer Lebensregel erzählt, die er seit einiger Zeit anwendet: Wenn er irgendwo eingeladen ist, und die Runde fängt an, über Immobilien zu reden - dann verlässt er die Dinnerparty. Und zwar umgehend. Wer sich dies zum Vorbild nehmen will, müsste jetzt sofort aufhören zu lesen.

Und hat der Mann nicht auch ein wenig recht? Natürlich ist es völlig irre, was da alles in München an "Ambiente", "Friends", "ParcParadise", "Bavaria Palais" und sonstigen Lofts, Terrassen, Gärten, Domizilen heranwächst, während bezahlbarer Wohnraum immer knapper wird. Ich weiß, wovon ich rede: Das Fünfzigerjahre-Haus, in dem ich mal gewohnt habe, ist sicher noch immer hellhörig, schlecht heizbar und hat sehr niedrige Decken, aber inzwischen heißt es "Golden Living am Nockherberg". Doch fassen wir uns an die Nase: In die ehrliche Empörung über dreiste Geldmacherei mischen sich doch immer auch voyeuristische Instinkte. Immobiliengespräche sind nicht bloß für viele ziemlich langweilig, wie für den Londoner Schriftsteller. Nein, wir stillen damit auch ein fast pornografisches Interesse an perversen Preisen, oberflächlichen Luxus-Singles und absurder Investorenpoesie. Wir finden das schlimm, aber wir gaffen auch gerne. Der Spott dient auch der Selbstbestätigung der Mittelklasse. Und Gentrifizierer sind immer die anderen.

Nun, das mag man selbstkritisch erkennen. Und trotzdem kann man ohne Immobiliengespräche in einer Stadt wie München leider gar nicht überleben. Man braucht sie einfach zur Entlastung von dem Druck, der hier auf jedem Quadratmeter lastet. Und es gibt Auswüchse, die auch in einer entspannten Sommerkolumne nicht unkommentiert bleiben dürfen. Das Eine ist insgesamt die anhaltende städtebauliche Unbedarftheit der Stadt München. Das andere aber ist die, vorsichtig gesagt, begriffliche Unbedarftheit der Immobilienentwickler.

Den Vogel schießt nämlich jetzt ein Projekt ab, das sich "Lebensraum Bogenhausen" nennt. Zur Erinnerung: Bogenhausen (in diesem Fall genauer: Denning) liegt im Osten der Stadt. "Lebensraum im Osten", das war aber die Formel, mit der die Nationalsozialisten Germanisierung, Zwangsumsiedlung und Massenmorde in Osteuropa rechtfertigten. Das erscheint nicht sehr passend für "ein Paradies für alle, die in ihrem Zuhause einen entspannten Rückzugsort suchen", wie es in der Werbung für jene Anlage von Eigentumswohnungen heißt, die den künftigen Besitzern "ein angenehmes Wohngefühl" verspricht.

Natürlich sind die Macher eines derartigen "Lebensraum"-Projekts keine Nazis. Aber es zeigt, wie heißgelaufen der Markt schon sein muss, wenn eine solche Geschmacklosigkeit nicht mehr bemerkt wird, wenn die historische Sensibilität völlig abhanden gerät. Bevor das nächste Wohnprojekt "Volk ohne Raum" genannt wird, sollte die Branche vielleicht doch einmal innehalten.

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