Luise-Kiesselbach-Tunnel:Ein Hoch auf den Tiefbau!

210 Videokameras übertragen das Geschehen live, es werden Delikatessen-Pakete und Champagner spendiert - und jeder möchte den ersten Unfall bauen: Die Eröffnung eines Straßentunnels versetzt die Münchner Autofahrer in ungekannte Erregungszustände.

Von Wolfgang Görl

Etwas ganz Tolles passiert am Samstag, ein Ereignis, ach was, ein Event, dem München seit Jahren mit derselben Ungeduld entgegenfiebert wie Penelope der Rückkehr ihres verirrten Gatten Odysseus. Es geht - eigentlich überflüssig, dies zu erwähnen - um das Opening des Luise-Kiesselbach-Tunnels.

Okay, die Einweihung der Frauenkirche im Frühjahr 1494 war auch eine prima Sache, ebenso die Eröffnung der Olympischen Sommerspiele '72. Aber das ist natürlich nichts gegen einen Autotunnel, an dessen kulturelle Bedeutung allenfalls der Apple Store heranreicht. Und mit 400 Millionen Euro ist der Tunnel praktisch geschenkt, mit den lumpigen paar Kröten könnte man nicht einmal die kleinste Bank vor dem Ruin retten, geschweige denn Griechenland oder die Oberpfalz.

Einfahrtbilletts von der Stadt

Richtig los geht es aber erst am Montag, wenn die Autos in den Tunnel fahren dürfen. Um dem Andrang in der ersten Woche Herr zu werden, gibt die Stadt Einfahrtbilletts aus, die Autofahrer beim Kreisverwaltungsreferat abholen können. Für Fahrzeuge mit deutschem Kennzeichen ist die Passage kostenlos, Ausländer zahlen auf Wunsch der Münchner CSU eine Maut, sofern der Europäische Gerichtshof die Gebühr nicht in letzter Minute stoppt.

Das KVR erwartet in den Morgenstunden mehrere hunderttausend Autos, deren Fahrer gebeten sind, im Schritttempo zu fahren, damit sich sofort ein Stau bildet. Ist der Verkehr erst einmal zum Stillstand gekommen, haben die Leute Gelegenheit, all die großartigen Tunneleinbauten zu bewundern. Die 210 Videokameras der Röhre übertragen das Geschehen live im Internet.

Dallmayr Delikatessen-Pakete nur in der Premierenwoche

Außer in Nordkorea, das den Luise-Kiesselbach-Tunnel als imperialistische Provokation wertet, ist der erste Stau weltweit zu bestaunen. Für die Verpflegung der im Tunnel eingeschlossenen Autofahrer hat Dallmayr Delikatessen-Pakete und Champagner spendiert, die aber nur in der Premierenwoche verteilt werden. Bei allen späteren Staus sind die Leute selbst für ihre Notfallration verantwortlich.

Besondere Spannung verspricht der Wettbewerb um die Frage, wer den ersten Unfall im neuen Tunnel baut. Es gibt mehrere Favoriten, darunter diverse SUV-Fahrer und Menschen mit FFB-Kennzeichen, und natürlich möchte jeder der Erste sein. Den kleinen Blechschaden nimmt man gerne in Kauf, wenn dafür Ruhm und Ehre winken.

Benannt nach dem Pizza-Ausfahrer Richard Strauss

So ist beispielsweise der Richard-Strauss-Tunnel keineswegs nach dem berühmten Musikanten benannt, sondern nach dem Pizza-Ausfahrer Richard Strauss aus Alt-Aubing, dem dort der erste Unfall gelang.

Mittlerweile hat der Mann 100 Millionen Facebook-Freunde, eine eigene Autogrammkarte, und er gilt als heißer Kandidat für die Medaille "München leuchtet". Außerdem ist es höchste Zeit, dass der sperrige Name "Luise-Kiesselbach-Tunnel" verschwindet, zumal die Frau womöglich nicht einmal den Führerschein hatte.

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